So kommt das Baselbiet aus der Krise – die fünf nötigsten Veränderungen

Kein Geld, keine Strategie, kein Mut: Das Baselbiet scheint in einer ausweglosen Situation zu sein. Scheint. Tatsächlich gäbe es einige gute Ideen für die Rettung dieses Kantons. Hier die Liste der fünf viel versprechendsten Vorschläge.

Regierung und Parlament müssten endlich Verantwortung übernehmen für die Probleme, die sich angerichtet haben. (Bild: Illustration Stephan Liechti)

Kein Geld, keine Strategie, kein Mut: Das Baselbiet scheint in einer ausweglosen Situation zu sein. Scheint. Tatsächlich gäbe es einige gute Ideen für die Rettung dieses Kantons. Hier die Liste der fünf viel versprechendsten Vorschläge.

Das Baselbiet ist vor der Abstimmung vom 17. Juni über die Sparvorlagen ein gespaltener Kanton. Da gibt es erstens das Baselbiet des absoluten Sparzwangs, der Ausweglosigkeit, der Ideenarmut. Es ist das Baselbiet der Regierung.

Dann gibt es – zweitens – das Baselbiet der unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger, die genug haben von diesem Spardruck und dieser Ideenarmut. In Leserkommentaren ziehen sie bereits erste Vergleiche mit dem unter­gehenden Griechenland und fordern die Regierung zum kollektiven Rücktritt auf.

Schliesslich gibt es auch noch ein neues, besseres Baselbiet, das erst in den Köpfen besteht, dort aber immer mehr Konturen gewinnt. Das zeigte sich in den Gesprächen, die die TagesWoche in den vergangenen Tagen mit einer Reihe von Politikerinnen und Politikern geführt hat, die neue Lösungen suchen (mehr dazu im Dossier «Neues Baselbiet»). Hier die fünf wichtigsten Forderungen auf dem Weg zur Rettung des Baselbiets.

1. Zeigt endlich Verantwortung

Fehler wurden viele gemacht im Baselbiet. Teure Fehler. Die grandios ge­schei­terte Spitalplanung etwa, überrissenen Strassenprojekte, Tun­nelbau­vorhaben im brüchigen Untergrund – alles Geschäfte, die die Regierung, die fünf ­Direktionsvorsteher, seriös hätten vorbereiten und durchziehen müssen.

Anstatt nun wenigstens die Verantwortung für die Fehler zu übernehmen, versucht der Regierungsrat die Schuld auf alle anderen zu schieben: auf die allgemeinen Begehrlichkeiten, die Teuerung, die Nachbarkantone, den Bund. Das ist schlechter Stil. Und es ist auch gefährlich. Denn Fehler, die mit höherem Schicksal erklärt werden, wiederholen sich in der Regel. Und genau das kann sich das Baselbiet heute weniger leisten denn je.

Der Kanton braucht jetzt eine Regierung, die lernfähig ist. Eine Regierung auch, die mehr ist als eine Ansammlung von fünf Einzelkämpfern, wie die Geschäftsprüfungskommission (GPK) bemängelt hat. Dank einer besseren Zusammenarbeit müsste es ihr auch möglich sein, jede Vorlage «mit einem Preisschild» zu versehen – so wie es GPK-Präsident Hanspeter Weibel (SVP) gefordert hat: «Auf dieser Grundlage könnten Regierung und Parlament endlich seriös entscheiden, was nötig ist und was nicht.»

Das ist die längerfristige Perspek­tive. Die kurzfristige ist ganz auf den 17. Juni und die Abstimmung über die Sparvorlagen fokussiert. Die Regierung spielt dabei auf alles oder nichts und weigert sich strikt, einen Plan B zu entwickeln. Ein heisses Spielchen. Nach einem allfälligen Nein am 17. Juni käme die Regierung wohl kaum mehr um die Feststellung herum, dass sie in ihrer jetzigen Zusammensetzung gescheitert ist. Zu Recht fordern linke und grüne Politikerinnen und Politiker darum schon jetzt eine neue Rücktrittskultur. Auch das ist eine Frage des Verantwortungsgefühls.

Grünen-Präsidentin Florence Brenzikofer bringt es auf den Punkt: «Andernorts nehmen Politiker schon heute die Verantwortung für ihre Fehler wahr und räumen den Platz für neue Leute mit neuen Ideen. Das wäre auch im Baselbiet nötig.»

2. Keine einseitige Finanzpolitik

Im Baselbiet wurden die Steuern in den vergangenen Jahren mehrfach gesenkt, nicht nur für Unternehmen, wie vor allem linke Politikerinnen und Politiker stets gerne hervorheben, sondern auch für Familien und weniger gut Verdienende.

Das ist eigentlich erfreulich. Das Problem ist aber, dass Steuersenkungen lange, allzu lange als allein selig machendes Mittel galten. Eine Strategie zu entwickeln, die noch weitere ­Ziele beinhaltet, hielt die bürgerliche Regierung für unnötig; der bürgerlich dominierte Landrat liess sie gewähren, und das Volk sagte – natürlich – auch nicht Nein zu den Steuergeschenken. Diese einseitige Politik musste scheitern, weil sie zu Steuerausfällen führt, die nicht wettgemacht werden können (Lesen Sie dazu auch unsere aktuelle Wochendebatte).

Nun braucht es eine wirkliche Strategie. Und ein «neues Verständnis», wie SP-Nationalrat Eric Nussbaumer sagt, der für den Fall eines Neins am 17. Juni schon mal auf den Posten des Finanzdirektors aspiriert. «Das Ziel müssen stabile Verhältnisse sein. Und nicht Steuersenkungen um jeden Preis», sagt er. Eigentlich eine banale Aussage, und doch tönt sie im Baselbiet nach all den Jahren der einseitigen Finanzpolitik wie eine Verheissung.

