Sweet home Chicago – Barack Obamas inoffzielle Wahlkampfzentrale

Zariff schneidet Barack Obama noch heute die Haare, Bruce spielte Basketball mit ihm, und bei Michael gingen die Obamas einst Burger essen: zu Besuch im Chicagoer Hyde-Park-Viertel, der inoffiziellen Wahlkampfzentrale des amtierenden US-Präsidenten.

Zariff, vor seinem Coiffeursalon in Chicago: Noch immer ist er Barack Obamas Privatfrisör (Bild: Steffi Dobmeier)

Zariff schneidet Barack Obama noch heute die Haare, Bruce spielte Basketball mit ihm, und bei Michael gingen die Obamas einst Burger essen: zu Besuch im Chicagoer Hyde-Park-Viertel, der inoffiziellen Wahlkampfzentrale des amtierenden US-Präsidenten.

Früher kam Barack Obama einfach zur Tür herein, nickte Tony und Ishmael zu, gab Zariff mit einem breiten ­Grinsen im Gesicht die Hand, sagte sowas wie «Hey Buddy» und setzte sich auf den schwarzen Lederstuhl. Zariff legte ihm einen der schwarzen Nylon­umhänge über und eine weisse Papiermanchette um den Hals. Dann nahm er den Haartrimmer, drückte auf den schwarzen Knopf und legte los.

Früher, das war, bevor aus Barack ­Obama der Präsident der Vereinigten Staaten wurde. Bevor der Secret Service ganze Strassenzüge sperren musste, wenn der Mann sich mal die Haare schneiden lassen wollte.

Obamas Privatcoiffeur

Das ist ein paar Jahre her. Im «Hyde Park Hair Salon» von Zariff, einem kleinen, unschein­baren Coiffeurgeschäft mit Neonschrift im Fenster und Postern von Muhammad Ali an den Wänden, im Süden von Chicago, war Barack Obama seither nicht mehr. Zu viel Aufwand für die zwanzig Minuten, die es dauert, um aus zu langen Präsidentenhaaren wieder eine Präsidentenfrisur zu machen. Zariff, ohne Nachnamen, dafür mit breiten Schultern und muskelbepacktem Rücken, fliegt deshalb jetzt ungefähr zwei Mal im Monat nach Washington D. C. Wie oft genau, das will er nicht sagen. Klar ist aber: «Ausser mir schneidet dem Präsidenten niemand die Haare.»

Zariff ist stolz – so wie hier im ­Hyde-Park-Viertel alle stolz sind auf den Präsidenten. Er ist einer von ihnen, er lebte hier, das Haus seiner Familie steht nur wenige Blocks vom Barber Shop entfernt. Hier lehrte Obama an der juristischen Fakultät der Uni, sass in den Cafés und lief durch die Strassen.

Die Nachbarn sind mehrheitlich schwarz, es gibt viele Professoren und Ärzte, genauso viele Barbesitzer und Verkäufer in Billigboutiquen. Es ist ein buntes Viertel, studentisch geprägt, mit vielen roten Backsteinhäusern und den von grossen Bäumen gesäumten Stras­sen. Es liegt rund 11 Kilometer südlich der Innenstadt, nicht weit vom Lake ­Michigan entfernt, dazwischen ist nicht viel ausser grossen Strassen, einfachen Häusern, Sportplätzen und grossen Supermärkten. Weiter im Süden dann wird es eher ungemütlich. Dort ist die Kirche, in der aus Michelle Robinson Michelle Obama wurde – aber der Weg lohnt sich kaum, sagen die Leute hier.

Jeder hier kennt die Obamas, nicht wenig können Geschichten von früher erzählen. Wie sie das junge Ehepaar auf dem Markt getroffen haben oder nachmittags auf dem Spielplatz mit den ­Kindern. Wie Barack Obama als Lokalpolitiker anfing in Schulen und Gemeindezentren Reden zu halten, wie er dann schon bald Senator wurde und schliesslich Präsidentschaftskandidat.

Bruce sagt, er hätte mit Barack Obama zusammen Basketball gespielt, damals an der Uni, es ist schon ziemlich lange her. An was er sich erinnert? «Daran, dass Barack sehr hartnäckig war, immer an den Ball wollte», sagt er. ­Bruce ist Mitte 50 und raucht immer noch selbstgedrehte Zigaretten. Er sitzt vor der Studentenkneipe Medici, nicht weit vom Uni-Campus entfernt, trinkt frische Zitronenlimonade und plaudert, als wären er und die Präsidentenfamilie ganz enge Freunde.

Im «Medici» sass Obama auch oft. An einem der vollgekritzelten Holz­tische drinnen oder auf einem der Alu­stühle draussen. Es war eine seiner Lieblingskneipen, als er hier an der Universtät Kurse gab, so erzählt man es sich hier in der Strasse. Die selbstgemachte Zitronenlimonade mochte er besonders gerne, genauso wie die Burger, sagt ­Michael, der als Koch in der Kneipe arbeitet. «Ist allerdings schon eine Weile her, dass er das letzte Mal hier war.»

