Trauer und Wut nach Schliessung der Werkstatt Jobshop: «Wir sitzen fristlos auf der Strasse»

Wegen interner Querelen schloss die Werkstatt Jobshop der Stiftung Sucht plötzlich ihre Türen – für die Arbeiterinnen und Arbeiter droht eine Welt zusammenzubrechen.

Es ist Dienstagmorgen, doch die Türen zur Werkstatt bleiben verschlossen: Jobshop-Mitarbeiter/innen klagen ihr Leid.

(Bild: Gabriel Brönnimann)

Wegen interner Querelen schloss die Werkstatt Jobshop der Stiftung Sucht plötzlich ihre Türen – für die Arbeiterinnen und Arbeiter droht eine Welt zusammenzubrechen.

Rund 30 Personen stehen am Dienstagmorgen vor der Werkstatt Jobshop der Stiftung Sucht an der Wallstrasse in Basel. Die Menschen schauen ernst – einige traurig. Sie trösten einander, sprechen sich Mut zu. An der Türe, an der sie normalerweise von Montag bis Donnerstag ein- und ausgehen, hängt ein Schild: «Der Jobshop ist aktuell geschlossen. Wir erwarten euch gerne wieder ab 12. September.»



Dieser Zettel hängt laut Mitarbeitern seit Freitag, 26. August, an der Eingangstüre.

Dieser Zettel hängt laut Mitarbeitern seit Freitag, 26. August, an der Eingangstüre. (Bild: Gabriel Brönnimann)

Das Schild hänge seit Freitag da, sagt P. Meier, der Sprecher der Demonstrationsgruppe. «Natürlich am Freitag. Dann ist geschlossen hier. Am Montag standen alle vor verschlossenen Türen. Dabei ist das hier eine Einrichtung für sozial Benachteiligte. Wenn hier zu ist, haben sie gar nichts mehr.»

Arbeitsverträge gibt es im Jobshop nicht. Aber darum geht es hier auch nicht. Das Angebot richtet sich an suchtbelastete und sozial benachteiligte Menschen, die hier gemeinsam einer sinnvollen Arbeit nachgehen können – ein «geregelter Tagesablauf, Wertschätzung für erbrachte Leistungen sowie die Chance, gesellschaftliche Anerkennung zu finden sowie unter Umständen auch einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt», in den Worten des Mitbegründers Prof. Dr. Hans-Peter Schreiber.

Mehr als ein Jobshop

Dass die Nachfrage gross ist, zeigen kurze Gespräche mit den verzweifelten Jobshop-Mitarbeitenden: «Ich komme seit Anfang Jahr hierher, weil es mir sehr schlecht ging», sagt Mehmet Kucuk Görmez. Nachdem er alles verloren habe, sei er immer tiefer gefallen. Auch deswegen, weil er festgestellt habe: «Sobald du am Boden bist, bist du für die Menschen wertlos und unsichtbar. Du bist doppelt isoliert – und du siehst, wie alle nur für sich schauen. Das macht dich noch mehr traurig, zu sehen, wie alle wie gefangen herumrennen», sagt der Mann, der einst alle Hoffnung verloren hatte.



So viel Menschlichkeit habe er sonst nirgends in Basel erfahren dürfen: Mehmet Kucuk Görmez ist «einfach nur traurig darüber, was hier passiert».

So viel Menschlichkeit habe er sonst nirgends in Basel erfahren dürfen: Mehmet Kucuk Görmez ist «einfach nur traurig darüber, was hier passiert». (Bild: Gabriel Brönnimann)

«Den ersten Tag hier werde ich nie vergessen: Sein Sohn» – er zeigt auf Hans-Peter Schreiber – «er war so gut zu mir. Er hat mir gezeigt, dass es noch einen Sinn hat. Dass es auch noch Menschen gibt, nicht nur Unmenschen.»

Der entlassene Werkstattleiter

Der angesprochene Sohn ist der grosse Abwesende bei der Demonstration. Robert Schreiber, Leiter der Werkstatt, seit sechs Jahren im Betrieb. Und nun per sofort freigestellt. «Mobbing, schon seit Langem», raunen die anwesenden Jobshop-Klienten, die nur lobende Worte für den ehemaligen Werkstattleiter finden. «Er ist der Beste.» «Er muss zurückkommen.» «Wir sitzen fristlos auf der Strasse. Oder zu Hause.»

