Klare Aussagen? Fehlanzeige. Zu eigenen Fehlern stehen? Viel zu schmerzhaft. Die Baselbieter Regierung versagt im wörtlichen Sinne – mit ihrem PR-Geschwurbel.
Nach dem Gespräch war die Enttäuschung gross – auf beiden Seiten. Wir erwarteten klare Aussagen über die Probleme des Baselbiets und die Chancen dieses eigentlich so wunderbaren Kantons. Aussagen, wie sie der Grüne Isaac Reber früher gemacht hat, damals, als er noch ein aufstrebender Parlamentarier war. Zu hören bekamen wir vom jetzigen Sicherheitsdirektor aber nichts Neues oder gar Wegweisendes. Umso häufiger dafür das Altbekannte: Die Regierung habe zuletzt einiges erreicht, die Wachstumsstrategie sei aufgegleist, erst einmal brauche es aber einen ausgeglichenen Haushalt, wobei die Regierung auch in dieser Hinsicht einiges erreicht habe und so weiter und so fort.
Wir notierten uns das und schrieben in der Einleitung und der Ankündigung zum Interview: Reber habe seinen Mut verloren; er sei ein «gescheiterter Hoffnungsträger».
Das Büro Reber meldete sich daraufhin mit «Erstaunen», ausgedrückt in zwei Mails. Wir würden «dämliche Titel» setzen und hätten leider kein Verständnis für die unterschiedlichen Rollen eines Parlamentariers und eines Regierungsrates, hiess es darin.
Ganz offensichtlich überfordert der radikale Rollenwechsel aber nicht nur uns. «Herr Reber, einen kleinen Erfolg können Sie wirklich vermelden. In kurzer Zeit haben Sie sich das Exekutiv-Geschwurbel und Rumgeeiere perfekt angeeignet», schreibt Leser Robert Minder in einem Kommentar zum Interview.
Reber, ein Schönfärber, der bei den allermeisten Fragen erst einmal seine Papiere konsultiert, dicht bedruckt mit vorgefertigten Antworten – um dann eine Nullaussage als Antwort zu geben. Reber, ein Dialogverweigerer – und gerade deshalb ein typischer Regierungsrat? Ein bemerkenswerter Gedanke, den Robert Minder da formuliert hat. Darum hier noch ein paar weitere Hinweise auf ein kollektives und wörtlich gemeintes «Versagen» der Baselbieter Regierung. Und eine Schlussfolgerung.
1. Hinweis: der Realitätsverlust
Fakt ist, dass es dem Baselbiet an Geld, Ideen und zukunftsträchtigen Investitionen fehlt. Trotzdem wurden Hunderte von Millionen Franken in fast schon grössenwahnsinnige Strassenbauprojekten verlocht. Die Liste der Fehler ist lang. Schuld daran sind nach Ansicht der Regierung aber immer die anderen: Basel-Stadt, der Bund, irgendwelche Fachgremien, die störrische Natur, die wieder einmal einen Tunnel zum Einsturz gebracht hat. Selbst die Verantwortung übernehmen, das kommt nicht einmal bei der desaströsen Spitalplanung infrage. Nachdem der Landrat Gesundheitsdirektor Peter Zwick (CVP) in einer mehrstündigen, hitzig geführten Debatte gegrillt und mehrfach zum Rücktritt aufgefordert hatte, sagte dieser in einem Interview bei Telebasel: «Wissen Sie, ein Regierungsrat entscheidet nie alleine.» Dennoch habe er ganz allein dafür gesorgt, dass die Planung nicht viele Millionen teurer geworden sei. Offensichtlich muss man einem Baselbieter Regierungsrat selbst für ein Debakel noch dankbar sein.
2. Hinweis: das Geschwurbel
Das Schönreden hat System, nicht nur bei Reber und nicht nur in der Gesundheitsplanung, sondern auch beim derzeit angeblich wichtigsten Geschäft, dem Sparen. Denn die Regierung will gemäss eigener Darstellung gar nicht sparen und auch keine Beiträge streichen und schon gar keine Angestellte entlassen. Nein, nein! Die Regierung legt bloss ein «Entlastungspaket» vor, ein ausgewogenes noch dazu, dessen Bestandteile äusserst gerecht auf viele Schultern verteilt werden, so dass eine prächtige Opfersymmetrie entsteht.
Alles perfekt also. Denn wie sagte schon der französische Schriftsteller und Flieger Antoine de Saint-Exupéry? Jedes starke Bild wird einmal Wirklichkeit. So jedenfalls ist es nachzulesen im Vorwort zu den Visionen und dem Programm der Baselbieter Regierung für die Jahre 2012–2015. Weiter unten in dem umfangreichen Werk stehen dann unter anderem solche Ausführungen: «Um gewährleisten zu können, dass die Zielorientierung auch wirklich fokussiert geschieht, und um gleichzeitig sicherzustellen, dass die nachhaltige Entwicklung als eine regulative Idee in allen Politikbereichen wirkt, wurden allen sieben strategischen Schwerpunkten zwei Typen von Indikatoren zugeordnet: > Ziel-indikatoren (Schlüsselindikatoren) und > Berichtsindikatoren.» (Das ganze Programm ist auf der Rückseite dieses Artikels zu finden.)
Alles klar? Kaum. Aber vermutlich geht es der Regierung auch weniger darum als um das gute Bild, egal ob es etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat oder nicht.
