Sommarugas billige Entschuldigung

Rund 10 000 Verdingkinder, die in der Schweiz wie Sklaven ausgebeutet wurden, fordern jetzt Gerechtigkeit und Entschädigung. Nächste Woche will sie der Bundesrat mit einer wohlfeilen «Entschuldigung» abspeisen.

Rund 10 000 Verdingkinder, die in der Schweiz wie Sklaven ausgebeutet wurden, fordern jetzt Gerechtigkeit und Entschädigung. Nächste Woche will sie der Bundesrat mit einer wohlfeilen «Entschuldigung» abspeisen.

Das wird bestimmt eine würdige Feier: Auf nächsten Donnerstag, den 11. April, hat die Landesregierung zu einem «Gedenkanlass für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen» ins Kulturcasino Bern eingeladen. EJPD-Chefin Simonetta Sommaruga will sich – während der musikalisch umrahmten Veranstaltung – für die «schwierigen Umstände» offiziell entschuldigen, in denen Verdingkinder und andere «Versorgte» aufwachsen mussten. Zu Wort kommen sollen auch der «Delegierte für Opfer» der Zwangsmassnahmen, Alt-Ständerat Hansruedi Stadler (UR), die Landeskirchen, Kantone, Städte, Gemeinden, der Bauernverband und natürlich die Opfer, die im Programm nur noch «Betroffene» genannt werden.

Der heute 76 Jahre alte Hugo Zingg ist einer dieser «Betroffenen»: Er ist ein ehemaliger «Verdingbub» wie es allein im letzten Jahrhundert und noch bis um 1970 herum in der Schweiz Huntertausende gab. Als nur 6-Jähriger kam er im Zweiten Weltkrieg auf einen Bauernhof im Gürbetal bei Bern. Dort musste er von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang «immer nur chrampfe», bekam kaum zu Essen und wurde von der Bäuerin für alles und jedes mit dem Lederriemen «abgeschlagen». Jahrelang leistete Zingg so unbezahlte Zwangsarbeit.

Hiessen nur «dr Bub», wie die schwarzen US-Sklaven nur «Boy» genannt wurden.

Dieses Unrecht, dieses Leiden und solche Brutalitäten sind durchaus mit der Sklaverei in den USA vergleichbar, wie eine Arbeit an der Uni Bern gezeigt hat: So wurden etwa die Verdingkinder oft nur als «dr Bub» bezeichnet – gleich wie die schwarzen US-Sklaven als «Boy» verächtlich gemacht wurden. Nicht einmal ihr Name wurde den Entrechteten gegönnt.

Hugo Zingg

Für Zingg und für die meisten der noch etwa 10’000 überlebenden Schweizer Verdingkinder ist Sommarugas «Entschuldigung» darum nur «ein erster Schritt», wie er betont. Und er befürchtet: «Das am Donnerstag wird wohl eine Schönwetter-Feier.» Denn den Worten müssten Taten folgen. Konkret: Die Täter, Verantwortlichen und Profiteure dieses Unrechts, von denen ebenfalls noch immer Tausende da sind, müssten eruiert und konfrontiert werden. Ihre Opfer hätten Anrecht auf Entschädigung und Wiedergutmachung. Und nicht zu knapp: Insbesondere die Schweizer Landwirtschaft hat von der Ausbeutung der Kinder-Sklaven massiv profitiert. Seriöse Schätzungen gehen von Milliarden aus.

Verdingkinder im Gesetz vergessen

Doch jüngste Erfahrungen dämpfen die Hoffnungen der ehemals Verdingten und Versklavten auf gerechte Entschädigung. Denn Sommarugas Entschuldigung bei den Verdingkindern ist nicht die erste solche «Geste». Auch ihre Vorgängerin im Amt, BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, hatte sich schon 2010 bei «administrativ» und willkürlich eingekerkerten Frauen «offiziell entschuldigt». Sie nannte das damals eine «moralische Wiedergutmachung». Warum, ist inzwischen klar: Entschuldigung und Moral sind gratis und wohlfeil. Konkret: Im danach erarbeiteten «Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen», das jetzt in die Räte kommt, steht in Artikel 4 ebenso knallhart wie deutlich, die «Anerkennung des Unrechts» begründe «keinen Anspruch auf Schadenersatz, Genugtuung oder sonstige finanzielle Leistung».

In diesem Gesetzesentwurf sind die Verdingkinder ohnehin nirgends explizit erwähnt. Und in Artikel 5 zum Thema «Historische Aufarbeitung» steht: «Personendaten werden für die Veröffentlichung anonymisiert». Sollen damit feige Täter und Profiteure des schlimmen Verdingkinder-Unrechts nun ebenso geschützt werden wie damals im Fichenskandal die hinterlistigen Denunzianten?

Die überlebenden Opfer, die sich im «Netzwerk verdingt» zusammengeschlossen haben, stellen über die «offizielle Entschuldigung» hinaus darum jetzt folgende Forderungen auf:

  • Historische Aufarbeitung dieses üblen Kapitels in der Schweizer Geschichte

  • Uneingeschränkte Akteneinsicht für die Opfer

  • Errichtung eines Härtefonds für die Betroffenen

  • Errichtung eines Kompetenzzentrums

  • Aufarbeitung der Behördenwillkür

  • Eine Informations- und Dokumentationsplattform

  • Rückerstattung ihrer gestohlenen Guthaben

  • Wiedergutmachung

Zu diesem letzten Punkt sagt Zingg: Es könne ja wohl kaum sein, dass man den Bauland- und Planungsgewinnlern im Wallis bei Rückzonungen nun leistungsfreie Entschädigungen in Milliardenhöhe verspreche. Und dann die unbezahlten Milliarden-Leistungen der Verdingkinder durch all die Jahrzehnte einfach ignoriere. Der rüstige Rentner ist gespannt, was Bunderätin Sommaruga am Donnerstag dazu sagt.

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