Stimmung gegen Stimmung nach Urteil zu SVP-Inserat

Diffamierungen bereiten den Weg zur Diskriminierung: Das Gerichtsurteil zum Kosovaren-Inserat der SVP setzt ein wichtiges Zeichen.

Jetzt spielen sie wieder die Märtyrer der Meinungsfreiheit: SVP-Präsident Brunner an einer Parteiversammlung.

(Bild: LAURENT GILLIERON)

Diffamierungen bereiten den Weg zur Diskriminierung: Das Gerichtsurteil zum Kosovaren-Inserat der SVP setzt ein wichtiges Zeichen.

Rassismus? In unseren Medien ist statt vom Rassismus selbst häufiger von Gerichtsentscheiden die Rede, die zu Recht oder Unrecht gegen vermeintlichen oder tatsächlichen Rassismus gefällt werden.

So auch Anfang dieses Monats im Falle eines Entscheids des Regionalgerichts Bern-Mittelland zu einem SVP-Inserat. Da Parteipräsident Toni Brunner parlamentarische Immunität geniesst (nicht nur für seine Auftritte im Nationalratssaal, sondern schweizweit) wurden zwei Hauptverantwortliche des SVP-Generalsekretariats zur Kasse gebeten: 17’400 bzw. 23’400 Franken plus 7330 Franken Verfahrenskosten.

Was war die Straftat? Die SVP schaltete im Sommer 2011 im Rahmen der Unterschriftensammlung für ihre Masseneinwanderungs-Initiative ein Inserat, mit dem sie suggerierte, «Kosovaren» seien Menschen, die Schweizer aufschlitzen würden. Es war eine an einen tatsächlich vorgefallenen Einzelfall anknüpfende Diffamierung, die eine ganze soziale (ethnische) Gruppe in der Schweiz lebender Menschen in unzulässiger Weise problematisierte.

Nicht nur für die Einzelrichterin, auch für Experten, beispielsweise für Gerhard Fiolka, Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg, ist der Fall eindeutig: Indem Kosovaren pauschal als Gewaltverbrecher bezeichnet werden und gleichzeitig dazu aufgerufen wird, diese Gruppe nicht mehr ins Land zu lassen, werde ihr das Recht abgesprochen, in der Schweiz gleichberechtigt zu leben.

Täter stilisieren sich als Opfer

Ein juristischer Grenzfall ist das Urteil insofern, als es Kosovaren als Ethnie auffasste und nicht als Nationalität. Denn Letztere ist nicht geschützt. Man darf also – siehe unten – zum Beispiel «Süditaliener» pauschal verunglimpfen. Im Falle der Kosovaren ist erst 2008 eine teilweise anerkannte Nationalität hinzugekommen, vorher bildeten sie in Serbien eben doch eine Ethnie.

Der Fall stimmt in mehrfacher Hinsicht nachdenklich: Weniger, dass die Beklagten völlig uneinsichtig sind, dass sich die Täter einmal mehr als Opfer stilisieren und sich wehleidig beklagen, dass Justitia (die ihre Pflicht getan hat) Stimmung gegen sie mache, nachdem sie selber grobfahrlässig Stimmung gegen eine leicht verletzbare Minderheit gemacht haben. Dies, obwohl einzelne Zeitungen das Inserat genau deswegen nicht veröffentlichten, was für die Täter ein Hinweis auf die Problematik hätte sein müssen.

Nachdenklich muss stimmen, dass der Weg bis zu diesem Urteil mühsam war. Zunächst gab es ein Hin und Her zwischen Behörden wegen der Zuständigkeitsfrage, dann verpflichtete das Bundesstrafgericht die Berner Staatsanwaltschaft zur Untersuchung, dann wurde das Verfahren aus angenommenem Mangel an Beweisen eingestellt, dann verpflichtete, weil die Klägerseite Einspruch erhob, das Berner Obergericht die Berner Staatsanwaltschaft, das Verfahren wieder aufzunehmen.

Märtyrerin der Meinungsfreiheit

Höchst bedenklich war die Reaktion des Schweizer Fernsehens. Statt sich mit der Diffamierung selbst zu befassen, wollte es mit einer Story aufzeigen, wie leichtsinnig in Rassismusfragen Anzeigen erstattet werden und die armen Angezeigten deswegen Unannehmlichkeiten erleiden würden.

Als Illustrationsbeispiel diente die Anzeige gegen den blöden Italiener-Witz, den sich Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP!) in einem Comedy-Auftritt im Dezember 2013 geleistet hatte, in dem er die Italiener, die in diesem Land enorm viel gearbeitet hatten (von der Expo 64 über den Gotthardtunnel bis zu den vielen Schulhaus- und Spitalbauten) mit dem Faulheitsverdacht eindeckte. Die Anzeige wurde nicht weiterverfolgt und dem Politiker dürfte wegen der Anzeige kein Nachteil erwachsen sein. Dennoch liess man Strafrechtsprofessor und Nationalrat Daniel Jositsch (SP!) lang und breit über die Gefahr ungerechtfertigter Anzeigen referieren.

Wenn Verstösse wie das SVP-Inserat gegen Kosovaren nicht mehr geahndet würden, sollte man den Strafrechtsartikel 261bis gleich abschaffen.

