Stiller Protest gegen Wahl ohne Wahl

Auch am zweiten Tag der ersten Runde der ägyptischen Parlamentswahlen ist ein Ansturm an den Urnen ausgeblieben. Die Regierung versucht mit allen Mitteln, die Beteiligung an diesem letzten Schritt zur Demokratisierung hoch zu treiben. Auch mit Bussdrohungen.

Im Unterschied zu 2011 sind es dieses Jahr die Organisatoren der Wahlen, die warten müssen. Die Wahlbeteiligung bleibt auch am zweiten Tag tief.

(Bild: ROGER ANIS)

Auch am zweiten Tag der ersten Runde der ägyptischen Parlamentswahlen ist ein Ansturm an den Urnen ausgeblieben. Die Regierung versucht mit allen Mitteln, die Beteiligung an diesem letzten Schritt zur Demokratisierung hoch zu treiben. Auch mit Bussdrohungen.

Von den Freudentänzen bei der Wahl von ex-Armeechef Abdelfattah al-Sisi zum Präsidenten im Mai 2014 ist nichts mehr zu sehen. Jetzt herrscht eine Atmosphäre von Pflichtgefühl rund um die Wahllokale.

Eine alte Frau schleppt sich auf ihrem Stock in eines der zu Wahlbüros umfunktionierten Klassenzimmer in Giza. Sie bittet den Vorsitzenden Richter, ihr zu sagen, was sie wählen soll. Der lehnt kategorisch ab, versucht immerhin zu helfen. Welche Kandidaten? «Mohammed», sagt die Greisin. Davon gibt es viele. «Das Telefon», nennt sie schliesslich eines der Bildsymbole, die jeder Kandidat zu seiner Erkennung auch für Analphabeten hat.

Anreize und Drohungen

Der Richter hält den Vorgang gleich in einem Protokoll fest. Er hat Zeit. Diesmal warten die Organisatoren, nicht die Wähler. So gering war der Andrang noch bei keinem der zahlreichen Urnengänge nach der Revolution von 2011.

Gleiches Bild am Montagabend in einem Gymnasium in Agouza, einem Wohnviertel der Mittelklasse. Die Wahlhelfer vertreiben sich die Langweile mit ihren Smartphones. Hier wissen die wenigen Wähler aber besser Bescheid über das komplizierte System aus Listen und Einzelkandidaten. Die meisten bringen ihren «Spickzettel» mit den Namen ihrer Favoriten mit. Es sind vor allem ältere Leute, mehr Frauen als Männer. Junge sind kaum zu sehen.

«Viele sind arm und nach vier Jahren mit Problemen haben sie das Vertrauen in die Politik verloren», sagt ein Rentner nach der Stimmabgabe. 

Regierungschef Sherif Ismail sprach von 15 Prozent Beteiligung am ersten Tag. Lokale Wahlbeobachter nannten viel tiefere Zahlen. Um den Zustrom anzukurbeln, hat die Regierung den Beamten einen halben Tag frei gegeben. In Alexandria waren die öffentlichen Verkehrsmittel gratis. Aber die Wahlkommission hat auch nochmals betont, dass Nichtwählen mit einer Strafe von 500 Pfund geahndet werde.

Die umgerechnet 60 Franken sind viel Geld, auch wenn die Strafe selten durchgesetzt wird. Dennoch ist auch am zweiten Tag der Anstieg nicht überwältigend. «Viele sind arm und nach vier Jahren mit Problemen haben sie das Vertrauen in die Politik verloren», sagt ein Rentner nach der Stimmabgabe. Eine glühende Sisi-Anhängerin macht die Runde im Quartier und fordert Bekannte auf zu wählen. Die Wahl sei wichtig, damit Ägypten stabil bleibe, wieder zu seiner Stärke finde, das Potenzial ausschöpfen könne und Junge eine Arbeit finden würden, begründet sie ihre Anstrengungen.

Geld macht den Unterschied

Im Wahlkreis Giza-Agouza sind es von den 34 Kandidaten ein junger Liberaler, Ahmed Mortada Mansour, und ein berühmter Fernsehmoderator, Abdel Rahim Ali, welche die Kampagne dank viel Geld dominiert haben. Ihre gigantischen Plakate zieren alle Durchgangsstrassen. Auch der unabhängige Politologe Amr Shobki hat noch eine grössere Präsenz.

Junge Männer aus Alis Team stehen auch am Wahltag vor einem Wahllokal. «Wir stellen nur sicher, dass die Muslimbrüder nichts Verbotenes tun, wir beeinflussen niemanden», beteuert einer von ihnen. Ganz offensichtlich gibt es auch Kandidaten, die Fahrdienste organisiert haben.

Die tiefe Wahlbeteiligung kommt nicht überraschend. Die Parteien spielen bei diesem Wahlsystem mit 80 Prozent Einzelkandidaten kaum eine Rolle, die Muslimbrüder – die letzten Wahlsieger – wurden zu Terroristen erklärt, viele liberale Oppositionelle sind im Gefängnis und die Studenten wurden mundtot gemacht. Diejenigen, die antreten, unterstützen alle Präsident Sisi.

Im Netz wurde die niedrige Wahlbeteiligung spöttisch kommentiert. Ein Satiriker meinte, das sei so, weil es im Vorfeld genial gelungen sei, zu vermitteln, dass es keine Probleme gebe. Ein anderer befand, boykottieren bedeute den Sieg der ultra-konservativen Salafisten, wählen bedeute den Sieg der Mubarak-Getreuen.

Sicherheitskräfte weniger martialisch

Die fehlende politische Brisanz hat sich positiv auf die Sicherheit ausgewirkt. Die Vorwahlzeit war ausgesprochen ruhig. Dennoch waren rund 400’000 Mann an Polizei und Militär aufgeboten. Aber ihre Präsenz war viel weniger martialisch als bei Sisis Wahl im letzten Jahr.

In der ersten Runde fanden Montag und Dienstag die Wahlen für 286 Sitze in 14 Provinzen statt, darunter der Giza-Teil von Kairo, Alexandria und Oberägypten. In zehn Tagen gibt es Stichwahlen und im November wird das selbe Prozedere für die zweite Landeshälfte durchgeführt. Die Endergebnisse werden deshalb erst Anfang Dezember feststehen.

Ägypten ist seit drei Jahren ohne Parlament. Regiert wird mit Dekreten.

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