Täglich wird mindestens eine Uhr für 100’000 Franken verkauft

Jürg Kirchhofer ist ein Meister der Vermarktung. Zwei Drittel seines Umsatzes macht der Uhrenkönig aus Interlaken mit chinesischen Touristen – sogar auf dem Jungfraujoch versorgt er seine Kunden mit Edeluhren.

Oft steht das Uhrengeschäft Kirchhofer in Interlaken leer – bis dann ein Car mit 50 chinesischen Touristen anrollt. (Bild: Alan Schweingruber)

Jürg Kirchhofer ist ein Meister der Vermarktung. Zwei Drittel seines Umsatzes macht der Uhrenkönig aus Interlaken mit chinesischen Touristen – sogar auf dem Jungfraujoch versorgt er seine Kunden mit Edeluhren.

Jürg Kirchhofer hört sich auffallend entspannt an am anderen Ende der Leitung. Der 64-Jährige weilt in Schottland. Er erhole sich dort beim Golfspielen, heisst es, obwohl das in seiner Firma niemand offiziell bestätigen will.

Dass der erfolgreiche Uhrenverkäufer gerade in diesen Tagen Energie tankt, ist kein Zufall. Die ­Baselworld steht an. Das sind die wichtigsten acht Tage im Jahr – selbst für einen mächtigen Mann wie Kirchhofer. An dieser Messe werden die wegweisenden Verträge unterschrieben, 40 bis 50 Prozent der gesamten Einkäufe getätigt. Da braucht es einen klaren Kopf. Und den Chef vor Ort.

Kirchhofer kennt keine krise

Über seine Ladengeschäfte wird sich Kirchhofer an den schottischen Greens keine Sorgen machen müssen. Sie laufen bestens. Es sind acht an der Zahl, sie befinden sich in Interlaken, Brienz, Grindelwald, Luzern und auf dem Jungfraujoch. Seit Jahren rennen die chinesischen Touristen den Kirchhofers die Türen ein und geben Geld aus, als ob sie die Wirtschaftskrise nur vom Hörensagen kennen würden. Der China-Boom ist gewaltig. Er sorgt derzeit für über zwei Drittel des Umsatzes.

Jürg Kirchhofer

Jürg Kirchhofer (Bild: zVg)

Jürg Kirchhofer ist kein Mann der Zurückhaltung. Er sagt, was er denkt, und kritisiert auch gerne mal Stadt oder Kanton, wenn diese ihm mit Bestimmungen das Leben schwer machen. Eines kann man dem Berner Oberländer aber nicht absprechen: Er hat eine ausgezeichnete Nase in Sachen Akquise.

In den 1990er-Jahren, als noch niemand China im Fokus hatte, besuchte er das ferne Land und knüpfte, gemeinsam mit Urs Kessler, dem CEO der Jungfraubahnen, ein neues potentes Netzwerk. Interlaken sollte bekannt gemacht werden. Und mit ­Interlaken das Jungfraujoch und die Schweizer Uhr. «Alle lachten damals», sagt Kirchhofer. «Und heute erzählt man sich in Luzern, dass der Kirchhofer ihnen die Chinesen wegnehme. Das ist doch ein Witz.»

Reiseleiter mit Provisionen geködert

Tatsächlich wurden in den letzten Jahren immer wieder kritische Stimmen aus Luzern laut. In der «Bilanz» und im «NZZ-Folio» etwa war zu lesen, Kirchhofer locke chinesische Touristen nach Inter­laken, indem er den Reiseleitern grosszügige Provi­sionen zahle.

Doch solche Zahlungen sind längst in der ganzen Branche gang und gäbe. Dies bestätigt auch der Luzerner Tourismusdirektor. «Ich bin überzeugt, dass vom Marktwachstum in China alle Uhrengeschäfte in den Topdestinationen profitieren können», sagt Marcel Perren, «Provisionszahlungen an Reiseleiter sind in der ganzen Schweiz üblich.»

Der Tourismusprofi will auch nichts von einem ungerechten Verdrängungskampf wissen: «Mit Interlaken Tourismus pflegen wir einen kollegialen und professionellen Austausch. Dies wird auch künftig der Fall sein. Der Markt China hat sich zu einem Kernmarkt in beiden Destinationen entwickelt.»

Allerdings. Bei Kirchhofer zum Beispiel sorgen die Touristen aus der Volksrepublik China für über 70 Prozent des Umsatzes. Doch was spült der China-Boom konkret in die Kassen?

Eisernes Schweigen

Es ist das alte Lied. Wenn es um viel Geld geht, wird bei nicht börsenkotierten Unternehmen eine Abteilung gerne mal lahmgelegt: die Kommunikation. Bei der Firma Kirchhofer ist das nicht anders. Im Zeitalter der Transparenz wird in Sachen Umsätze geschwiegen. Kirchhofers dürftige Begründung: «Die Zahlen sind nicht aussagekräftig. Und sie bringen nur Neider mit sich.»

Immerhin bekommt man bei einem Augenschein vor Ort, am Hauptsitz in der Casino Gallery Interlaken, einen guten Eindruck. Man staunt, in welcher Preisklasse und in welcher Regelmässigkeit die Uhrenverkäufe stattfinden. Chinesen geizen nicht, wenn es um Uhren geht, diese gelten als Statussymbol. Die meisten Käufer leisten sich ein Stück aus dem mittleren Segment und geben zwischen 1000 und 5000 Franken aus. Nicht selten kauft ein Chinese auch gleich fünf Stück gleichzeitig, um zu Hause Verwandte und Freunde zu beschenken.

