Überforderte Politiker, ungeschickte Regierungsräte und ein treuloser Nachbarkanton: Bei der geplanten Sanierung der Baselbieter Pensionskasse geht so ziemlich alles schief.
Dieses Geschäft wollte Adrian Ballmer unbedingt vollenden. Nicht nur, weil es bei der Sanierung der Baselbieter Pensionskasse um sehr viel Geld geht. Sondern auch, weil das Geschäft sehr komplex ist. Wer ausser ihm, dem erfahrenen Finanzdirektor, hat da noch den Durchblick, wird der selbstsichere Ballmer gedacht haben.
Mehrfach wähnte er sich am Ziel. Ein erstes Mal nach den jahrelangen Verhandlungen mit den Sozialpartnern. Dann nach den über 30 Sitzungen in den Landratskommissionen (so viele wie bei keinem anderen Geschäft). Und schliesslich nach den ersten, eher freundlichen Reaktionen im Parlament.
Auch als der hyperaktive Grünliberale Gerhard Schafroth und der penible SVPler Hanspeter Weibel begannen, erste Pfeile gegen die Regierung und ihre «Luxuslösung» abzuschiessen, gab sich Ballmer unberührt. Solange nur «irgendwelche Splittergruppen», «unterstützt von Einzelnen aus der Borderline-Fraktion» (Zitat Ballmer) die Vorlage bekämpften, sei das auch nicht weiter schlimm. Gefährlich würde es erst, wenn der Widerstand von einer «wesentlichen staatstragenden Fraktion» käme.
Die gekippte Stimmung
Das sagte Ballmer im Mai 2013. Danach gab es bei der Abstimmung erstaunlich viele Enthaltungen – 17. Sein Geschäft wurde aber dennoch klar angenommen – mit 58 Ja gegen 6 Nein.
Seither sind keine vier Monate vergangen – und plötzlich ist alles anders. Ballmer ist weg und sein Nachfolger Anton Lauber (CVP) scheint den Kampf für die Sanierung schon fast verloren zu haben. Die «Borderline-Fraktion» um Schafroth und Weibel ist es, die in der entscheidenden Phase vor der Abstimmung vom 22. September den Ton angibt. Die vorgeschlagene PK-Sanierung – eine «Luxuslösung»! Unbezahlbar! Ruinös!
Es sind keineswegs mehr nur die Scharfmacher, die das so sehen. Neuerdings ist auch die FDP gegen die Sanierung. Ausgerechnet Ballmers eigene Partei stellt sich als die «staatstragende Kraft» heraus, die sein Werk verpfuscht. Drastischer könnte sich kaum zeigen, dass die Stimmung gekippt ist. Warum? Und mit welchen Folgen?
Die Zeitnot – eine Ausrede
Die Baselbieter Politiker führen die vielen Unklarheiten und überraschenden Wendungen bei diesem Geschäft gerne auf den angeblich immensen Zeitdruck zurück. Auf das neue Bundesgesetz, das bis 2014 oder allerspätestens bis 2015 eine Ausfinanzierung der kantonalen Pensionskassen verlangt. Das klingt zwar plausibel, ist aber eine Ausrede.
Der inzwischen verstorbene CVP-Politiker Peter Zwick hat bereits vor zehn Jahren, damals noch als Landrat, auf das Milliardenloch in der Baselbieter Pensionskasse aufmerksam gemacht und Massnahmen gefordert. Der inzwischen zurückgetretene Finanzdirektor Adrian Ballmer dankte für den Vorstoss; er sei froh, dass endlich auch das Parlament das Problem erkannt habe. Danach passierte erst einmal gar nichts. In den Parteien ist das Thema bis vor Kurzem nie wirklich angekommen. Die Baselbieter Politik hat sich viel zu lange darum foutiert und viel zu viele Fragen offen gelassen. Das rächt sich jetzt.
Zehn Jahre lange passierte erst einmal nichts.
