Tiefe Strompreise erschweren Energiewende

Energie sparen und mehr Ökostrom produzieren: Das fordert der Bundesrat. Doch die tiefen Strompreise gefährden die Energiewende.

Korrekturen sind nicht nur an den Stromleitungen nötig: Die tiefen Strompreise erschweren die Energiewende. (Bild: FRANK AUGSTEIN)

Energie sparen und mehr Ökostrom produzieren: Das fordert der Bundesrat. Doch die tiefen Strompreise gefährden die Energiewende.

Die Stromflut, die seit Beginn der Wirtschaftskrise Europa überschwemmt, wirkt sich aus: Die reinen Marktpreise für Strom (ohne Netzkosten und Abgaben) sinken. Im laufenden Jahr kostet Bandstrom am europäischen Spotmarkt der Energiebörse EEX im Schnitt nur noch 3,96 Euro-Cent oder umgerechnet rund 5 Rappen pro Kilowattstunde (kWh). Das ist ein Rückgang um 40 Prozent gegenüber dem Stand im Hochpreis-Jahr 2008. Auch in den kommenden Jahren, so zeigen die Notierungen am Terminmarkt, werden die Strompreise tief bleiben (auf Infosperber.ch ist eine Grafik die das darstellt).

Die europäischen Marktpreise sind heute etwa gleich hoch wie die reinen Produktionskosten von alten Schweizer Atom- und Wasserkraftwerken. Und sie drücken mittelfristig auch das Niveau der Strompreise in der Schweiz. Das gilt zumindest für jene 30’000 Grossverbraucher und Strom-Verteilunternehmen, die laut Gesetz schon seit 2009 Zutritt zum Strommarkt haben, bisher aber das geschützte Versorgungsmonopol bevorzugten. Ab nächstem Jahr werden viele dieser Grossverbraucher auf dem Markt einkaufen, um vom tiefen europäischen Preisniveau zu profitieren. Das bestätigte Renato Tami, Leiter der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom), kürzlich gegenüber dem SRF-Magazin «Eco».

Marktöffnung drückt auf den Preis

Die aktuelle Entwicklung schmälert die Gewinne der produktionsorientierten Schweizer Elektrizitätsunternehmen. Denn diese besitzen nicht nur Atom- und Wasserkraftwerke in der Schweiz, sondern auch AKW-Beteiligungen sowie Kohle- und Gaskraftwerke im Ausland. Ihre Profite im Strom-Aussenhandel sind seit dem Hochpreisjahr 2008 stetig geschrumpft. Das belegen die Daten der Elektrizitätsstatistik und der Geschäftsberichte. Vermindert hat sich auch die Preisdifferenz zwischen importiertem Bandstrom aus Atom- und Kohlekraftwerken (Base) und exportiertem Spitzenstrom (Peak) aus alpiner Wasserkraft. Die Folge davon dokumentiert die Elektrizitätsstatistik: Der Überschuss im Strom-Aussenhandel schrumpfte von 2,1 Milliarden Franken im Jahr 2008 auf knapp 0,8 Milliarden im Jahr 2012.

Historisch ist diese Situation nicht einmalig. So waren die Grosshandels-Preise für Strom in den Jahren 1995 bis 2004 sogar tiefer als heute. Doch damals konnten die Stromproduzenten ihre Verluste, die sie im geschlossenen europäischen Stromhandel verbuchten, noch ausgleichen mit höheren Tarifen in ihren Versorgungsmonopolen. Die stufenweise Öffnung des Strommarktes, die der Bundesrat ab 2016 auch auf Kleinverbraucher ausweiten will, verbaut jetzt aber diese Quersubvention. Das dürfte die Margen der mehrheitlich staatlichen Schweizer Stromkonzerne weiter schmälern.

Zielkonflikt mit der Energiestrategie des Bundes

Die Öffnung des Marktes und der tiefe Strompreis bedrohen aber auch die Ziele der bundesrätlichen «Energiestrategie 2050». Diese Strategie verbietet den Bau von neuen Atomkraftwerken und verlangt langfristig eine Halbierung des gesamten End-Energieverbrauchs sowie eine Stabilisierung des Stromverbrauchs in der Schweiz. Das alles will der Bundesrat erstens mit Massnahmen zur Steigerung der Energie- und Stromeffizienz erreichen, zweitens mit dem Bau von inländischen Solar-, Wind-, Biomasse- und Gaskraftwerken, welche die betagten Atomkraftwerke ersetzen.

Die tiefen Preise auf dem Strommarkt erschweren die politische Strategie in zweifacher Hinsicht: Viele Sparmassnahmen rentieren erst, wenn der Strompreis wieder steigt. Das Gleiche gilt für Investitionen in neue Kraftwerke. Sollten die Marktpreise in absehbarer Zeit im Keller verharren, unterbleiben Investitionen in nicht subventionierte Kraftwerke. Darum hat zum Beispiel der Stromkonzern Axpo alle Projekte für inländische Gaskraftwerke schubladisiert, und die Berner BKW verzichtet vorderhand auf den Bau ihres geplanten Pumpspeicher-Kraftwerks im Grimselgebiet.

Billiger Importstrom statt Sparmassnahmen

Auch für Solar-, Wind- und Biomassekraftwerke, die mit der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) quersubventioniert werden, steigen die Hürden. Denn je grösser die Differenz ist zwischen den Produktionskosten von Strom aus erneuerbarer Energie und den Marktpreisen, desto weniger Kraftwerke lassen sich mit den verfügbaren Subventionen fördern.

Die tiefen Marktpreise und die Öffnung des Strommarktes bieten damit einen Anreiz, künftig wegfallenden Atomstrom mit billigem Importstrom statt mit Sparmassnamen und teuren inländischen Kraftwerken zu ersetzen. Mittelfristig ist diese billige Lösung gut für die Stromkonsumenten. Deshalb plädiert der Wirtschaftsverband Economiesuisse für eine schnelle Marktöffnung und einen Stromvertrag mit der EU. Doch langfristig kann der Verzicht auf Stromsparen und neue Kraftwerke im Inland zu einem Engpass in der Stromversorgung führen. Darum ist es wichtig, den mit Subventionen verzerrten und kurzfristig schwankenden Strommarkt durch langfristig voraussehbare Energie-Lenkungsabgaben zu korrigieren.

(Dieser Artikel erschien zunächst auf «infosperber.ch».)

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