Abgeordnete zünden Tränengas im Parlament und der Premierminister wird mit Eiern beworfen. Was geschieht eigentlich gerade im Kosovo? Ein paar Antworten.
Im Plenarsaal des kosovarischen Parlament ist am Donnerstag während der Sitzung Rauch aufgestiegen. Schon wieder. Mehrere Abgeordnete warfen Tränengas bei der Parlamentssitzung, weswegen diese abgebrochen werden musste. Dabei wurden die Kontrollen im Parlament bereits verschärft, nachdem in der Vorwoche dasselbe geschehen war.
Drahtzieher der Aktion ist die Opposition. Sie hat nun zum vierten Mal hintereinander erreicht, dass eine Parlamentssitzung abgebrochen werden musste. Die Oppositionsparteien – allen voran die linksnationalistische Vetevendosje – protestieren damit gegen die Umsetzung der mit Belgrad erzielten Vereinbarung über eine Autonomie für die Kosovo-Serben im Norden des Landes.
Nach der Festnahme von Albin Kurti kam es zu Strassenschlachten in Prishtina. (Bild: Ruben Neugebauer)
Der Vizechef der linksnationalistischen Vetevendosje, Albin Kurti, gehörte zu den Übeltätern und wurde deswegen am Montagabend festgenommen. Gewalttätige Vetevendosje-Anhänger lieferten sich daraufhin Strassenschlachten mit der Polizei. Der Staat knickte ein und liess Kurti wieder frei.
Gegen den Unmut half dies nur begrenzt: Am Mittwoch bewarfen Vetevendosje-Anhänger den Vizeaussenminister Petrit Selimi mit Eiern. «Kein Exponent der Regierung wird seine Arbeit normal fortsetzen können, bis die Vereinbarungen mit Serbien rückgängig gemacht worden sind», teilte Vetevendosje mit. Und die Oppositionspartei hielt Wort, auch der Premierminister Isa Mustafa musste während einer Rede im Parlament Eiern ausweichen.
Worum geht es im Abkommen?
Auslöser der Unruhen ist ein Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo, das Ende August geschlossen wurde. Die serbischen Gemeinden im Nordkosovo dürfen demnach einen Kommunalverband gründen. Das verschafft ihnen gewisse Autonomierechte. Dieser Verband wird teilweise weiterhin aus Belgrad finanziert, was die Opposition gar nicht goutiert. Sie pocht auf die nationale Eigenständigkeit des Kosovo und argumentiert, dass eine serbische Republik innerhalb des Kosovo sich nicht in den Gesamtstaat integrieren lasse.
Bereits jetzt ist es so, dass die serbische Minderheit sich mehrheitlich gegen eine stärkere Integration in den Staat wehrt. Knapp zehn Prozent beträgt ihr Anteil im Nordkosovo, wirtschaftlich ist die serbische Minderheit stark auf Belgrad angewiesen. Viele Bewohner vor Ort leben von Subventionen aus Serbien. Die wirtschaftliche Abhängigkeit gepaart mit der Erinnerung an den Kosovokrieg ist der perfekte Nährboden für den serbischen Nationalismus.
Was will Vetevendosje?
Vetevendosje bedeutet Selbstbestimmung. Die Partei setzt sich dafür ein, dass sich das Kosovo einem Grossalbanien anschliesst. Ein Schritt, der durch die Anerkennung einer autonomen serbischen Provinz im Norden noch weiter in die Ferne rückt. Vetevendosje lehnen jegliche Verhandlungen mit Belgrad ab, weil sie diese als Eingriff in die staatliche Souveränität des Kosovo verstehen. Der bislang grösste politische Erfolg der Partei ist das Bürgermeisteramt in Prishtina, dass von Shpend Ahmeti besetzt wird.
Wer ist dieser Albin Kurti und warum ist er so wichtig?
Albin Kurti ist der starke Mann der Partei, auch wenn er inzwischen nur noch Vizevorsitzender ist. Er ist ein ehemaliger UCK-Kämpfer und Studentenführer, der viel Zeit im Gefängnis verbracht hat. Er gehört zur bescheidenen Zahl kosovarischer Politiker, denen man weder Korruption, noch Kompromisse mit den Serben vorwerfen kann. Beim Volk geniesst er deswegen ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit.
Die Partei selbst sieht sich als linke und antikapitalistische Bewegung, die vor allem die Situation der jungen Kosovaren im Land verbessern möchte. Den Vorwurf, im Grunde eine rechtsnationalistische Partei zu sein, weist Vetevendosje entschieden zurück. Das Kernklientel bilden junge Kosovaren. Da das Kosovo, auch gemessen am Durchschnittsalter der Bevölkerung, der jüngste Staat Europas ist, ist das eine relevante und schnell wachsende Wählergruppe.
Was hat Serbien damit zu tun?
Parallel zu den jüngsten Ereignissen in Prishtina kam es in Belgrad zu grosser Empörung. Am Donnerstag ging die Nachricht durch die Medien, dass Deutschland eine Anerkennung des Kosovo von Serbien fordere. Davon würde abhängen, ob die EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien nun beginnen sollen oder nicht. Serbien weigert sich weiterhin, das Kosovo als eigenständigen Staat anzuerkennen. Der serbische Präsident Tomislav Nikolic sagte, dass eine Anerkennung des Kosovo in Serbien wahrscheinlich zu einem Bürgerkrieg führen würde.
Obwohl Nikolic eine Anerkennung des Kosovo verweigert, wird er von Ultranationalisten in Serbien dafür kritisiert, dass er das Kosovo hergegeben habe. Als er vergangenes Jahr eine Rede auf dem Amselfeld im Kosovo hielt, wurde er attackiert und Demonstranten warfen ihm einen Ausverkauf des Kosovo vor.
Wie geht es nun weiter?
Die serbische Regierung sitzt in der Zwickmühle. Einerseits ist klar, dass das Kosovo sich als eigenständiger Staat etabliert und die EU die Anerkennung auch zur Pflicht für einen allfälligen Beitritt des Landes in die Union machen wird. Andererseits würde eine Anerkennung des Kosovo durch Belgrad zu Überwerfungen in Serbien führen, da in der serbischen Nationalmythologie das Kosovo als die Wiege der serbischen Nation imaginiert wird.
Im Land selbst lebt noch immer im Norden eine serbische Minderheit, die den Staat nicht anerkennt und sich auch nicht intergrieren lassen wird. Weshalb sie zumindest auf Autonomierechte innerhalb des Kosovos pocht. Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass die kosovarische Opposition auch nur kleinste Sonderrechte für die serbische Minderheit nicht akzeptieren wird. Die Lage wird sich folglich nicht so bald entspannen.