Dabei schien Ballmer lange alles im Griff zu haben. Nach den langen Verhandlungen mit den Gewerkschaften glaubte er einen scheinbar perfekten Kompromiss präsentieren zu können: Die Arbeitnehmer zahlen höhere Beiträge und arbeiten ein Jahr länger bis 65, der Staat, die Gemeinden und die anderen angeschlossenen Arbeitgeber zahlen 2,2 Milliarden Franken. Ballmer war überzeugt, diese Lösung relativ reibungslos durchbringen zu können, mit einer Vier-Fünftel-Mehrheit im Parlament und damit ohne Volksabstimmung. Danach hätte er im Juni zufrieden abtreten können.
Die überforderte Politik
Es kam anders. Nach dem Dämpfer im Landrat musste Ballmer das Geschäft seinem Nachfolger Anton Lauber (CVP) überlassen, der sich bis zu diesem Zeitpunkt als Gemeindepräsident von Allschwil eher kritisch mit den Plänen des Kantons auseinandergesetzt hatte. Lauber, der Chrampfer, wollte den Rollenwechsel aber unbedingt schaffen. Er verzichtete auf Ferien und las sich in die Dossiers ein. Stundenlang. Die Gegner waren nun aber schon einen Schritt voraus. Sie mussten sich nicht mehr mit komplexen Berechnungen und noch komplexeren Erklärungen auseinandersetzen, sondern konnten sich bereits für den Abstimmungskampf in Stellung bringen.
Seit Anfang August läuft nun ihr Angriff gegen die «schludrige» Vorlage, die voller Fehler sei. Lauber gibt sich alle Mühe, dagegenzuhalten, und klingt dabei manchmal schon fast wie ein Pensionskassenexperte, wenn er nach kurzer Vorwarnung («Vorsicht, jetzt wirds technisch!») anfängt, über Wertschwankungsreserven, systemische Rückzahlungen und Annuitäten zu dozieren. Wenn Lauber so redet, ist man als Zuhörer zwar beeindruckt, aber auch froh, wenn er irgendwann mal wieder einen simplen Schluss zieht: «Das Loch in der Kasse ist und bleibt ein Loch, und das müssen wir schliessen.»
Um das «Loch» zu stopfen, braucht es mehrere Milliarden Franken. Alles andere ist selbst unter Fachleuten umstritten.
Das ist tatsächlich das Hauptproblem: Die Pensionskasse hat einen Deckungsgrad von 80 Prozent. Um das «Loch» zu stopfen, braucht es mehrere Milliarden Franken. So weit, so klar. Alles andere ist selbst unter Fachleuten umstritten. Die Frage zum Beispiel, wie gross die Reserven sein müssen, damit die PK allfällige Anlageverluste wettmachen kann. Entsprechend überfordert sind auch die Politiker. «Die Komplexität der Vorlage hat im Landrat viele von uns verwirrt», sagt Christoph Buser (FDP), einer der einflussreichsten Politiker im Kanton. Damit begründete er den seltsamen Meinungsumschwung der FDP.
Der Anti-Beamten-Reflex
Andere wie die EVP trauen sich nicht einmal mehr eine Meinung zu. An der Parteiversammlung war die Ratlosigkeit nach eingehender Debatte so gross, dass man auf eine Stimmempfehlung verzichtete. Es ist die Bankrotterklärung der Politik in einem zentral wichtigen Geschäft.
Die Gegner tun ihr Möglichstes, um die Verwirrung noch weiter zu steigern. Die einen fordern einen Verzicht auf eine Ausfinanzierung, andere sagen Ja, doch, eine hunderprozentige Deckung sei richtig, nicht aber der vorgeschlagene Kostenverteiler. Sehr viel einfacher wäre es, wenn die Gemeinden nichts zahlten und der Kanton alles. Und sie alle stellen ihre eigenen Berechnungen an, wie hoch die Reserven für den Fall von Anlage-Ausfällen sein müssten. Dabei kommen sie auf Zahlen von über 5 Milliarden Franken, die die Sanierung kosten soll – das sind mehr als doppelt so viel, wie die Regierung annimmt.
Je grösser die Zahlen und je grösser die Konfusion, desto besser kommen die einfachen Botschaften der Gegner an.