In der Sommersaison setzt Kirchhofer pro Tag ­zudem mindestens eine exklusive Uhr für 100 000 Franken ab. Im Winter geschieht dies zwei- bis ­dreimal pro Woche. Stellt man in Rechnung, dass Interlaken pro Jahr rund 90 000 Logiernächte von Chinesinnen und Chinesen verbucht (Jahr 2012), dann kann man davon ausgehen, dass Kirchhofer zu jenen Schweizer Firmen gehört, die in den kommenden Jahren nicht Konkurs anmelden müssen.

Verkaufen, verkaufen, verkaufen

Seit er neun Jahre alt sei, drehe sich für ihn alles um die Uhr, sagt Jürg Kirchhofer, der das Unternehmen 1982 von seinem Vater übernahm. «Was die Uhr für mich bedeutet? Sie ist mein Leben.»

Kirchhofer lernte am Technikum in La Chaux-de-Fonds den ­Beruf des Uhrmachers. In Deutschland studierte er später Gemmologie, die Wissenschaft der Edel­steinen.

Kern des Geschäfts ist aber der Verkauf. In einer Branche, die Menschen aus fünf Kontinenten ansprechen soll, braucht es mehr als ein paar Verkäufer in schicken Anzügen, so das Credo des Patrons. Oft steht der Laden in der Casino Gallery eine Stunde lang leer, bis plötzlich ein Reisecar mit 50 Chinesinnen und Chinesen anrollt. In solchen Momenten muss alles sitzen beim Personal. Schnell muss es gehen. Freundlich soll es sein. Kompetenz und Effizienz ist gefragt. Im Schnitt hält sich ein potenzieller Käufer 20, vielleicht 30 Minuten im Laden auf. Viel Zeit ist das nicht.

Babylonisches Sprachen-Wirrwarr

Kirchhofer empfängt die Kundschaft mit einem Verkaufsteam, das über 20 verschiedene Sprachen zu sprechen weiss. Sein Personal – in der Hoch­saison sind es über 120 Mitarbeitende – stammt aus Malaysia, China, Thailand, Holland und Portugal. Viele sprechen zwei oder mehrere Sprachen flies­send.

Alles ist einstudiert, mischt sich eine Gruppe von Chinesen mit Koreanern, reagiert das Verkaufspersonal flexibel: Man hilft sich, organisiert kurz die beste Frau oder den besten Mann in der gewünschten Landessprache. Ebenso wichtig sei die Mentalität, meint Kirchhofer: «Stimmt das Zwischenmenschliche nicht, kann es auch im Verkauf nicht funktionieren.»

120 Verkäufer bedienen die kaufkräftigen Kunden aus Übersee in über 20 Sprachen.

Der China-Markt boomt anscheinend ohne Ende. ­Interlaken zählte im Jahr 2012 sagenhafte 50 Prozent mehr Logiernächte als im Vorjahr. Trotzdem muss sich Kirchhofer mit einem ernstzunehmenden Thema befassen: Was, wenn die Chinesen nicht mehr kommen? Auch der Japan-Boom oder der Korea-Boom hatten irgendwann ein Ende.

Bereits seit einiger Zeit steht in China die Luxussteuer zur Debatte, die für Uhren über 3000 Franken 25 Prozent beträgt. Sollte sie fallen, könnten die ­Uhrenpreise von einem Tag auf den anderen um einiges tiefer angesetzt werden. Gut möglich, dass viele chinesische Touristen dann nur noch Hütchen kaufen auf der Tour aufs Jungfraujoch.

Kirchhofer glaubt nicht an einen raschen Wegfall der Luxussteuer. Die Oberschicht in China sei klein, aber mächtig, «ich kann mir nicht vorstellen, dass der Staat diesen Menschen den Wert eines Luxus­stückes schmälert, das sie gekauft haben. Ich bin überzeugt, dass der China-Boom in der Schweiz noch sechs bis sieben Jahre anhält.»

Expansion nach Indien

Doch Kirchhofer ist ein cleverer Geschäftsmann. Bereits seit geraumer Zeit bearbeitet er intensiv neue Märkte, zum Beispiel Indien. Das Land hat riesiges Potenzial und könnte in Zukunft eine grosse Rolle spielen. «Indien ist sehr interessant, das stimmt. Aber es gibt noch andere Länder, an denen wir dran sind.» Beim Namen nennen will der Patron diese aber nicht. Laut Insidern soll Vietnam ganz oben auf seiner Liste stehen.

Und dann gibt es noch ein weiteres treues Ziel­publikum im Hause Kirchhofer: reiche Sammler. Bei unserer Stippvisite in Interlaken scheuchen wir den malaysischen Angestellten regelrecht auf mit der Frage, was denn heute sein bester Verkauf gewesen sei. Er zückt sein Smartphone und zeigt uns das Bild einer frisch verpackten Patek Philippe 5002P. Diese Uhr habe er nicht selbst verkauft, sondern sein Chef. «Look, unbelievable», sagt er und zoomt den Preis heran: 1 300 000 Franken. 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.04.13

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