Todesstrafe für Gaddafi-Sohn Saif al-Islam

Ein Gericht in Tripolis hat Saif al-Islam und acht hohe Funktionäre der Gaddafi-Diktatur zum Tode verurteilt. Der Schuldspruch betraf Kriegsverbrechen, die während der Revolution von 2011 begangen wurden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Verfahren als unfair.

Per Video zum Tod verurteilt: Gaddafis Sohn Saif al-Islam wurde nur hin und wieder per Videolink in den Gerichtssaal von Tripolis zugeschaltet.

(Bild: SABRI ELMHEDWI)

Ein Gericht in Tripolis hat Saif al-Islam und acht hohe Funktionäre der Gaddafi-Diktatur zum Tode verurteilt. Der Schuldspruch betraf Kriegsverbrechen, die während der Revolution von 2011 begangen wurden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Verfahren als unfair.

Der hochkarätigste Angeklagte war nicht im Gitterkäfig im Gerichtssaal in Tripolis. Saif al-Islam, Sohn von Diktator Muammar al-Gaddafi und einst als dessen Nachfolger gehandelt, sitzt in einer Zelle in der Stadt Zintan in den Nafusa-Bergen. Dort wird er von einer Miliz festgehalten, die ihn seit seiner Ergreifung im Jahr 2011 als Faustpfand hält. Die Zintani hatten es während des Prozesses, der über ein Jahr dauerte, zumindest ermöglicht, dass Saif hin und wieder per Videolink in den Gerichtssaal von Tripolis zugeschaltet wurde.

Der vorsitzende Richter verkündete am Dienstagmorgen in einer vom Fernsehen übertragenen Sitzung die Urteile und betonte, sie würden vollstreckt. Allerdings müssen sie zuerst noch von einer höheren Instanz bestätigt werden. Saif in Abwesenheit und acht Mitangeklagte erhielten die Todesstrafe durch Erschiessen.

Die prominentesten Namen unter ihnen sind der ehemalige Geheimdienstchef Abdullah as-Sanusi und der letzte Regierungschef al-Baghdadi Ali al-Mahmudi. Ein anderer enger Gaddafi-Vertrauter war vor zehn Tagen in der Haft verstorben. Gegen weitere zwei Dutzend hochrangige Regime-Exponenten wurden Haftstrafen ausgesprochen. Vier kamen frei.

Bestätigung durch höhere Instanz nötig

Die Verurteilten waren für schuldig befunden worden, Zivilisten getötet, zum Bürgerkrieg angestiftet, Söldner rekrutiert und bewaffnete Banden gebildet zu haben. Die meisten Vorwürfe betrafen die Zeit während der Revolution im Jahre 2011 und der bürgerkriegsähnlichen Wirren, die im Herbst 2011 zum Sturz des Regimes und zum Tod von Diktator Gaddafi geführt hatten. Im Laufe des Verfahrens waren 200 Zeugen angehört und 40’000 Seiten an Dokumenten gesichtet worden.

Das Gericht habe mit Parteien nichts zu tun, beeilte sich ein Gerichtssprecher nach der Urteilsverkündigung zu beteuern. Tatsächlich ist das Verfahren, das zu Beginn das Attribut Jahrhundertprozess erhalten hatte, ein Spiegelbild der Wirren und institutionellen Anarchie, in die das ölreiche nordafrikanische Land nach Gaddafis Sturz gestürzt ist. Die Inhaftierung von Saif al-Islam in Zintan war die erste Machtdemonstration der rivalisierenden Rebellengruppen.

Inzwischen ist das Land in zwei Machtblöcke mit zwei Parlamenten, zwei Regierungen und den mit ihnen verhängten bewaffneten Einheiten zerfallen. Die Milizen von Zintan stehen hinter der international anerkannten Regierung in Tobruk; die rivalisierenden Institutionen in Tripolis erachten sie als illegitim. Diese halten acht Gefangene in der Hochburg ihrer Fajr-Milizen in Misrata fest.

Internationaler Gerichtshof will Auslieferung

Vom Verfahren hatten sich vor allem Opfer der über 40 Jahre dauernden Gaddafi-Diktatur – etwa die Anhänger des Gefängnismassakers von Abu Selim 1996 mit über 1200 Toten – Aufklärung und Gerechtigkeit versprochen. Der Prozess hat diese Erwartungen nicht erfüllt, denn auch die Justiz ist in den Strudel des allgemeinen Chaos geraten. Unter dem Druck bewaffneter Milizen hatte etwa das Verfassungsgericht im Rahmen des laufenden Machtkampfes das demokratisch gewählte Parlament für nicht legal erklärt und damit die institutionelle Anarchie massgeblich mitverschuldet.

Kommt dazu, dass eine Reform der Justiz, die vor der Revolution des Jahres 2011 für Schauprozesse bekannt war, nie stattgefunden hat. Die Anwälte machten publik, dass ihre Mandanten geschlagen wurden und es an medizinischer Versorgung gefehlt habe. Human Rights Watch (HRW) monierte, dass Saif al-Islam nur beschränkten Zugang zu seinen Verteidigern hatte.

Nach dem Richterspruch vom Dienstag erklärte HRW, die Opfer des Aufstandes von 2011 würden Gerechtigkeit verdienen, die nur in einem fairen und transparenten Verfahren erbracht werden könne. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag besteht deshalb weiterhin auf der Auslieferung von Saif, damit ihm dort ein Prozess nach internationalen Standards gemacht werden kann.

Richter selbst Opfer

Richter und Angestellte der Justiz wurden in den letzten Monaten selbst immer wieder zu Opfern von Entführungen und politischen Morden. Erst diese Woche wurde ein Richter in der Nähe der Stadt Sirte von Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat entführt. Als illegal bezeichnete den Prozess deshalb auch der Justizminister der Regierung von Tobruk, weil die Richter in Tripolis unter Druck gehandelt hätten. Sie würden unter Androhung von Waffengewalt arbeiten. Al-Mabrouk Ghraira Omran rief deshalb die internationale Gemeinschaft dazu auf, den Prozess und die Urteile nicht zu akzeptieren.

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