Um die volle Sozialhilfe zu bekommen, müssen die Sozialhilfebezüger in Grellingen unentgeltlich arbeiten. Seit vier Wochen wird das Projekt bereits durchgeführt. Ein Besuch in der Baselbieter Gemeinde.
Die Luft ist kalt, der Himmel grau. Vor dem Werkhof der Gemeinde Grellingen versammeln sich um acht Uhr fünf Männer und eine Frau in orangefarbener Kleidung mit Leuchtstreifen. Die sechs Personen sind Sozialhilfebezüger und fassen von ihrem Betreuer und dem Werkhofleiter ihre Aufgaben für den Tag. Der Gemeinderat Stephan Pabst ist auch anwesend.
Arbeitsbeginn
Die Sechsergruppe vor dem Werkhof marschiert nach der Aufgabenverteilung los. Heute steht auf dem Programm: Brunnen putzen, den Friedhof sauber machen und Laub rechen. In Teams gehen sie durch das nach Schulbeginn leere Dorf. In den Händen halten sie ihr Werkzeug, die Arbeitswege müssen sie zu Fuss zurücklegen. Fahrzeuge hat der Werkhof nicht genug.
Die eine Frau und die fünf Männer sind Teil eines neuen Beschäftigungsprogramms in Grellingen. Sozialhilfeempfänger bekommen im Kanton Baselland mindestens 1077 Franken. Um in der Gemeinde Grellingen den vollen Betrag zu erhalten, müssen die von der Sozialhilfe Abhängigen arbeiten, im Beschäftigungsprogramm. Tun sie es nicht, drohen Kürzungen um bis zu 20 Prozent. Lohn erhalten sie für die Arbeit keinen. Der Grund für das neue Programm: Die Gemeindekasse ist stark im Minus.
Rote Zahlen in Grellingen
Obwohl im Vergleich zu den anderen Baselbieter Bezirken im Bezirk Laufen die Anzahl Sozialhilfeempfänger gering ist, hat die Gemeinde ein Problem. Die Jahresrechnung von 2013 weist ein Defizit von 800’000 Franken auf. Allein für die Sozialhilfe musste die Gemeinde letztes Jahr 830’000 Franken aufwenden. Im Vergleich zu den anderen Laufentaler Gemeiden hat Grellingen mit Abstand die höchsten Ausgaben – pro Person sind es 419 Franken. In Röschenz sind es «nur» 25 Franken pro Kopf.
Die Idee für das Beschäftigungsprogramm entstand bei einem Workshop unter dem Namen Zukunft Grellingen. Alle Einwohner Grellingens waren eingeladen. Das Ziel der Veranstaltung: In allen Bereichen eine positive Entwicklung in und um Grellingen fördern. Ein Ergebnis des Workshops ist die «Beschäftigung der Sozialhilfefälle». Im besten Fall sollen diese auch wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden.
Sparen steht nicht im Vordergrund
Der Arbeitstrupp geht weg vom Werkhof, der Grellinger Gemeinderat Stephan Pabst bleibt vor Ort. Pabst ist zuständig für das Ressort Soziale Dienste und kümmert sich um die Umsetzung des neuen Projektes. Vier Wochen läuft das Beschäftigungsprogramm bereits.
«Wir sparen mit dem Programm kein Geld», sagt der Gemeinderat. Für Pabst sind die Gründe klar, warum Grellingen so attraktiv für Sozialhilfeempfänger ist. Einerseits ist die Gemeinde gut im öffentlichen Verkehr angebunden, andererseits der Wohnraum günstig.
Weniger günstiger Wohnraum bedeutet laut Pabst weniger Sozialhilfeempfänger. Ein Gegenmittel für die Gemeinde: Das Gespräch mit Liegenschaftsbesitzern suchen und diese zu Aufwertungen animieren. Dank der Aufwertung soll die Attraktivität für Sozialhilfeempfänger gesenkt werden. Das Beschäftigungsprogramm dient weniger der Attraktivitätssenkung:
«Am Anfang habe ich mich schon dagegen gesträubt», sagt ein Teilnehmer. Laut ihm waren es gesundheitliche Gründe, aber jetzt sei es gut. «Es hat meine Tagesstruktur verändert, jetzt bleibe ich nicht mehr ewig wach.» Jetzt ist er auf der Suche nach einem Job, er würde auch täglich den halben Tag arbeiten. «Nur 100 Prozent wäre mir zu viel», sagt der Sozialhilfeempfänger. Er ist dem Projekt gegenüber, trotz anfänglicher Skepsis, «positiv» eingestellt. Ein anderer Sozialhilfeempfänger sagt: «Ich finde es gut, man macht etwas für die Allgemeinheit.» Ihm helfe das Programm, er sieht einen längerfristigen Nutzen. Die anderen Teilnehmer wollten keine Auskunft geben.
