Der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner leistet sich die nächste Entgleisung: Er zieht auf seiner Facebook-Seite über das Aussehen seiner Kritikerinnen her. Wir haben mit einer der Angegriffenen gesprochen.
Moni Nielsen hat den Stecker ihres Telefons gezogen. Sie will den Hass von sich fernhalten. Zuerst hat er nur im digitalen Käfig getobt, als der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner Nielsen auf seiner Facebook-Seite an den Pranger gestellt hat. Nun kommt der Hass auch per Anruf ins Haus.
Nielsen wird auf Glarners Facebook-Seite auf übelste Art und Weise beschimpft. Auf die Wiedergabe der Beleidigungen verzichten wir an dieser Stelle, aber einige davon dürften diverse Straftatbestände erfüllen. Üble Nachrede. Verleumdung. Beschimpfung. Drohung. Um nur einige zu nennen.
Haltlose Behauptung
Nielsen, 51, Erwachsenenbildnerin aus dem Kanton Aargau, hatte Glarner auf Twitter immer wieder dieselbe Frage gestellt. Sie wollte von ihm wissen, weshalb er vor der Abstimmung zur Asylgesetz-Revision Falschinformationen verbreitete. Glarner hatte behauptet, in Chiasso würden Mieter, viele berentet, aus ihren Wohnungen geworfen, um 500 Asylsuchenden Platz zu machen.
Wahr war an dieser Behauptung, wie sich bald herausstellte: nichts.
Glarner, Nielsen und eine weitere Twitter-Nutzerin namens Susanne Oberli verhakten sich ineinander auf Twitter. Bis Glarner Ende letzte Woche entnervt seinen Account deaktivierte.
Am Sonntagabend nun, als die halbe Schweiz vor dem Fernseher sass und mit der Schweizer Fussballnationalmannschaft mitfieberte, holte der neugewählte SVP-Nationalrat aus der Egoistengemeinde Oberwil-Lieli mit folgendem Post zum Gegenschlag aus:
Glarner teilte nicht nur die Porträtbilder der beiden Frauen, die ihn zur Rede stellten, mit seiner radikalen Anhängerschaft. Er machte sich über deren Äusseres lustig, koppelte Aussehen mit kritischer Haltung – und öffnete damit die Büchse der Pandora. Sämtliche Hass-Posts liess er stehen. Stattdessen doppelte er tags darauf nach:
Diese Antwort ist bloss die neuste Verdrehung des SVP-Asylverantwortlichen: Er hat explizit das Aussehen der zwei Frauen kommentiert. Auf das hartnäckige Fragen wegen Chiasso schrieb der Nationalrat letzte Woche: «Oh Gott, Sie scheinen im echten Leben echt zu kurz gekommen zu sein.»
Moni Nielsen antwortete darauf: «Ist jemand, der diese Fragen stellt, im echten Leben zu kurz gekommen? Ich dachte eher eine souveräne Bürgerin.»
Darauf Glarner: «Nein, nicht der Frage wegen, eher des Profilbildes.» Und, falls das nicht klar genug gewesen sein sollte: «Dazu braucht es keine Kenntnisse der Physiognomie, sondern ein ganz normales Bewusstsein für Ästhetik.»
Glarner gegen das Volk – das Volk gegen Glarner
Moni Nielsen hofft jetzt, «dass der Hass nicht bis zu meinem Briefkasten findet». Sie findet es «nicht okay», wie er gegen sie auf seiner Facebook-Seite agitiert. Sie habe ihn nie beleidigt: «Alles, was ich gemacht habe, ist Fragen gestellt.»
Sie sagt, sie fange jetzt «nicht zu hypern» an. Sie sei ja glücklicherweise keine 20 mehr. Trotzdem holt sie sich Rat, will wissen, ob es möglich ist, juristisch dagegen vorzugehen. Gegen den Post liegen mindestens fünf Beschwerden bei der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik) vor. Facebook dagegen hat auf Löschungsanträge negativ reagiert: Es handle sich nicht um «Hate Speech».
Von seiner Partei erwartet Nielsen, dass diese die Reissleine zieht. Doch SVP-Präsident Albert Rösti will sich nicht zum Fall äussern, wie er dem «Blick» erklärte. Unterdessen geht Glarner aufs Ganze: Er könne ja nichts dafür, dass die Frauen so aussehen, legte er nach. Im «Tages-Anzeiger» hatte Glarner die Bürgerinnen und Bürger, die ihn auf Twitter um eine Stellungnahme zu seiner Chiasso-Lüge gebeten hatten, kollektiv als «Idioten» bezeichnet, denen er «nicht Rechenschaft schuldig» sei.
Trotzdem steigt der Druck auf Glarner und die SVP. Zwei Petitionen fordern Glarner zum Rücktritt auf, die eine wurde schon fast 1000 Mal unterzeichnet. Auch «Operation Libero» kritisiert den SVP-Asylchef scharf.
Rücktritt von Facebook?
Unterdessen ist Andreas Glarners Facebook-Profil verschwunden – am Montag um 18.40 Uhr war sein Profil nicht mehr aufrufbar.
Andreas Glarners Facebook-Seite, Stand Montag, 20. Juni 2016, 18.45 Uhr.
Ob es sich um einen freiwilligen Rückzug von Facebook handelt oder ob Glarner wegen diverser Meldungen doch noch gesperrt wurde, scheint mittlerweile geklärt. Laut 20min.ch habe Facebook seinen Account gesperrt. Glarner gibt das Opfer: Das sei nun also die Toleranz der Toleranten, spottet er. Auf die konkreten Vorwürfe hat der Politiker bisher nichts als Ausflüchte und neue Angriffe geliefert.
Sicher ist: Glarners frauenfeindliche Einlassungen sind nicht seine erste Entgleisung. Der Mann aus dem Zürcher Speckgürtel, immerhin Mitglied der staatspolitischen Kommission des Nationalrats, hat sich schon zahlreiche Fehltritte geleistet. Ein – kleiner – Überblick:
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