Spurensuche an den Rändern der Konflikte

Wann beginnt ein Krieg und wann hört er auf? Darum dreht sich der Fotoband «Krieg ohne Krieg» von Meinrad Schade, der vor Kurzem erschienen ist. Ein Gespräch über Kriegsfotografie, stille Bilder und Kriegsspuren in der Schweiz.

Wolgograd (1925–1961 Stalingrad), Russische Föderation, 2009. Tausende strömen am 9. Mai, dem «Tag des Siegs», zur Statue «Mutter-Heimat-ruft». Alljährlich wird der Sieg der Roten Armee über die deutsche Wehrmacht gefeiert. Die Skulptur gehört mit 85 Metern Höhe zu den grössten Statuen der Welt und befindet sich auf einem in der Schlacht um Stalingrad hart umkämpften Hügel. (Bild: Meinrad Schade / Anzenberger)

Wann beginnt ein Krieg und wann hört er auf? Darum dreht sich der Fotoband «Krieg ohne Krieg» von Meinrad Schade, der vor Kurzem erschienen ist. Ein Gespräch über Kriegsfotografie, stille Bilder und Kriegsspuren in der Schweiz.

«Krieg ohne Krieg» – so lautet der einprägsame Titel Ihres Buches und Ihrer Ausstellung. Welche Idee steckt dahinter?

Meinrad Schade: Der Arbeitstitel, den ich meinem Projekt gegeben habe, hiess «Vor, neben und nach dem Krieg. Spurensuche an den Rändern der Konflikte». Der ist zwar lang, aber inhaltlich ziemlich vollständig: Ich bewege mich räumlich und zeitlich vom Zentrum des Krieges weg. Wenn ich kurz erklären soll, was ich mache, dann sage ich oft, ich bin Kriegsfotograf, ohne in den Krieg zu gehen. Daraus hat sich die Kurzformel «Krieg ohne Krieg» entwickelt.

Wie sind Sie darauf gekommen, ein solcher Kriegsfotograf zu werden?

Initialzündung war 2007 ein Projekt über Museen in der Ex-Sowjetunion. Damals haben wir unter anderem das Museum des Grossen Vaterländischen Krieges in Kiew besucht und ich war überwältigt, wie sich in Kiew der Zweite Weltkrieg und der Sieg über Hitler-Deutschland in der Architektur oder auch den entsprechenden Feierlichkeiten widerspiegeln. Zeitlich gesehen entfernt man sich zwar vom Krieg, aber die Feierlichkeiten werden immer wichtiger. Das wirft für mich die Frage auf: Wann ist ein Krieg eigentlich vorbei? Provokativ könnte ich behaupten: Der Zweite Weltkrieg ist noch nicht vorbei. Solange man rund um diesen Krieg eine Gedenk- und Feierkultur aufbaut und auch eine Propaganda, ist er definitiv noch nicht beendet.

Als Sie 2013 den n-ost-Reportagepreis für Ihre Bildstrecke über Berg-Karabach erhalten haben, haben Sie erzählt, dass Sie sich mit der klassischen Kriegsfotografie oft schwertun. Warum ist das so?

Natürlich brauchen wir auch die klassische Kriegsfotografie. Mein Einwand ist aber der, dass mir diese Art von Bildern zum Teil recht einfach gestrickt scheint. Sie transportieren klare Botschaften – Tod, Gewalt, Leid – und sie sind dramaturgisch so aufgebaut, dass sie Reflexe hervorrufen. Man schaut die Bilder an und findet sie schrecklich. Aber damit, so finde ich, erschöpfen sich die Bilder auch schnell. Das andere ist, dass Kriegsfotografen und -fotografinnen häufig begleitet sind von einem Heldentum. Das finde ich fragwürdig. Gleichzeitig bewundere ich die Kollegen dafür, dass sie sich den Gefahren aussetzen. Ich hätte den Mut nicht, ich hätte Angst.

«Ich strenge mich an, den ‹lauten Bildern› nicht zu erliegen. Dass ich das aushalte, ist vielleicht meine Art von Mut.»

Worin besteht die Herausforderung, «Krieg ohne Krieg» zu dokumentieren – also etwas zu fotografieren, was eigentlich nicht da ist?