«Man darf nicht alle in einen Topf werfen», sagt der Betreuer U.B. im Beschäftigungsprogramm. Der Rentner sagt: «Man kann nicht nur Kritik anbringen und dann nichts machen.» Deswegen macht er bei dem Programm mit, ehrenamtlich wie er betont. Er sitzt in seinem roten Volvo und fährt die Arbeitsorte der Beschäftigten ab. Die Aufwandsentschädigung wird direkt auf ein Gemeindekonto überwiesen, 40 Franken pro Tag: «Vielleicht gehen die Teilnehmer und ich Pizza essen oder ich spende den Betrag einfach dem Frauenverein oder einem anderen wohltätigen Verein.» Das Geld für sich selber gebrauchen möchte er nicht.
Der Chef der Truppe
U.B. war früher Geschäftsleiter bei einer Pensionskasse und Personalchef bei einem Unternehmen. Jetzt besteht sein Personal für drei Tage pro Woche aus Bedürftigen. Jeden Arbeitstag steht er um halb acht beim Werkhof und bespricht mit dem Leiter das Tagesprogramm. Danach begrüsst er bei Arbeitsbeginn die Beschäftigten und gibt ihnen die Aufgaben. Den Morgen hindurch fährt er mit seinem roten Volvo durch die Gemeinde, schaut, ob die Arbeiten ausgeführt werden und ob die Arbeitenden Material brauchen.
Vom Werkhof fährt U.B. los, es ist Zeit für den Kontrollgang. Das rote Auto biegt nach rechts ab, vorbei am Restaurant Chez Georges, und hält vor dem mit Laub bedeckten Friedhofsparkplatz. «Das gehen wir morgen an», sagt er im Vorbeigehen. U.B. zündet sich eine Zigarette an und geht in Richtung Eingang. «Früher hatte ich starke Vorurteile, wie die ganze Gesellschaft», erzählt er. «Ich dachte, Alkohol und Drogen seien ein Problem im Leben der Sozialhilfeempfänger.» Während der Arbeit mit den Beschäftigten stellte er fest, dass dem nicht so sei: «Ich war richtig positiv überrascht, dass die Volksmeinung nicht stimmte. Am ersten Tag waren auch alle bis auf einen pünktlich.»
Der Werkhof ist erfreut
Auf dem Friedhofsgelände angekommen, begrüsst er die Arbeitenden zum zweiten Mal. Auch jeden Morgen gibt es einen Handschlag – ein Ritual. «Es geht um den Respekt», sagt der Betreuer dazu. Auf dem Friedhof steht auch der Werkhofleiter Marc Pflugi. Für ihn ist das Projekt ein Erfolg: «Es ist eine Erleichterung für uns. Wir können mehr machen», sagt Pflugi. Eine Aufstockung des Personals wäre nicht möglich, zu gross seien die Kosten. Pflugi hat bis jetzt nur gute Erfahrungen gemacht.
Es ist kurz vor zwölf Uhr, die Arbeitenden spazieren wieder zurück zum Werkhof. U.B.s Volvo steht auch wieder davor. Die Teilnehmer versorgen ihr Material, verabschieden sich und gehen wieder ihren Weg zurück ins Dorf. Für den Gemeinderat Stephan Pabst ist das Programm ein Erfolg: «Wir sind jetzt noch in einer Testphase bis Ende Jahr. Aber wir wollen das Projekt weiterziehen.» Auch über eine Erhöhung der Teilnehmerzahlen wird nachgedacht: «Solange es genug Arbeit auf dem Werkhof gibt», sagt Pabst.