Opferanwalt Christian von Wartburg verlangt eine Strafuntersuchung gegen den Basler Polizeikommandanten Gerhard Lips. Die Staatsanwaltschaft lehnt das ab. Dabei ist Lips viel stärker in die unrühmliche Pappteller-Affäre involviert, als bislang bekannt.
G.* muss die Information für brisant gehalten haben, die bei ihm am 18. Juni 2014 eingegangen war. Der Leiter des Dienstbereichs Einsatz & Planung der Basler Kantonspolizei hatte Meldung erhalten über eine geplante Aktion des Künstlerkollektivs «diezelle» während der Art Basel. Darauf hingewiesen hatte die Pressesprecherin der Kunstmesse Dorothee Dines.
Tags darauf stand Hauptmann G. im Büro von Polizeikommandant Gerhard Lips und schlug diesem ein hartes Eingreifen vor. Er habe vor, diese Performance von vornherein zu unterbinden und mit polizeilichen Mitteln zu verhindern. Lips reagierte vorsichtig: Er wolle aufgrund der politischen Dimension der Angelegenheit erst mit Sicherheitsdirektor Baschi Dürr (FDP) Rücksprache nehmen. Dann gab er G. grünes Licht: Auch Dürr war mit dem Plan der Polizei einverstanden. So steht es in den Akten, die der TagesWoche vorliegen.
Gericht wird entscheiden
Das Vorgehen der Polizei gegen eine Gruppe von Künstlern, Studenten und unbeteiligten Messebesuchern an der letztjährigen Art Basel sorgte für eine wochenlange Kontroverse. Dürr und Lips gerieten politisch unter Druck, und G. stand unter Verdacht, sich strafbar gemacht zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und der Freiheitsberaubung. Die Pappteller-Affäre war geboren.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre Untersuchung gegen G. letzte Woche zwar eingestellt, doch Opferanwalt Christian von Wartburg will Beschwerde einlegen. Von Wartburg vertritt 19 Privatkläger, die von der Polizei damals abgeführt worden waren. Das Appellationsgericht wird entscheiden müssen, ob die Argumente von Staatsanwalt Severino Fioroni stichhaltig genug sind, um keine Anklage gegen G. zu erheben. Darauf verzichten darf die Staatsanwaltschaft laut Strafprozessordnung nur, wenn zweifelsfrei feststeht, dass keine Straftat vorliegt.
Beweisantrag angelehnt
Auch entscheiden wird das Gericht, ob Fioroni zu Recht die Untersuchung auf G. beschränkt hat und weder Lips noch Dürr in die Verantwortung genommen hat. Von Wartburg wollte das Verfahren per Beweisantrag zumindest auf Lips ausweiten lassen, doch die Staatsanwaltschaft lehnte das ab.
«Es steht abschliessend fest, dass er [Lips, d. Red.] mit der Beschlussfassung und der Planung des Polizeieinsatzes vom 20. Juni 2014 nicht befasst war und auch während des Einsatzes keine operative Funktion hatte», begründet Fioroni die Ablehnung des Antrags.
«Es wird keine Ansammlung von Personen auf dem Messeplatz toleriert.»
Die Staatsanwaltschaft erkennt die alleinige Verantwortung für das Vorgehen der Polizei bei Einsatzleiter G. Auch wenn sie selber dokumentiert hat, wie G. den Einsatz mit Lips abgesprochen hat:
«Nachdem der Polizeikommandant aufgrund der politischen Dimension der zurückliegenden Ereignisse, die mit den bevorstehenden unter Umständen zusammenhingen, mit dem Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements Rücksprache genommen hatte, erklärte er dem Beschuldigten, das von diesem vorgeschlagene Vorgehen habe seine volle persönliche Unterstützung sowie auch jene des Departementsvorstehers; es werde keine Ansammlung von Personen auf dem Messeplatz toleriert, und es gebe dort keine wie auch immer geartete Demonstration.»
Generalklausel missbraucht?
Anwalt von Wartburg erkennt darin zumindest die Möglichkeit eines Missbrauchs der polizeilichen Generalklausel. Diese erlaubt es der Polizei, zentrale Grundrechte, etwa die Versammlungsfreiheit, zu verletzen, um eine schwere, unmittelbar drohende Gefahr abzuwenden. Die Hürden für die Anwendung der Generalklausel sind in der Rechtslehre allerdings hoch.
Lips hat den Einsatz nicht nur abgesegnet, auch als am Einsatztag selber im Zeughaus die Befehlsausgabe stattfand, war er anwesend. G. orientierte dabei über das Vorgehen. Ziel des Einsatzes sei es, erklärte G., im Rahmen der Gefahrenabwehr einen Aufmarsch von «Schauspielern» und eine Ansammlung möglicher Sympathisanten auf dem Messevorplatz und in der naheliegenden Umgebung konsequent zu verhindern.
Beobachtungsposten im Messeturm
Lips war an jenem Tag zum Kommando-Pikettdienst eingeteilt, wie es in den Akten heisst. Er sei zwar nicht mit der operativen Einsatzleitung betraut gewesen, wollte aber «durch seine Präsenz der auch von seiner Seite und der Departementsleitung her vollumfänglich mitgetragenen Entscheidung, dass auf dem Messeplatz keine Veranstaltung zugelassen sei, das nötige Gewicht verleihen».
Um 16 Uhr nachmittags bezog Lips dann einen Beobachtungsposten im Messeturm. Dort war er über einen Verbindungsoffizier mit der Einsatzleitung unten auf dem Platz verbunden. Er konnte mitverfolgen, wie die Polizisten jeden, der den Anschein erweckte, mit der Kunstaktion etwas zu tun zu haben, abführten. Er konnte sogar selber Anweisungen geben.
Trotzdem begrenzt die Staatsanwaltschaft alle Verantwortung für das umstrittene Vorgehen der Polizei auf Einsatzleiter G. Fast könnte man meinen: Die Befehlskette bei der Basler Polizei reicht nicht hinauf bis zum Kommandanten.
*Name der Redaktion bekannt