«Toleranz!», hallt es aus dem Basler Mittelalter

«Einen Menschen töten heisst nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten»: Knapp ein halbes Jahrtausend alt ist dieser Satz von Sebastian Castellio, und er ist immer noch gut. Darum steht er jetzt auch auf einer Gedenktafel auf dem Areal der St.-Alban-Kirche – und vielleicht schafft er es sogar auf Facebook.

«Und jetzt...» – Bernhard Vischer enthüllt die Gedenktafel für den Humanisten

 

(Bild: Martin Stohler)

«Einen Menschen töten heisst nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten»: Knapp ein halbes Jahrtausend alt ist dieser Satz von Sebastian Castellio, und er ist immer noch gut. Darum steht er jetzt auch auf einer Gedenktafel auf dem Areal der St.-Alban-Kirche – und vielleicht schafft er es sogar auf Facebook.

Über Sebastian Castellio (1515–1563) legte sich bald nach seinem Tod ein Schleier des Vergessens. Es gab zwar immer wieder Versuche, die Erinnerung an den Humanisten und Gottessucher wiederzubeleben, doch waren sie ohne nachhaltigen Erfolg.

Am ehesten gelang das noch Stefan Zweig mit seiner Schrift «Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt» (1936). Seit einiger Zeit geniesst Castellio nun auch wieder das verstärkte Interesse von Historikern und Theologen.

Seine Botschaft der Toleranz scheint in der heutigen Zeit, wenn auch unter etwas anderen Vorzeichen, brandaktuell zu sein. So kommt es auch nicht von ganz ungefähr, dass Basler Bürger jetzt eine Gedenktafel gestiftet haben, die Castellio ehrt und an einen zentralen Satz aus seinem Werk erinnert: «Einen Menschen töten heisst nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten.»

Im St.-Alban-Tal

Die Gedenktafel, die am Freitag, dem 4. November 2016, im Rahmen einer Gedenkfeier enthüllt wurde, befindet sich auf dem Areal der St.-Alban-Kirche bei der Nordpforte zur Grünanlage, wo auch das seit 1988 bestehende Castellio-Weglein seinen Anfang nimmt.

Ursprünglich hatten die Stifter in Erwägung gezogen, die Tafel im Kreuzgang des Münsters anzubringen, wo früher einmal ein Epitaph für Castellio zu lesen war. Doch die Basler Denkmalpflege winkte ab. So hängt die Tafel nun auf kirchlichem Areal im «Dalbeloch», nicht weit vom Ort, an dem Castellio einst «mausearm» mit seiner Familie wohnte, wie Bernhard Vischer, einer der Stifter, bei der Enthüllung sagte.

Auch wenn die Tafel nun an einem weniger prominenten Platz hängt, als das im Kreuzgang des Münsters der Fall gewesen wäre, so dürfte die Ortswahl durchaus im Sinne Castellios erfolgt sein. Denn, wie Kirchenratspräsident Lukas Kundert bei der Feier sagte, unter dem Dach der St.-Alban-Kirche wird die christliche Toleranz, wie sie sich der tiefgläubige Humanist gewünscht hatte, gelebt: «Die St.-Alban-Kirche befindet sich zu hundert Prozent im Besitz der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt und wird zu hundert Prozent von der Serbisch-orthodoxen Kirche genutzt.»

Religiös geprägter Toleranzbegriff

In seiner Ansprache ging Kundert zunächst auf Castellios Basler Zeit ein und kam dann auf dessen Toleranzbegriff zu sprechen.

Castellio, im Jahr 1515 in Savoyen geboren, liess sich nach Studien in Lyon und Unterrichts- und Predigertätigkeit in Genf 1545 in Basel nieder. Hier arbeitete er zunächst als Korrektor für den Basler Drucker Johannes Oporin und als Hauslehrer. 1553 wurde er Professor für griechische Sprache an der Universität Basel. Castellio edierte mehrere antike Autoren und übersetzte die Bibel in ein elegantes Latein und in die französische Volkssprache.



Die von Baslern für Sebastian Castellio gestiftete Gedenktafel soll ein Zeichen gegen religiöse Intoleranz setzen.

Die von Baslern für Sebastian Castellio gestiftete Gedenktafel soll ein Zeichen gegen religiöse Intoleranz setzen. (Bild: Martin Stohler)

Toleranz, sagte Lukas Kundert, hiess für Castellio Duldung. Kundert ortete hier gewisse Unterschiede zum heutigen Begriff von Toleranz, ohne allerdings allzu sehr auf Details einzugehen. Deutlich ist, dass sich Castellios Denken in religiösen Bahnen bewegte, während nach heutiger Auffassung Toleranz nicht auf einem religiösen Weltbild fussen muss.

Dass sich Castellio überhaupt dazu veranlasst sah, eine Lanze für die religiöse Toleranz zu brechen, hing damit zusammen, dass Christen theologische Meinungsverschiedenheiten zuweilen mit Feuer und Schwert austrugen. Dies war auch im Jahr 1553 der Fall, als Jean Calvin den «Häretiker» Michel Servet auf den Scheiterhaufen schicken liess. In der Auseinandersetzung mit Calvin schrieb Castellio denn auch den Satz, der nun in fünf Sprachen auf seiner Gedenktafel steht.

Menschenliebe statt Urschuld

Michael Bangert, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen beider Basel, ging in seiner Ansprache näher auf Castellio als Theologen ein. Bangert sieht in Castellio «ein Kind seiner Zeit, das zugleich auch ein Kämpfer gegen seine Zeit» war. So zeigt Castellios Frömmigkeit mystische Züge, zugleich legte er an die Bibel und ihre Deutung aber dieselben Massstäbe wie an antike «heidnische» Texte an. Dabei blieb in Castellios Augen immer auch Raum für einen Irrtum.

Für den grössten theologischen Irrtum hielt Castellio die Vorstellung einer menschlichen Urschuld, der Erbsünde. Sein Glaube war geprägt von Menschenliebe. Er suchte, wie Michael Bangert sagte, «ein Leben ohne Lüge und Diebstahl in Frieden».

Sebastian Castellio sei, so sagte Bangert abschliessend mit leichtem Augenzwinkern, neben der heiligen Ursula und dem heiligen Martin der ideale Stadtpatron Basels.

Botschaft an die Welt

Die Gedenktafel soll nicht nur an den Humanisten Castellio erinnern, sondern auch eine Botschaft verbreiten. «Der weltweiten grausamen und bedrohlichen religiösen Intoleranz dieser Tage sind sichtbare Zeichen entgegenzusetzen», ist dazu auf der Einladung zur Einweihungsfeier zu lesen.

Die Sätze auf der Platte, die von Bildhauer Markus Böhmer geschaffen wurde, sind denn auch ganz bewusst mit Goldlettern geschrieben. «So kann man den Text besser lesen und besser fotografieren», sagte Bernhard Vischer und sprach die Hoffnung aus, dass möglichst viele Fotos über soziale Medien und das Internet die Toleranzbotschaft in die Welt hinaustragen werden. Mit einer eigenen Website haben die Stifter gleich selbst einen Anfang dazu gemacht.
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Dank dem Alcorde Verlag liegen seit ein, zwei Jahren zentrale Texte Castellios in deutscher Übersetzung vor. Im selben Verlag erschienen auch eine Castellio-Biografie sowie die Basler Dissertation «Der Fall Servet und die Kontroverse um die Freiheit des Gewissens» von Uwe Plath. – An der Universität Bern verfolgt man derzeit zwei Editionsprojekte von Castellio-Texten (De haereticis und Dialogi).

 

 

 

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