Die Rechnung ist einfach: Je grösser die Zahlen und je grösser die Konfusion, desto besser kommen die einfachen Botschaften der Gegner an. Der arme Kanton habe schlicht kein Geld für solch gigantische Ausgaben. Und überhaupt: Warum die Beamten, diese Spitzenverdiener, auch noch mit Luxusrenten ausstatten, wenn doch die meisten Gewerbler und Angestellten mit sehr viel weniger auskommen müssen?
Mit solchen Aussagen wird, zumindest unterschwellig, immer auch an den Neid appelliert. Das ist nicht unbedingt nobel, aber wahrscheinlich wirkungsvoller als die vielen klugen Erklärungen von Dr. Anton Lauber. Wenn die Wortmeldungen der Besucher bei den Podiumsdiskussionen zum Thema nur halbwegs repräsentativ sind, haben die Staatsangestellten nicht den besten Ruf im Baselbiet. Da wird es beim einen oder anderen nicht viel brauchen, um einen Anti-Beamten-Reflex auszulösen.
Die vielen Gegner
So breit wie das Argumentarium ist die Allianz, welche die Vorlage bekämpft. Weil sich die Gemeinden von Ballmer übergangen fühlen, gibt es auch prominente Linke und Grüne, welche die angestrebte Sanierung ablehnen – Lukas Ott (Grüne) zum Beispiel, der Stadtpräsident von Liestal, oder Urs Hintermann (SP), der Gemeindepräsident von Reinach.
Die Gemeindevertreter haben eine Initiative in der Hinterhand, mit der sie die Sanierung nach einem Ja am 22. September doch noch verhindern könnten. Ihr Ziel: die Kosten auf den Kanton abzuwälzen. Im Endeffekt müsse ja ohnehin der Steuerzahler dafür aufkommen, sagen sie.
Die Gemeinden fühlen sich vom ehemaligen Finanzdirektor Ballmer übergangen.
Auf diesen Standpunkt stellt sich auch eine ganze Reihe von bürgerlichen Gemeindepolitikern. Sehr viel lauter gebärdet sich in diesem politischen Spektrum aber das Komitee mit Schafroth und Weibel, das die Geschäftspolitik der PK und die Sanierungsziele der Regierung als Wahnsinn darstellt.
Dann gibt es auch noch die Freisinnigen und die der Wirtschaftskammer nahestehende Liga der Steuerzahler, die sich für ein «konstruktives Nein» einsetzen. Sie verlangen keine ganz neue Vorlage, sondern einzelne Korrekturen. Will heissen: höhere Arbeitnehmerbeiträge und tiefere Renten.
Ballmer hatte sich zwar immer auf den Standpunkt gestellt, der Kanton könne seinen Angestellten nicht noch mehr abverlangen, wenn er ein attraktiver Abeitgeber bleiben möchte. Nur interessiert das bei der FDP kaum mehr jemanden. Spätestens nach seinem Rücktritt haben in der Partei andere Politiker das Sagen, allen voran KMU-Vertreter Christoph Buser.
Ballmer war bei der Parolenfassung nicht einmal mehr dabei, wegen eines Auslandaufenthaltes. Dem Vernehmen nach war die Reise ein Abschiedsgeschenk aus Parteikreisen.
Einen gefährlichen Widersacher ruhig zu stellen, das war in diesem Fall wahrscheinlich ganz geschickt. Ansonsten mussten die Gegner gar nichts tun, ausser warten. Die Angriffsflächen ergaben sich wie von selbst.
Angefangen bei den persönlichen Verflechtungen. In den Verhandlungen mit den Sozialpartnern wurden die Interessen des Kantons von Regierungsvertretern und Chefbeamten wahrgenommen, die selbst bei der PK versichert sind. Auf der anderen Seite sass unter anderem Christoph Straumann, offiziell als Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Baselbieter Personalverbände; gleichzeitig ist er aber auch Vizepräsident im PK-Verwaltungsrat. Ähnlich verwickelt ist die Situation bei der Abstimmung im Landrat: Die PK-Fraktion hatte dort fast die Mehrheit, wenn man neben den selbst Versicherten auch noch jene dazurechnet, die einen engen Angehörigen mit Aussicht auf eine Rente aus der BL-Kasse haben.
