Sommaruga will SVP-Initiative stutzen

Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) beantragt dem Bundesrat und dem Parlament, eine Bestimmung zum Völkerrecht aus der bereits eingereichten «Durchsetzungsinitiative» der SVP zu streichen.

Hat viel zu tun mit den hängigen Intitiativen: Bundesrätin Simonetta Sommaruga äussert sich zur Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» am Donnerstag, 19. September 2013, im Staenderat in Bern. (Bild: LUKAS LEHMANN)

Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) beantragt dem Bundesrat und dem Parlament, eine Bestimmung zum Völkerrecht aus der bereits eingereichten «Durchsetzungsinitiative» der SVP zu streichen.

«Die Bestimmungen über die Landesverweisung und deren Vollzugsmodalitäten gehen dem nicht zwingenden Völkerrecht vor», heisst es am Schluss der umfangreichen SVP-Volksinitiative «zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer». Und die Blocher-Partei will auch noch gleich in die Bundesverfassung schreiben, was denn als «zwingendes Völkerrecht» gelten soll: «Ausschliesslich das Verbot der Folter, des Völkermords, des Angriffskrieges, der Sklaverei sowie das Verbot der Rückschiebung in einen Staat in dem Tod oder Folter drohen.»

Über diese Formulierung soll das Schweizer Volk nicht abstimmen dürfen. Jedenfalls nicht, wenn es nach den Juristen im Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) von Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) und nach den Diplomaten im Aussendpartement (EDA) von FDP-Bundesrat Didier Burkhalter geht: Sie wollen dem Bundesrat und später auch den Räten die Streichung der SVP-mässigen Völkerrechts-Definition aus dem Initiativtext beantragen. Die «Ausschaffungsinitiative» müsste damit als «teilweise ungültig» erklärt werden. Begründung: Die SVP-Definition des Völkerrechts verstosse gegen das Völkerrecht.

«Teilweise ungültig» als Premiere

Das wäre ein ausserordentlicher Vorgang – und eine Premiere: Bisher sind erst vier der insgesamt 306 Volksbegehren für «ungültig» erklärt worden, die in den 120 Jahren seit 1893 zustande gekommen und eingereicht worden sind: Die Initiative für eine «Rüstungspause» (1955), jene «gegen Teuerung und Inflation» (1977), «für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik» (1995) und «für eine vernünftige Asylpolitik» (1996). Gemäss Recherchen der NZZ hätte Sommaruga auch die «Durchsetzungsinitiative» insgesamt für ungültig erklären wollen. Doch Burkhalters Juristen plädierten für «teilweise». Das ist erst seit der Verfassungsrevision von 2000 möglich. Und es käme erstmals zur Anwendung.

Auch sonst ist die «Durchsetzungsinitiative» aussergewöhnlich: Sie listet auf über zwei eng bedruckten A-4-Seiten detailliert unzählige Verbrechen und Vergehen auf, welche zur sofortigen Ausschaffung delinquierender Ausländer führen sollen. Das geht von vorsätzlicher Tötung und Raub, über Menschenhandel und Vergewaltigung bis hin zu einfacher Körperverletzung und Hausfriedensbruch oder Gewalt und Drohung gegen Behörden im Wiederholungsfall.

Die SVP hat dieses Volksbegehren Ende letzten Jahres mit 155 000 Unterschriften eingereicht. Und es ist eigentlich nur die viel ausführlichere Wiederholung der «Ausschaffungsinitiative», die von der SVP schon Anfang 2008 eingereicht und durch Volk und Stände vor drei Jahren am 28. November 2010 gegen den Widerstand des Bundesrates und aller anderen Parteien angenommen worden war. Seither haben Bundesrat und Parlament die gesetzliche Ausführung dieser Verfassungsänderung so lange liegen lassen, dass die Initianten von der SVP letztes Jahr ihre «Durchsetzungsinitiative» nachschoben.

Neue Debatten um Vorprüfung und Umsetzung

Sommarugas Antrag auf Änderung der SVP-Initiative dürfte jetzt im Bundesrat und später wohl auch im Parlament einige Unterstützung finden. Der Vorgang dürfte indes neue Debatten um eine bessere Vorprüfung der Initiativtexte befeuern: Es ist schon lange als unschön erkannt, dass über teilweise oder gänzliche «Ungültigkeit» der Volksbegehren erst entschieden wird, wenn mit viel Aufwand über 100’000 Unterschriften schon gesammelt und eingereicht sind.

Politisch motivierte Renitenz bei der Umsetzung angenommener Initiativen wird auch immer mehr ein Thema: Nicht nur die SVP-Ausschaffungsinitiative führte in Bern zu Ächzen und Würgen bei der gesetzlichen Umsetzung. Auch gegen die Um- und Durchsetzung der von Volk und Ständen angenommen Zweitwohnungsinitiative regt sich seither mannigfaltiger Wiederstand renitenter Bauherren und Baumeister, die ihre politische Niederlage nicht akzeptieren wollen. Dies vorab im Kanton Wallis, der mit Zweitwohnungen jetzt schon recht arg zugebaut ist.

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