Für mich bedeutet das, dass ich mich auf die Suche nach Spuren mache, die nicht sofort zu erkennen sind. Wenn es auf den ersten Blick nichts zu sehen gibt, darf ich eben nicht aufgeben, sondern muss weitersuchen. Ich strenge mich an, den «lauten Bildern» nicht zu erliegen. Dass ich das aushalte, ist vielleicht meine Art von Mut.

Sie sprechen immer wieder von «lauten» Bildern – und mögen die stilleren lieber. Warum?

In Bildern drückt sich eben auch die Autorenschaft aus. Man sieht die Handschrift des Autors – ich sage bewusst nicht Künstler –, und ich bin einfach kein lauter Typ Mensch. Ich mag lieber Bilder, die man länger betrachten muss – auch auf die Gefahr hin, dass die Leute sich das nicht anschauen mögen, weil es ihnen zu kompliziert ist, weil es nicht laut genug schreit, weil man nicht hängenbleibt. Das ist immer die Gefahr und ich habe oft das Gefühl, die komplexeren, stilleren Bilder haben es schwerer. 

Was würden Sie in Deutschland fotografieren, um zu zeigen, dass der Krieg noch nicht vorbei ist?

Die Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich habe schon mal überlegt, ob ich sie fotografiere. Das scheint mir ein Dauerthema zu sein, immer wieder stösst man bei Bauarbeiten auf Fliegerbomben und zum Teil haben diese Funde verheerende Folgen. Und es gibt ganze Teams von Spezialisten, die damit beschäftigt sind, diese Bomben zu kartieren.

«Diesen Krieg, der einfach nur schrecklich ist, den kann man recht gut verdrängen, weil er nicht bei uns stattfindet. Ich versuche, zu zeigen, wie der gewöhnliche Alltag vom Krieg durchdrungen ist.»

Und in der Schweiz?

Auch in der Schweiz gäbe es viele Themen. Das Schiessen zum Beispiel, das hierzulande eine so grosse Rolle spielt. Dann gibt es – ein anderer Fotograf hat das schon dokumentiert – das Schweizer Réduit, ein System von Verteidigungsanlagen, die die Armee errichtet hat, als sie sich in die Alpen zurückgezogen hat. Da sind ganz verrückte Sachen zu finden: Als Bauernhäuser getarnte Bunker oder ein Gefechtsstand in einer Scheune. Für mein erstes grosses Projekt habe ich hier bei uns Flüchtlinge aus dem Kosovo fotografiert. Ein Bild davon ist auch in der Ausstellung zu sehen.

Was ist Ihre Intention, welche Reaktion der Betrachter auf Ihre Bilder würden Sie sich wünschen? 

Am wichtigsten ist mir, dass meine Bilder Fragen aufwerfen. Klaren Botschaften versuche ich mich eher zu verweigern. Worauf ich mich festlegen lasse, ist, dass ich die Bedeutung des Krieges in unserer Gesellschaft und in unserem Leben dokumentieren möchte. Diesen Krieg, der einfach nur schrecklich ist, den kann man recht gut verdrängen, weil er nicht bei uns stattfindet. Ich versuche zu zeigen, wie der gewöhnliche Alltag vom Krieg durchdrungen ist. Das zu sehen kann auch erschreckend sein, zumindest habe ich das als Rückmeldung nach der Ausstellungseröffnung bekommen – und mich dabei ertappt, wie ich mich gefreut habe. 

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Meinrad Schade, geboren 1968, hat sich nach seinem Biologie-Studium entschieden, Fotograf zu werden. Von 1997 bis 1998 lernte er in der Gruppe Autodidaktischer Fotografen und Fotografinnen in Zürich, 1999 bis 2000 absolvierte er den ersten Lehrgang für Pressefotografie an der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern. Seit 2003 arbeitet Meinrad Schade als selbstständiger Porträt- und Reportagefotograf und für die Agentur Lookat Photos. Er hat mehrere Preise gewonnen, darunter 2013 den n-ost-Reportagepreis in der Kategorie Fotoreportage. Derzeit führt er sein Langzeitprojekt «Vor, neben und nach dem Krieg» in Israel und Palästina fort.

Er dokumentierte das Leben von Vertriebenen, die Folgen von Atombombentests, den Alltag einer instabilen Waffenruhe und die Erinnerungskultur rund um den Zweiten Weltkrieg. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind nun als Fotoband «Krieg ohne Krieg» erschienen. Die gleichnamige Ausstellung ist bis 17. Mai 2015 in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zu sehen.

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