So werden Familien und Kinder in der Schweiz empfangen, betreut und untergebracht

Familien aus Syrien und unbegleitete Minderjährige aus Eritrea: Diese Gruppen stellen die Flüchtlingsbetreuer vor grosse Herausforderungen. Die wichtigsten Fakten, Einschätzungen und Forderungen zum Thema.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Familien aus Syrien und unbegleitete Minderjährige aus Eritrea: Diese Gruppen stellen die Flüchtlingsbetreuer vor grosse Herausforderungen. Die wichtigsten Fakten, Einschätzungen und Forderungen zum Thema.

Mit der wachsenden Flüchtlingsbewegung nach Europa gelangen vermehrt Familien und Kinder in die Schweiz. Diese beiden Gruppen bedürfen besonderer Betreuung und Unterbringung, was die Behörden vor grosse Herausforderungen stellt. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu den schwächsten Flüchtlingsgruppen aus regionaler Sicht.

Es ist oft die Rede von UMA. Wofür steht diese Abkürzung?

UMA sind unbegleitete minderjährige Asylsuchende, also Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern oder andere erwachsene Begleiter geflüchtet sind.

Welche besonderen Bedürfnisse haben Familien und UMA?

Flüchtlinge, die im Familienverbund zusammen mit ihren Kindern Asyl suchen, stellen insbesondere bei der Unterbringung eine Herausforderung dar. Dies, weil sie nicht über längere Zeit in Gruppenunterkünften platziert werden können. Die UMA bilden die mit Abstand schwächste Flüchtlingsgruppe, und erhalten auch eine entsprechende Betreuung, wie die Basler Asylkoordinatorin Renata Gäumann sagt. «Unbegleitete Minderjährige auf der Flucht gehören zu den verletzlichsten Migrationsgruppen. Keine Kinder mehr und noch nicht erwachsen, sind sie auf langen Fluchtwegen weitgehend schutzlos unterwegs.» Deshalb erhielten alle UMA einen Beistand zur Seite gestellt, sagt Gäumann. So sieht es das Gesetz vor.

Über wie viele Flüchtlingsfamilien und UMA sprechen wir?

Die Zahlen verändern sich laufend, sind also schwierig zu nennen. Gesamtschweizerisch sind gemäss Staatssekretariat für Migration im laufenden Jahr bis Ende Oktober knapp 29’000 Asylgesuche eingegangen, ein Drittel von Familien. Rund 2000 Asylgesuche stammen von sogenannten UMA. Das stellt eine dramatische Steigerung gegenüber dem Vorjahr dar, als insgesamt knapp 800 UMA in der Schweiz um Asyl baten. 

Und in der Region?

Grundsätzlich erfolgt die Verteilung aller Asylgesuche gemäss dem in der Asylverordnung des Bundes definierten nationalen Verteilschlüssel. Auf dem Boden des Kantons Basel-Stadt gibt es mit dem Bässlergut ein Erstaufnahmezentrum. Dadurch befinden sich bereits viele Asylsuchende auf Basler Boden, was bei der definitiven Zuteilung berücksichtigt wird.

Basel-Stadt

Zu den Familien kann die Sozialhilfe keine genauen Zahlen liefern. Die kantonale Asylkoordinatorin Gäumann hält jedoch fest: «Wir verzeichnen im Zuge des Anstiegs von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan auch eine Zunahme bei der Zuweisung von Familien.» In Basel halten sich Mitte November rund 30 UMA auf.

Baselland

Auch Rolf Rossi, Asylkoordinator im Baselbiet, kann zu den Familien keine absoluten Zahlen nennen. Diese würden jedoch gemessen an der Gesamtzahl von rund 1800 Asylsuchenden zwischen 20 und 25 Prozent ausmachen. In Baselland befinden sich Mitte November 78 UMA.

Woher stammen diese Flüchtlinge?

Der allergrösste Teil der Familien, die in der Schweiz Asyl suchen, kommt aus Syrien. Es folgen Sri Lanka und der Irak. Etwas anders verhält es sich mit den UMA. Von den rund 2000 UMA kamen bis Ende Oktober über die Hälfte aus Eritrea (1147), mit grossem Abstand folgen Afghanistan (388) und Syrien (129).

Wie werden Familien und UMA untergebracht?

Basel-Stadt

Die Unterbringung von Familien ist anspruchsvoll, da dafür ausreichend grosse Wohnungen bereitstehen müssen. Deshalb verbringen Familien die ersten Monate im Erstaufnahmezentrum (Bässlergut), erst später ziehen sie in eine Asylliegenschaft des Kantons um. Für die UMA wiederum bestehen in Basel mehrere Lösungen. Rund die Hälfte kommt in einer speziellen Wohngruppe unter, die anderen entweder bei Pflegeeltern oder in einem Heim.