Auch im Buchladen «57th Street Books» um die Ecke war Barack Obama schon lange nicht mehr. Aber hier signierte er sein erstes Buch – «Dreams from my Father». Es gibt Fotos davon, die an der Wand hängen. Die Studenten kaufen noch immer ihre Bücher in dem kleinen Laden im Souterrain, so wie früher Michelle mit den beiden Mädchen auch oft hier war. «Sie haben immer lange in der Abteilung für Kinderbücher ­gesessen», sagt Thomas Flynn, der ­Geschäftsführer. Selten hätten sie den Laden ohne Buch verlassen. Er mag die Obamas, er mag auch den Präsidenten und findet, dass er eine zweite Chance verdient habe.

Kein Heilsbringer

Es waren hohe Erwartungen, die die Menschen in Hyde Park an ihren Präsidenten hatten, so wie im Rest des Landes, ja in der ganzen Welt. Überall ist man sich einig, dass Barack Obama hinter den meisten Erwartungen zurückgeblieben ist, dass er nicht der Heilsbringer ist, zu dem ihn viele gemacht haben, bevor er selbst etwas dagegen oder dafür tun konnte. Nicht so in seinem Viertel.

Keiner hier, der schlecht über den Präsidenten redet. Die Wirtschaftslage im Land? Desaströs, ja, aber der Präsident kann nichts dafür, alles die Schuld der Bush-Regierung vorher. Die Arbeitslosigkeit? Auch nicht gut, stimmt schon, aber was soll der Präsident denn innerhalb von nur vier Jahren dagegen tun?

Immerhin habe Obama die amerikanische Autoindustrie gerettet und allen Amerikanern eine Gesundheitsversorgung verschafft, er habe sich für die Rechte von Homosexuellen eingesetzt und Finanzmarktreformen auf den Weg gebracht, sagt man hier.
«Mal im Ernst, können Sie sich Mitt Romney im Weissen Haus vorstellen? Also ich meine: so richtig vorstellen? Wie er Angela Merkel die Hand schüttelt und internationale Politik macht?», sagt Tracy. Sie sitzt auf einer Bank auf dem Campus der Universität. Sie macht hier ihre Mittagspause. Ihre Tochter Pam ging auf die gleiche Schule wie ­Obamas Tochter Malia, sie hat mit den Obamas ein paar Mal gesprochen, über die Kinder und die Politik. Damals war Barack Obama noch Senator in Illinois, und ­Tracey sagt, sie habe damals schon geglaubt, dass er mal ein wichtiger Mann werden würde. Sie jedenfalls glaubt fest daran, dass der neue Präsident auch der alte sein wird.

Die aktuellen Umfragen sind sich da nicht so sicher, führende Meinungs­forschungsinstitute sagen ein sehr knappes Rennen voraus: Obamas Heraus­forderer Mitt Romney liegt fast gleich auf. Es könnte eng werden.

Davon will in Hyde Park aber niemand etwas wissen. Auch nicht die beiden Beamten im Polizeiauto vor dem Haus der Obamas. Das Anwesen steht direkt neben einer Synagoge mitten im Viertel, hinter grossen Bäumen versteckt und von Absperrgittern und Betonpfosten umgeben. Auch wenn die Familie nur noch selten in der Stadt ist, ein Polizeiauto steht hier immer. Näher als bis zum Bordstein kommt man nicht. Ist aber auch egal, denn man könnte ohnehin nichts sehen. Zu viele Bäume, zu viele Büsche, der Hauch von roten Ziegelsteinen hinter den Blättern, sonst nichts.

Rund um die Uhr bewacht

Die zwei Beamten grinsen, sie sind es gewohnt, dass Touristen hier halten, die Kameras im Anschlag, auch wenn sie nichts sehen. «Hatte schon seinen Sinn, dass diese Bäume dort gepflanzt worden sind», sagt der eine, der andere nickt nur. Muss ja nicht jeder sehen, wie die beiden Mädchen mit Hund Bo durch den Garten tollen oder das Ehepaar ­Obama auf der Terrasse frühstückt. Mehr gibt es nicht zu sagen. Nur noch das: Sie werden auch noch nach dem 6. November dort stehen, wenn gewählt wird. «Er bleibt im Weissen Haus – und wir bleiben hier.»

«Klar bleibt er», sagt auch Zariff. ­Obama sei immerhin für acht Jahre ­angetreten. Äh, es sind nur vier. «Nein, acht.» Nein, vier. «Acht, okay, dann eben ach …» Eine zweite Amtszeit also, in der Zariff wieder alle paar Wochen in einem Flugzeug nach Washington sitzt, im Gepäck seine Haartrimmer und ein paar Kämme, mehr braucht er nicht. Wo er dem Präsidenten die Haare schneidet, verrät er nicht. Auch nicht, wie viel er dafür bezahlt bekommt. Coiffeur­geheimnis. Früher hätte er vielleicht ­darüber gesprochen, sagt er. Früher – aber da war ja auch noch alles anders.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12

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