Celso Ribeiro Barbosa ist Aktivist bei der wichtigsten brasilianischen Landlosenbewegung. Er macht Syngenta für die Ermordung seines Freundes Valmir Mota de Oliveira durch bewaffnete Milizen verantwortlich und kämpft für eine Entschädigung der Hinterbliebenen.
Im Rahmen der Präsentation des «Schwarzbuch Syngenta» der NGO Multiwatch, erzählte Barbosa am Donnerstag, 21. April in Basel vom Kampf seiner Bewegung gegen multinationale Agrochemiekonzerne. Was das Buch an Vorwürfen zusammenträgt, erhält durch ihn ein Gesicht.
Herr Barbosa, wofür kämpft die Landlosenbewegung «Movimento dos Trabalhadores Sem Terra» (MST) in Brasilien?
Wir sind eine landesweite Bewegung und kämpfen für die Rechte der Landlosen und aller Ausgegrenzten sowie für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur. Die Landlosen in Brasilien besetzen seit 30 Jahren ungenutzte Landflächen, was uns von der Verfassung her zusteht. In Paranà, wo ich herkomme, sind es 26’000 Familien, die so zu Land gekommen sind; im ganzen Land ist es etwa eine halbe Million. Und weitere 120’000 warten noch auf die Legalisierung ihrer Besetzung.
Weshalb sind sie dem MST beigetreten und haben selbst Land besetzt?
Es war eine Notwendigkeit, sonst hätte ich kein Land für den Anbau von Nahrungsmitteln für mich, meine Frau und meine drei Kinder. Ich hätte niemals genügend Geld aufbringen können, um Land von einem Grossgrundbesitzer zu kaufen. Für einen normalen Bauern ist das in Brasilien praktisch unmöglich. Deshalb fliehen auch so viele junge Bauern in die Städte und landen dort in den Favelas, die rasant wachsen. Vor 40 Jahren war die Mehrheit der Brasilianer noch Bauern. Heute sind es vielleicht noch 20 Prozent.
Sie und Ihre Bewegung kritisieren die grossen Agrochemie-Konzerne, darunter auch Syngenta. Weshalb?
Die grossen Konzerne haben kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Kleinbauern. Das wäre für sie viel weniger attraktiv als die Zusammenarbeit mit den Grossgrundbesitzern. Die Kleinbauern pflanzen viele verschiedene Kulturen an; sie vergrössern die Diversität in der Landwirtschaft. Doch das wollen die Grosskonzerne nicht; sie machen ihre Gewinne mit grossflächigen Monokulturen. Syngenta wirbt in Brasilien sehr aktiv für ihre Produkte und versucht die Bauern von deren Vorteilen zu überzeugen.
Sie betreiben selbst ökologischen Landbau und lehnen die Produkte von Syngenta ab. Sind Sie eine Ausnahme in Brasilien?
Etwa 30 Prozent der Kleinbauern produzieren heute ökologisch. Wir versuchen unsere Mitglieder von MST immer von ökologischem Landbau zu überzeugen. Aber das ist schwierig, weil wir keine Unterstützung von der Regierung erhalten. Wer bei Syngenta einkauft, der erhält vom Unternehmen Beratung und Infrastruktur. Wer sich jedoch für eine ökologische Landwirtschaft entscheidet, ist auf sich alleine gestellt. Der Staat bietet überhaupt keine Hilfe. Es fehlt deshalb an Wissen bei den Kleinbauern. Zudem sind die Preise für ökologische Produkte gleich hoch wie für herkömmliche, obschon unser Aufwand grösser ist.
«Brasilien hat die Souveränität über seine Landwirtschaft verloren.»
Welche Rolle spielt die Regierung bei der Durchsetzung der grossindustriellen Landwirtschaft in Brasilien?
Brasilien hat die Souveränität über seine Landwirtschaft verloren. Es findet praktisch keine unabhängige Forschung und Entwicklung im Saatgutbereich mehr statt. Uns fehlen heute Alternativen zum gentechnisch veränderten Saatgut der Grosskonzerne. Hinzu kommt: Die Abgeordneten und Senatoren sind oft selbst Grossgrundbesitzer und werden von den grossen Agrarchemiekonzernen finanziell unterstützt. Von dieser Seite können wir keine Unterstützung erwarten.
Werfen Sie Syngenta Korruption vor?
Nein, denn solche finanziellen Zuwendungen sind in Brasilien gesetzlich erlaubt. Unternehmen begehen damit kein Verbrechen. Sie finden diese Beiträge meist auch in den Buchhaltungen der Parteien.
«N.F. Segurança ist eine bewaffnete Miliz und keine Sicherheitsfirma. Syngenta war klar, mit wem sie zusammenarbeiten.»
2007 haben Wachmänner von N.F. Segurança in Ihrer Wohngemeinde Santa Tereza do Oeste Landlose von einem Syngenta-Versuchsfeld gewaltsam vertrieben. Dabei ist Valmir Mota de Oliveira, ein Mitglied von MST und ein persönlicher Freund von Ihnen, getötet worden. Was ist damals passiert?
Syngenta hat auf einem 122 Hektar grossen Gelände in der Nähe eines Nationalparks gentechnisch veränderten Soja und Mais angepflanzt, obwohl sie damit gegen das geltende Umweltrecht verstiess. Die Umweltbehörde hat Syngenta mit einer Busse von umgerechnet 500’000 Franken belegt, die bis heute nicht bezahlt wurde. Daraufhin besetzten MST-Aktivisten das Gelände mehrmals und wurden immer wieder vertrieben. Der damalige Gouverneur enteignete daraufhin das Gelände von Syngenta per Dekret, aber Syngenta gelang es den Entscheid gerichtlich anzufechten. Im Oktober 2007 besetzten etwa 450 Bauern das Gelände ein weiteres Mal. Daraufhin fuhren mehr als vierzig Männer der N.F. Segurança vor und eröffneten das Feuer. Valmir wurde aus nächster Nähe erschossen.
Geben Sie Syngenta die Schuld am Tod Ihres Freundes?
Ja, N.F. Segurança ist eine bewaffnete Miliz und keine Sicherheitsfirma. Die Verantwortlichen von Syngenta wussten das, trotzdem haben sie die Organisation damit beauftragt, das Gelände gegen jegliche Besetzungen zu verteidigen. Syngenta war klar, mit wem sie zusammenarbeiten. Das wurde später auch von einem Zivilgericht bestätigt.
Welche Forderungen stellt MST heute gegenüber von Syngenta?
Wir fordern eine Entschädigung für die Witwe von Valmir, für seine Söhne sowie eine durch Schüsse in Augen und Lunge arbeitsunfähig gewordene Frau. Syngenta wurde vom ersten Zivilgericht schuldig gesprochen, hat jedoch dagegen rekurriert. Wahrscheinlich wird es noch 10 oder 15 Jahre dauern bis zu einem Entscheid. Das Unternehmen wird alles tun, um die Schuld von sich zu weisen. Deshalb ist die zivilgesellschaftliche Mobilisierung umso wichtiger.