Baselland

«Für Familien suchen wir zusammen mit den Gemeinden individuell geeignete Wohnplätze», sagt Rolf Rossi. Dies seien häufig Einzelwohnungen. Erst vor wenigen Tagen hat der Kanton Baselland bekanntgegeben, dass in Arlesheim ein neues Heim für 25 UMA eröffnet werden soll. Er reagiert damit auf Kritik an der bisherigen Praxis, derzufolge fast die Hälfte aller UMA in herkömmlichen Asylheimen untergebracht wurden, was gegen die UNO-Konvention verstösst.

Ist unser Asylsystem auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen eingestellt?

«Lange fehlte es am Bewusstsein, dass das Kindeswohl dem Asylverfahren vorgeht», sagt Constantin Hruschka, Leiter Protection der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Den unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen etwa würde zwar eine Rechtsberatung zur Seite gestellt, viel zu selten aber auch eine soziale Unterstützung. Dieses Verständnis entwickle sich zu langsam. Als problematisch erachtet Hruschka die Situation in den Empfangs- und Verfahrenszentren (EVZ), wo die Flüchtlinge direkt nach ihrer Ankunft untergebracht werden. Es mangle an Familienzimmern, ausserdem erhalten die Kinder während ihrer Zeit im EVZ keine Schulbildung. Der Aufenthalt dort soll drei Monate nicht übersteigen, derzeit werden die Flüchtlinge sogar deutlich schneller auf die Kantone und Gemeinden verteilt, weil der Bedarf an Plätzen in den Zentren immens ist.

Sind Flüchtlingskinder in Pflegefamilien gut aufgehoben?

«In den allermeisten Fällen schon», sagt Hruschka. Aufgrund steigender Zahlen würden die Kantone nun aber zunehmend Jugendliche, die älter als 14 Jahre seien, in Familien geben. Einige UMA wünschten sich eine solche Unterbringung in einem familiären Umfeld und mehr Kontakt zu Schweizerinnen und Schweizern. Doch würden sich auch Schwierigkeiten ergeben: «Die Jugendlichen verlieren den Kontakt zu Altersgenossen aus der alten Heimat, mit denen sie ihre Erfahrungen teilen können.»

Was muss getan werden, um die Integration zu erleichtern?

«Am Anfang des Integrationsprozesses muss viel mehr Geld investiert werden, das spart später massiv Sozialkosten», sagt Christiane Lubos, Dozentin für Sozialisationsprozesse und Interkulturalität an der Pädagogischen Hochschule der FHNW. Es sollten mehr Sozialarbeiter abgestellt, Deutschkurse ausgebaut und die Mittel für Angebote erhöht werden, mit denen die Jugendlichen Zugang zu einer Berufslehre finden.

Lubos fordert zudem eine andere Unterbringungspolitik, auch für Basel: «Flüchtlingsfamilien sollten auch in reichere Quartiere verteilt werden, so lernen beide Seiten das Zusammenleben, und es wird verhindert, dass der jeweils andere als Problem verstanden wird. Die Welt ist plural, sie ist vielkulturell.»

Lubos wie Hruschka betonen, es gebe nicht genügend Angebote für Jugendliche, welche die obligatorische Schulzeit hinter sich hätten. In gewissen Kantonen wie in Basel-Stadt existieren Brückenangebote, in anderen gibt es kaum Möglichkeiten für jugendliche Flüchtlinge, Zugang zu Lehrstellen zu finden oder einen Abschluss zu machen.

Sind unsere Schulen den Anforderungen gewachsen?

Das sei sehr unterschiedlich, sagt Lubos. Es gebe Lehrpersonen und Schulteams, die tolle Arbeit leisteten, «aber es gibt auch die anderen». Das habe nichts mit dem Alter der Lehrkräfte zu tun, sondern mit der Einstellung. Komplett falsch sei es, die Kinder als Problemfälle zu behandeln und auszugrenzen. Richtig sei es, mit jedem Kind, ob Schweizer oder Syrer, individuell zu arbeiten. Nachholbedarf sieht Lubos im Einbezug der Eltern und im Erkennen von Traumata. Auf aggressive Kinder würde reagiert, auf teilnahmslose, depressive oft zu wenig.

Woher kommen die Flüchtlinge und wie verteilen sie sich in Europa?

Die finnischen Datenvisualisierer von «Lucify» haben Daten des UNHCR zu einer interaktiven Grafik verarbeitet, die aufzeigt, wo die Flüchtlinge, die nach Europa wollen, herkommen und auf welche Länder sie sich verteilen.


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