Die verurteilte Seite, die gegen das Urteil wohl rekurrieren wird, zeigte sich «besorgt» über das «bedenkliche» Urteil und stufte es als «politisch» ein. Politisch wird sie aus dem Urteil eher Profit als Schaden ziehen. Bei ihren Anhängern wird sie als Märtyrerin der Meinungsfreiheit erscheinen und umso entschiedener unterstützt werden.

Wenn Verstösse wie der vorliegende nicht mehr geahndet würden, sollte man den Strafrechtsartikel 261bis gleich abschaffen. Dann müsste man allerdings auf den Scheinkomfort verzichten, der darin bestünde, vor sich selber und dem Ausland sagen zu können, dass man ja ein Instrument habe, um Rassismus einzuschränken.

Menschenwürde versus freie Rede

Selbstverständlich machten die rassistischen Diffamierer auch die Meinungsfreiheit geltend und die Richterin musste sich mit diesem Argument auseinandersetzen. Sie gewichtete die Menschenwürde der in der Schweiz lebenden Kosovaren höher als das Recht auf freie Rede. Erstaunlich, wie sehr sich Verteidiger der «Schweizer Freiheit» darüber empörten und sich gegen den unschweizerischen «Maulkorb» wehrten.

Während die meisten einsehen, warum man sich gegen individuelle Beleidigung auch gerichtlich wehren kann, soll diese Möglichkeit nicht bestehen, wenn ganze Gruppen beleidigt werden. Dabei sollte es einleuchten, dass einzelne Gruppenangehörige die negativen Konsequenzen der Diffamierung zu tragen haben. Das in unseren Breitengraden bekannteste Beispiel für diesen Mechanismus ist der Antisemitismus mit seinen verheerenden Konsequenzen für die einzelnen Menschen, die der Gruppe der Juden zugeordnet wurden.

Im Antirassismus-Artikel geht es nicht um den Schutz irgendwelcher Gruppen, sondern um kulturell gegebene Gruppen, um, wie das Gesetz sagt, Rasse, Ethnie, Religion. Also nicht um sich frei bildende Gruppen von Motorradfahrern, Veganern oder Trägern von Baseballmützen, die alle aus eigener Entscheidung das tun und sind, was ihre Gruppe konstituiert. Und mit «Rasse» ist nicht eine biologische Relevanz angesprochen, sondern die noch immer bestehende Vorstellung, dass biologische Merkmale verlässliche Indikatoren für bestimmte menschliche Qualitäten sind.

Unsere heterogenen Gesellschaften sind darauf angewiesen, dass das Zusammenleben nicht durch Hasspropaganda gefährdet wird.

Der Berner Gerichtsfall kann uns daran erinnern, worum es im Fall der Antirassismus «auch noch» geht. Im allgemeinen Verständnis geht es um den Schutz von Minderheiten, wobei aus der Mehrheit – verständlicherweise je nach Situation – immer wieder Stimmen laut werden, die ebenfalls Schutz beanspruchen, wenn es um Beschimpfungen als «Sauschweizer» geht.

Wenn man zur komfortablen Mehrheitsgesellschaft gehört, könnte es einem egal sein, wenn «Kosovaren» und analoge Gruppen diffamiert werden. Neben dem menschenrechtlichen Argument, dass Angriffe auf Menschen nie egal sind, sollte man sich bewusst sein, dass Hinnahme der Diffamierung von Einzelgruppen eine allgemeinere Diffamierungskultur fördert und diese mit der Zeit auch andere betrifft.

Oberstes Ziel ist der Schutz des sozialen Friedens einer ganzen Gesellschaft. Und indem man diesen ernst nimmt, tut man nicht nur für «andere» etwas, sondern letztlich auch für sich selber. Unsere dynamisierten und entsprechend heterogenen Gesellschaften sind immer stärker darauf angewiesen, dass das einigermassen friedliche Zusammenleben nicht durch Hasspropaganda gefährdet wird.

Von der Diffamierung zur Diskriminierung

Gegner der Antirassismusstrafnorm verharmlosen Angriffe, wie sie im besagten Inserat unternommen worden sind, als doch «bloss» verbaler Natur, allenfalls in Kombination mit «bloss» visuellen Signalen, was doch noch kein «echtes» Diskriminieren sei. Es sind aber Diffamierungen, und diese sind in vielen Fällen wegbereitende Vorstufen für «echte» Diskriminierung bei der Arbeitsplatzvergabe, der Wohnungssuche oder – sehr wichtig – beim Zutritt zu Discos.

Die SVP und ihre Sympathisanten werden sich durch solche Verurteilungen von ihrer Grundeinstellung, ihren Methoden und Zielsetzungen nicht abhalten lassen, und sie werden – wie bisher – versuchen, zu weit zu gehen, ohne rechtlich greifbar zu werden.

Dennoch ist es wichtig, dass die geltenden Bestimmungen nicht aufgeweicht werden. Das Berner Urteil musste so ausfallen, wie es erfolgte. Selbstverständlich war es angesichts heutiger Stimmungen aber nicht. Darum: Gratulation an Einzelrichterin Christine Schaer zum Mut, den es dazu brauchte.

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