Seit dem Freitod eines Italieners, der sich in Basel mit gefälschten Arztzeugnissen Zugang zum tödlichen Mittel erschlichen hatte, ist die Debatte um die Sterbehilfe neu aufgeflammt.
Letzte Woche schlug die EVP Basel-Stadt Alarm und machte den Fall eines italienischen Staatsbürgers publik. Ein 62-jähriger Italiener hatte sich mit gefälschten Arztzeugnissen aus Italien in Basel das Vertrauen der Sterbehilfeorganisation «Eternal Spirit» erschlichen und war so an die für seinen Freitod nötigen Medikamente gekommen.
Eine im Kanton Baselland praktizierende Ärztin von «Eternal Spirit» hatte das Rezept für die tödliche Dosis aufgrund der vorgelegten Diagnose einer Syphilis im Endstadium ausgestellt, obwohl das notwendige ärztliche Zweitgutachten erst einen Tag nach der Rezeptausstellung eingetroffen war. Die obligate Obduktion zeigte, dass der Verstorbene gar nicht an einer Syphilis erkrankt war. Für die Basler EVP-Grossrätin Annemarie Pfeifer besteht daher der dringende Verdacht, dass bei diesem Fall der Freitodbeihilfe «die Voraussetzungen gemäss den Ethikrichtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften nicht erfüllt» wurden.
Laut EVP wurden auch die Sorgfaltspflichten durch die Ärztin von «Eternal Spirit» verletzt.
Die Basler EVP will den Sterbetourismus unterbinden.
Die Behörden seien daher gefordert und müssten den Sterbehilfeorganisationen genauer auf die Finger schauen. Ausserdem fordert die EVP eine jährlich aktualisierte Statistik, die sämtliche Freitode auflistet, bei denen die Dienste von Sterbehilfeorganisationen zum Zuge kamen. Und die Partei möchte durchsetzen, dass Sterbewillige aus dem Ausland künftig ein ausführliches Gutachten sowie eine Mindestzahl an psychologischen Vorgesprächen vorweisen müssen.
Sterbetourismus sei zu unterbinden, und die schmerzlindernde Pflege müsse ausgebaut werden, bringt es Annemarie Pfeifer auf den Punkt. Diesen Vorstoss wird die EVP-Politikerin demnächst auch im Grossen Rat einbringen. Gleiches plant Parteikollegin Elisabeth Augsburger im Liestaler Kantonsrat.
«Lebenssatt, betagt, gesättigt»
Anders als bei dem Italiener liegt der Fall des weltbekannten Theologen Hans Küng juristisch zweifellos im grünen Bereich, aber Küngs öffentlichkeitswirksame Inszenierung heizt die Sterbehilfe-Debatte zusätzlich an. Der Kirchenkritiker, der an Parkinson leidet, machte bereits mehrfach publik, dass er «lebenssatt, betagt und gesättigt» sei. Gegenüber der «Solothurner Zeitung» betonte Küng, es gebe in der Bibel «kein Argument dagegen, dass sich jemand unter Umständen selber das Leben nimmt – oder besser gesagt: sein Leben Gott zurückgibt». Er wolle nicht verenden, sondern «sein Leben vollenden». Darum sei er der Sterbehilfeorganisation «Exit» beigetreten, sagt Küng, und er werde deren Dienste unter Umständen in Anspruch nehmen.
«Abgestumpfte Gesellschaft»
In seiner Haltung scheine der 85-jährige Theologe die Unverfügbarkeit des Lebens gerade auch in seiner letzten Phase zu verwechseln mit einem jederzeit verfügbaren Anspruch auf Selbstbestimmung, geben Kritikerinnen und Kritiker wie etwa Monika Renz zu bedenken. Die Theologin und Psycho-Onkologin, die im St. Galler Kantonsspital seit Jahren Sterbende begleitet, lehnt die Sterbehilfe ab und kritisiert die zunehmende «Abgestumpftheit der Gesellschaft» gegenüber dem Leiden: «Immer mehr Menschen lassen ihr Angewiesensein kaum mehr zu und meinen, bis ins Letzte Macht und Kontrolle über das Leben haben zu können.»
Ohne dass Renz die Selbstbestimmung als Grundwert des Menschseins infrage stellen will, weist sie darauf hin, dass «ein Menschenrecht nicht identisch ist mit einer generellen Ansprüchlichkeit im Gegenüber der Natur». Laut der Sterbeforscherin gelte es zu verstehen, was im Sterbeprozess «an Loslassen und innerer Erfahrung von Würde» geschieht. Häufig ereigne sich im Sterbeprozess nicht nur aufgrund von Medikamenten, «sondern natürlicherweise ein Hinübergleiten über eine Bewusstseinsschwelle».
Kritisch in Richtung Hans Küng sagt Renz auch: «In das Gottesbild absoluter Barmherzigkeit mischt sich unbemerkt eine Respektlosigkeit im Gegenüber letzter Geheimnisse ein.» So wüssten wir weder, was nach dem Tod kommt, noch ob oder wie Gott sei.
Ein Leben, das unerträglich wird
Anderer Meinung ist Hansruedi Stoll, leitender Onkologie-Pfleger im Universitätsspital Basel. Er hat viel Verständnis für den Todeswunsch von Krebspatienten, bei denen «die Medizin die Schmerzen nicht mehr in den Griff» bekommen kann. Die Patientinnen und Patienten verstünden diesen Schritt immer als letzten Ausweg, «wenn das Leben nicht mehr erträglich ist», schreibt Stoll im Buch «Am Ende des Weges blüht der Garten der Ewigkeit» (Reinhardt Basel, 2007).
Unterdessen konterte «Exit» den EVP-Vorstoss mit dem Verweis auf die Abstimmungsresultate der letzten Jahrzehnte. Stets habe sich die Mehrheit für die Sterbehilfe ausgesprochen, argumentiert die Sterbehilfeorganisation.
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Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 15.11.13