«Teheran ist in der Defensive»

Die USA und der Iran sind im Kampf gegen IS verbündet und versuchen zugleich, gegeneinander Vorteile aus der Zusammenarbeit zu ziehen. Obama sei jedoch stärker, sagt Abolhassan Banisadr, früherer Präsident des Iran. Ein Gespräch im Pariser Exil.

Abolhassan Bani-Sadr bei einem Vortrag in Berlin im Jahr 2009. (Bild: Tobias Schwarz / Reuters)

Die USA und der Iran sind im Kampf gegen IS verbündet und versuchen zugleich, gegeneinander Vorteile aus der Zusammenarbeit zu ziehen. Obama sei jedoch stärker, sagt Abolhassan Banisadr, früherer Präsident des Iran. Ein Gespräch im Pariser Exil.

Abolhassan Banisadr lebt heute in der Umgebung von Paris im Exil unter Polizeischutz, da er sich stets sehr kritisch über das Regime in Teheran, die Menschenrechtslage und den «Verrat» der Ayatollahs an der islamischen Revolution äussert. Umso ausgesuchter sind die elegante Gastfreundschaft und der servierte Tee, mit dem der 81-jährige Ex-Präsident fremde Besucher empfängt.

Ein Hauch alter persischer Grösse umweht den Empfangssaal in der von aussen unauffälligen Villa. Weiterhin ein formelles Protokoll wahrend, bleiben seine zwei stummen Sekundanten stets einen Schritt hinter dem alten Mann.

Herr Banisadr, in Wien haben erneut Atomgespräche mit dem Iran stattgefunden. Ist diese Frage neuerdings auch mit dem Krieg im Irak und in Syrien verbunden?

Nicht offiziell, aber verdeckt umso mehr, da die Iraner und Amerikaner im Krieg gegen die IS-Truppen am gleichen Strick ziehen. Der iranische Religionsführer Ali Khamenei versucht die beiden Fragen zu koppeln: Er will in der Atomfrage Konzessionen erhalten, indem er den IS bekämpft. Aber der amerikanische Präsident Barack Obama, der Rücksicht auf die Republikaner und Israel nehmen muss, ist dazu nicht bereit. Und er hat die besseren Karten.

Warum?

Weil Teheran stärker unter Druck ist als Washington. Der Krieg im Irak und in Syrien bedroht die amerikanischen Interessen nicht direkt. Der Ölpreis ist seit Kriegsbausbruch sogar gesunken. Auch sonst leidet die iranische Wirtschaft viel mehr als die westliche. Die Iraner leiden und sind unzufrieden. Das gefährdet Khameneis Machtstellung innenpolitisch, und letztlich auch in den Gesprächen mit den Amerikanern.

Und im Krieg gegen IS?

Ohne die US-Einsätze hätten die IS-Milizen Bagdad vielleicht bereits erobert; die schiitische Regierung wäre also vertrieben. Allerdings weiss Obama auch, dass er IS ohne die iranischen Bodentruppen nicht besiegen kann. Die sind ihrerseits auf die Amerikaner angewiesen, um von IS nicht überrannt zu werden.

Wie weit gehen die Absprachen zwischen Washington und Teheran?

Bis zu konkreten Kooperationen in einzelnen Städten. Beteiligt sind sogar Erzfeinde der USA wie Gassem Soleimani, Chef von al Qods, der Aussentruppe der Revolutionsgarden.

Spricht Teheran immer noch vom «grünen Gürtel» der Schiiten von Teheran über Bagdad und Damaskus bis ans Mittelmeer zur Hisbollah im Libanon und Hamas in Palästina?

Khamenei brüstet sich damit, in vier Hauptstädten des Mittleren Ostens – Bagdad, Damaskus, Beirut, Sanaa – präsent zu sein und das persische Reich damit wieder belebt zu haben. Das ist Propaganda. In Wahrheit zahlt der Iran nur für diesen Anspruch, statt einen Nutzen daraus zu ziehen. An all diesen Orten ist Krieg, und überall sind Schiiten bedrängt. Auch die Staatsführung in Teheran ist deshalb in der Defensive. Vielerorts heisst es, der Iran habe sich dank der Koalition gegen IS wieder ins Spiel gebracht. In Wahrheit ist Khameneis Position so schwach wie nie. Die Armut steigt im Land, der soziale Unmut wächst, die Diktatur verschärft sich.

«Die gemässigten Kreise sind enttäuscht von Präsident Rohani»

Hat wenigstens der iranische Präsident Hassan Rohani das Regime etwas populärer gemacht?

Rohani wurde bei den Wahlen 2013 an die Macht gelassen, um zwei Probleme zu regeln: Er sollte die Atomkrise und die Sanktionen beenden sowie der regimeinternen Opposition den Wind aus den Segeln nehmen. Beides ist misslungen. Die gemässigten Kreise sind enttäuscht, und die grossen Mullahs halten sich auf Distanz zu Ayatollah Khamenei, der als Arrivist gilt. Er hat heute nur noch die Revolutionsgarden hinter sich. Die sind zwar äusserst mächtig und kontrollieren 70 Prozent der Wirtschaft. Aber das Volk hat sich von ihm längst abgekehrt.

Auch von der islamischen Revolution?

Fragen Sie die jungen Iraner, was sie mit dem Begriff Islam assoziieren: Sie antworten Unterdrückung, Korruption, Staatsgewalt. Das ist das Schlimme an der Sache. Als Khomeini 1979 nach Teheran zurückkehrte, sahen die Leute in ihm einen ehrlichen und bloss religiösen Würdenträger, der eine Revolution mit der Blume auf dem Gewehr predigte. Bald aber zeigte das Regime sein wahres Gesicht, wie ich selber erlebt habe. Das Gewaltregime, das aus der iranischen Revolution hervorging, hat sicher einen Grossteil der heutigen Spannungen und Gewalt im islamischen Raum ausgelöst.

Also auch über den schiitische Raum hinaus?

Ja, die Revolution wirkte bis in die sunnitische Welt. Der Islam ist eine Religion des Friedens; aber die Art, wie die Revolution der Mullahs in ein Instrument der Macht und Gewalt pervertiert wurde, brachte den ganzen Mittleren Osten aus den Fugen. Dazu kam der amerikanische Eingriff im Irak. Ich sagte schon damals, dass das Vorgehen von George Bush den Terrorismus nicht bekämpfen, sondern anheizen werde. Heute ist es soweit.

Abolhassan Banisadr, 81, war der erste iranische Präsident nach der islamischen Revolution von 1979. Der frühere Religionsstudent und Ökonom hatte sich den Schah-Gegnern um Ayatollah Khomeini angeschlossen, der seinerseits in Paris lebte. Nach dessen Rückkehr nach Teheran wurde Banisadr im Januar 1980 zum Staatschef gewählt. Seine Kritik an der Verhärtung der religiösen Staatsführung führte dazu, dass er im Januar 1981 wieder abgesetzt wurde.

Zu jenem Zeitpunkt war die US-Botschaft in Teheran von islamischen «Studenten» besetzt. Banisadr behauptet bis heute, dass Khomeini mit dem US-Republikaner Ronald Reagan einen Deal abgeschlossen habe: Gegen eine Waffenlieferung aus den USA habe er die Freilassung der 66 Geiseln hintertrieben, um damit die Wiederwahl des demokratischen US-Präsidenten Jimmy Carter zu verhindern.

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