Der Verrat der Basler
Im Milizsystem lassen sich solche Interessenkonflikte nie ganz ausschliessen, klar. Aber kann man es den Gegnern unter diesen Voraussetzungen wirklich verübeln, dass sie den Machern des PK-Deals Befangenheit vorwerfen und ihnen die Glaubwürdigkeit absprechen? Dass sie erst recht aufschreien, wenn Anton Lauber – im Widerspruch zu früheren Regierungserklärungen – plötzlich verkündet, die Staatsgarantie könnte möglicherweise doch beibehalten werden, wenn sich dadurch die Schwankungsreserven verhindern lassen? Dass sie beim Kantonsgericht unter grossem Tamtam eine Beschwerde gegen das Abstimmungsbüechli einreichen?
Spätestens nach dieser Aufregung hätte aus Sicht der Baselbieter Regierung nichts, aber auch gar nichts mehr schieflaufen dürfen. Doch dann kam ihr auch noch die Basler Regierung in die Quere, die sonst gerne so tut, als lägen die häufigen atmosphärischen Störungen nur an den Landschäftlern. Ausgerechnet in der heissen Phase des Baselbieter Abstimmungskampfes präsentierte die Basler Finanzdirektorin Eva Herzog (SP) ihre Pläne für die Sanierung der Basler Pensionskasse – mit dem Ziel einer Teilkapitalisierung. Das war ein recht unfreundlicher Akt, nachdem die Kollegen auf dem Land stets behauptet hatten, eine Ausfinanzierung sei zwingend nötig.
Der neue Finanzdirektor Lauber spricht lieber über andere Punkte.
War das schon die nächste Lüge? Nein, sagt Lauber. Das Sanierungskonzept von Basel-Stadt «überrasche ihn schon etwas». Auf eine Ausfinanzierung könne nur in absoluten Ausnahmefällen verzichtet werden, in Kantonen zum Beispiel, die besonders finanzschwach seien, wie die Regierung früher schon erklärt hat.
Lauber spricht aber ohnehin lieber über andere Punkte, den Wechsel vom Leistungs- zum Beitragsprimat zum Beispiel. Das sei eine moderne Lösung, eine wirtschaftsnahe, sagt er. Die Baselbieter Regierung strebt sie an, die Basler nicht, aus Angst vor den Gewerkschaften. Eigentlich müssten die Bürgerlichen im Baselbiet stolz darauf sein. Sind sie aber nicht. Lieber lamentieren sie über die vielen Unklarheiten und machen dabei alles noch unklarer.
Die Aussichten
Möglicherweise würde es sich in der ganzen Konfusion lohnen, sich nochmals auf den wesentlichen Punkt zu konzentrieren – Laubers «Loch». Soll man es sauber auffüllen und abschliessen? Oder kann sich der Kanton nichts mehr leisten, was über ein notdürftiges Flickwerk hinausgeht? Das sind die entscheidenden Fragen. Und auch sie sind nicht einfach zu beantworten, weil der Erfolg der Sanierung nicht zuletzt vom Erfolg der PK und ihrer Anlagestrategie abhängt. Wenn die Börse in New York zusammenbricht, hat auch das Baselbiet ein Problem.
Wenn die Börse in New York zusammenbricht, hat auch das Baselbiet ein Problem.
Die Pensionskassen planen allerdings nicht mit der Katastrophe, sondern mit einem soliden Gewinn. Entsprechend gut sind die Rentenaussichten für die Staatsangestellten, weniger noch im Baselbiet als im Grossteil der anderen Kantone, wie ein Vergleich von Swisscanto zeigt. Und auch einige grosse Unternehmen bieten bessere Bedingungen als Baselland schon vor der Sanierung. Wenn der Kanton seine besten Mitarbeiter halten und weitere massenhafte Frühpensionierungen verhindern will, müsste das Volk am 22. September wohl doch noch Ja sagen. Doch daran scheint auch Lauber nicht mehr zu glauben. Darum warnt er: «Eine bessere Lösung zu finden, wird nicht einfach, vor allem auch, weil die Meinungen noch genau gleich unterschiedlich sein werden.»
Gut möglich, dass der Streit bald erst richtig losgeht.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 13.09.13