3. In die Wirtschaft investieren

Nach den Steuersenkungen entsteht wie von alleine eine neue Wirtschaftsdynamik, dachte man im Baselbiet. Ein Irrtum. Denn Unternehmen wollen nicht nur Steuern optimieren, sie brauchen auch Platz. Den gäbe es im Baselbiet, an bester Lage sogar, in der Nähe der Autobahn. Leider sind diese viel versprechenden Entwicklungsgebiete wie Sa­lina Raurica noch immer nicht richtig erschlossen, obwohl entsprechende ­Pläne teilweise schon seit Jahren existieren. Logische Folge: Das Baselbiet wartet vergebens auf neue Unternehmen, so dass der Anteil der Unternehmenssteuern an den Staatseinnahmen bei kläglichen zehn Prozent verharrt.

Ein Problem, das auch die Regierung erkannt hat. Vor wenigen Monaten hat sie eine neue Investitionspolitik angekündigt, dank der die Brachen zum Florieren gebracht werden sollen. Auf diese Weise soll der Anteil der Unternehmenssteuern bis 2022 auf 15 oder lieber noch auf 20 Prozent gesteigert werden – eine Durchschnittsquote für einen Schweizer Kanton. Immerhin. Leider muss man allerdings damit rechnen, dass auch dieses Ziel verpasst wird. Vor fünf Jahren hat die Regierung bei der Totalrevision des Wirtschaftsförderungsgesetzes jedenfalls schon einmal eine neue Wachstumsstrategie angekündigt. Passiert ist seither wenig bis gar nichts.

4. Mehr Macht den Gemeinden

Die Gemeinden könnten viele Aufgaben sehr viel besser erledigen als der Kanton, weil sie den Bürgerinnen und Bürgern näher sind. Eine weitere banale Feststellung, für die man im Kantonshauptort Liestal nur sehr bedingt Verständnis aufbringt. Darum hat der Staatsapparat im Baselbiet so viel Macht und so viele Mittel wie in keinem anderen Deutschschweizer Kanton.

«Umso gravierender sind die Auswirkungen in einer Situation wie der jetzigen, in welcher der Kanton seine Handlungsfähigkeit mehr und mehr verliert», sagt Lukas Ott, der aussichtsreiche Kandidat der Grünen fürs Liestaler Stadtpräsidium. Seine Forderung: mehr Mittel für die Gemeinden und eine neue Aufgabenverteilung zwischen ihnen und dem Kanton.

Damit die vielen kleinen Dörfer zusätzliche Kompetenzen übernehmen können, müssten sie aber zuerst einmal gestärkt werden. Heute fehlt ihnen selbst für den Gemeinderat häufig das nötige Personal.

Darum braucht es Gemeindefusionen, wie sie der Arboldswiler Gemeindepräsident Rolf Neukom fordert. Oder eine möglichst enge Zusammenarbeit in den «funktionalen Räumen», wie Hector Herzig, Gemeindepräsident von Langenbruck und Präsident der Baselbieter Grünliberalen, sie vorschlägt.

Solange die eigentlich überkommenen Strukturen im Oberbaselbiet über den Finanzausgleich mit den Millionenzahlungen aus den grösseren und reicheren Gemeinden im unteren Kantonsteil notdürftig aufrechterhalten werden und die Regierung Anschubfinanzierungen für Fusionen verweigert, wird sich in dieser Beziehung aber sehr wenig tun. Das befürchtet jedenfalls Lukas Rühli vom wirtschaftsnahen Thinktank Avenir Suisse, der die Schweizer Staatswesen auf ihre Effizienz hin untersucht hat. Im Baselbiet ruhen Rühlis Hoffnungen nun in erster Linie auf dem Landrat. «Die Baselbieter Regierung ist eher fusionsfeindlich eingestellt», sagt er: «fusionsfeindlicher auch als das Parlament.»

5. Eine Region, ein Kanton

Die Region entwickelt sich schon seit Jahren und Jahrzehnten als Ganzes, mit der Stadt als starkem Wirtschafts-, Forschungs- und Kulturzentrum, mit der wohnlichen Agglomeration und dem wunderbaren Land. Die einzelnen Gebiete ergänzen sich, der Austausch unter den Menschen funktioniert wie selbstverständlich.

Und doch stösst die Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene immer wieder an Grenzen. Regelmässig gibt es Streit um die Beiträge an die Uni­versität in Basel, an die Fachhochschule Nordwestschweiz, ans Theater. Die dringend nötige gemeinsame Spitalplanung bekommen die Regierungen der beiden Basel auch nicht zustande und von einer gemeinsamen Raumplanung und Weiterentwicklung der Wirtschaftsgebiete ist schon gar keine Rede.

Für die Region ist das schade, sehr schade sogar. Denn die Ausgangslage für ein weiteres wirtschaftliches Wachstum, für eine engere Vernetzung universitärer Forschung, Wirtschaft und Kliniken wäre dank den starken Life-Sciences-Unternehmen schon fast perfekt. Umso besser, dass die Grünen nun mit einer Wiedervereinigung der beiden Basel versuchen, diese unsinnigen Grenzen aufzuheben.

Selbst wenn die Abstimmung verloren geht, wird die Initiative eine überfällige Debatte über die regionale Zusammenarbeit auslösen. Und bei einem Erfolg könnte der gemeinsame Kanton Basel sogar noch weiter gedacht werden. Als Kanton Nordwestschweiz mit den beiden Basel, mit dem Fricktal und dem Schwarzbubenland.

Das wäre die ganz grosse Lösung, entstanden auch aus dem heutigen Krisenkanton Baselland.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.06.12

Nächster Artikel