3. Hinweis: die Abhängigkeit
Die PR-Formeln sollte man irgendwann intus haben. Und auch ein paar simple Fragen müsste ein Regierungsrat eigentlich beantworten können – denkt man. Doch so einfach ist es offenbar nicht, wie sich beim Interview mit Reber zeigte. Aber nicht nur dort. Nach der debakulösen Abstimmung über die «Entlastungsmassnahmen» konnten die fünf Regierungsräte nicht einmal mehr spontan sagen, wofür es sie überhaupt noch braucht. Als bei der Medienorientierung die Frage nach einem allfälligen Rücktritt gestellt wurde, klaubte Peter Zwick erst einmal ein Blatt hervor. Dann las er ab: «Nein, niemand da, der an Rücktritt denkt.»
Auch wenn diese Situation nach dem schon fast sensationell deutlichen Nein zum Sparpaket speziell war: Diese Abhängigkeit von vorformulierten Statements, diese Selbstbeschränkung auf vorgefasste Meinungen ist typisch für die Baselbieter Politik. Land- und Regierungsräte, die einander zuhören und aufeinander eingehen, die sich mit ihren Argumenten zu neuen Erkenntnissen treiben, diese kleinen Wunder der Demokratie kommen im Landrat höchst selten vor – wenn überhaupt je. Wie auch, wenn die meisten Voten abgelesen werden, eines nach dem anderen, ohne Bezug aufeinander?
4. Hinweis: die harte Realität
Dummerweise lässt sich längst nicht alles so einfach kontrollieren wie ein Votum im Landrat. Ein Baselbieter Regierungsrat muss – wie Reber im Interview – auf kritische Nachfragen reagieren können, er muss sich bei Abstimmungen und Wahlen dem Volk stellen, und vier Mal pro Jahr sollte er sich sogar Richtung Basel bewegen, an die Treffen der beiden Regierungen. Ein Anlass, auf den sich die Basler – wie man in politisch interessierten Kreisen weiss – sorgsam vorbereiten, an speziellen Sitzungen. Oberstes Ziel dabei: eine Strategie zu entwickeln, wie den eigensinnigen Baselbietern die neusten Vorhaben, die für die ganze Region wichtig wären, möglichst einfach verständlich gemacht werden könnten, unter Rücksicht auf sämtliche Empfindlichkeiten, versteht sich.
Offenbar gelingt das den Baslern aber längst nicht immer. In Liestal gibt es dem Vernehmen nach auch 180 Jahre nach der Kantonstrennung noch immer Regierungsräte, die im vertrauten Kreis klagen, wie mühsam es ist, mit den Städtern zu verhandeln, weil die noch genau gleich seien wie anno dazumal: anmassend und überheblich.
Auf die Zusammenarbeit der beiden Kantone können diese atmosphärischen Störungen schwerwiegende Folgen haben; belegen lassen sie sich allerdings nur schwer. Ganz im Gegensatz zum Unmut im eigenen Kanton. Das wuchtige Nein zum Sparpaket im Juni 2012 war ein klares Zeichen, dass das Volk der Regierung nicht alles abnimmt, dass es mehr hören will als Geschwurbel. Nur leider kommt bis heute nicht sehr viel mehr aus dem Regierungs-Gebäude.
5. Die Schlussfolgerungen
Eigentlich gäbe es im Baselbiet mehr als genug Stimmen, die die Probleme offen ansprechen. Alt Regierungsrat Peter Schmid (SP) sprach in der «Basler Zeitung» von «Volksverbrämung» und forderte: «Schluss mit dem Rumquatschen!» Ähnlich Rebers Parteikollege, Landrat Klaus Kirchmayr. Sein Rat: für die Fehler endlich Verantwortung übernehmen und die nötigen Konsequenzen ziehen. Will heissen: investieren, aber jetzt am rechten Ort.
Bei der Regierung kommen solche Ratschläge schlecht an – wie überhaupt jede Kritik. Man reagiert empfindlich – wie Adrian Ballmer (FDP), der sich auch noch in seiner Rücktrittsankündigung über den angeblich respektlos gewordenen Umgang in der Politik ausliess. In der vergangenen Woche wird er sich bei der Abschlussrede des Basler Grossratspräsidenten Daniel Goepfert in seinem Urteil bestätigt gefühlt haben. In einer seiner letzten Amtshandlungen bezeichnete der oberste Basler die Zusammenarbeit der beiden Kantone gerade im Bereich der Gesundheitsplanung als kostspielige «Katastrophe» – und nannte gleich auch noch die Schuldigen: die Baselbieter Regierung und die bürgerliche Mehrheit im Landrat. Dass nun auch noch ein Städter so offen die Wahrheit übers Land sagen muss! Eine Frechheit!
Wenigstens diese Überzeugung ist den Berufsbaselbietern in Liestal noch geblieben: dass ein Basler nie recht hat, egal, was er sagt. Und dass man selbst besser ist, egal, was man zustande bringt.
Das vielleicht Verrückteste an der ganzen Kommunikation und ihrem Versagen ist, dass dafür auch noch sehr viel Geld ausgegeben wird. Die Mehrheit der Baselbieter Regierungsräte beschäftigt einen eigenen Mediensprecher, Peter Zwick hat zudem den schon fast ewigen Politberater Klaus Kocher aus Aesch zugezogen sowie die schweizweit bekannte Kommunikationsgrösse Iwan Rickenbacher. Weitere PR-Experten wurden unter anderem für das Regierungsprogramm und die Wachstumsstrategie gebraucht.
Was die Engagements kosten, wollen die Behörden nicht sagen. Das würde irgendwie auch nicht so richtig passen zu ihrer verschwurbelten Kommunikation.
Bekannt ist dafür, was sich die früheren Regierungsräte leisteten: eine eigene Meinung. Diese klang zwar nicht immer nur nett. Dafür war die Realität umso freundlicher.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25.01.13