Die Vorwürfe der Demonstranten wiegen schwer: Die Stiftung habe – ohne Rücksicht auf ihren Auftrag und ohne sich bewusst zu sein, was dies finanziell für sie bedeute – den Sohn des Mitgründers «gemobbt». Grosse Aufträge an die Werkstatt seien bereits flöten gegangen, heisst es. «Wir haben die Existenz schon verloren», ist man sich sicher. Was geschieht nun mit den 5000 Portemonnaies, die man pro Monat näht? Niemand weiss es.



P. Meier (r.), Sprecher der Protest-Versammlung, hält eine Ansprache beim Protest an der Wallstrasse in Basel.

P. Meier (r.), Sprecher der Protest-Versammlung, hält eine Ansprache beim Protest an der Wallstrasse in Basel. (Bild: Gabriel Brönnimann)

Nach einer Ansprache von P. Meier vor laufenden Kameras und Mikrofonen – er fordert die unmittelbare Wiedereröffnung des Jobshops – tritt Erika Knecht spontan vor die Mikrofone. «Es geht nicht um das Geld», sagt sie. «Es geht um die Wertschätzung. Wir sind hier eine kleine Familie.» Rundherum Nicken. Schweigen. Feuchte Augen. Ein junger Mann sagt: «Wie sollen wir uns jetzt noch sehen? Wenn nicht hier, wo dann?»

Der Anker

Als Kranke sei sie «ausrangiert», sagt Knecht, das Geld sei – da die Ergänzungsleistungen entsprechend gekürzt würden – maximal ein Mini-Zustupf, sagt Erika Knecht. «Aber ich komme sei zwei Jahren hierher. Hier habe ich plötzlich ein Umfeld. Leute, die mich verstehen. Ich habe mich sogar auf den Montag gefreut», sagt Erika Knecht. «Und nun sehen wir uns nicht mehr, und ich bin wieder allein mit meiner Depression.»



Prof. Dr. Hans-Peter Schreiber fürchtet um sein Lebenswerk und macht sich Sorgen um die Klientinnen und Klienten der Werkstatt Jobshop.

Prof. Dr. Hans-Peter Schreiber fürchtet um sein Lebenswerk und macht sich Sorgen um die Klientinnen und Klienten der Werkstatt Jobshop. (Bild: Gabriel Brönnimann)

«Ein Schlag gegen die Würde dieser Menschen» sei das, was hier geschehe, sagt Hans-Peter Schreiber. Der aus Altersgründen zurückgetretene Stiftungspräsident betont, es gebe keine vergleichbare Institution – «und ich bezweifle, dass das unter der derzeitigen Leitung je wieder so hergestellt werden kann». Er befürchtet, die Werkstatt sei in ihrer gedachten Form «vorbei» und sagt, er wolle mit Freunden möglichst schnell einen neuen Jobshop eröffnen, es bestehe offenkundig ein «Riesenbedarf».

Die Stiftung widerspricht

Auf die verschiedenen Vorwürfe angesprochen, sagt Thomas Bein, Vizepräsident der Stiftung Sucht, es bestehe in keiner Weise die Absicht, die Werkstatt Jobshop nicht weiterzuführen: «Das ist eine Sorge, die man sich nicht machen muss.» Ausserdem sei der Stiftung «nicht bekannt, dass wir Auftraggeber verloren haben sollten. Wir haben alle Auftraggeber kontaktiert und uns wurde mitgeteilt, dass sie weiterhin mit uns arbeiten möchten.»

Die Schliessung sei nötig gewesen, «um die Geschäfte in Ordnung zu bringen». Es gebe bereits eine interimistische Leitung aus der Stiftung heraus – «die Arbeit wird weitergehen».

«Der Vorwurf, dass der Stiftungszweck gefährdet sei, den weisen wir von uns», sagt Bein weiter: «Der Jobshop ist zwar ein wichtiger Viertel der Stiftung, aber die anderen drei Viertel – Chratten Suchttherapie, Haus Gilgamesch und das Tageshaus für Obdachlose – da geht alles ganz ruhig und normal seinen Gang.»

Happige Vorwürfe auf beiden Seiten

Beim Jobshop sei dies «leider nicht mehr möglich gewesen» – und zwar, «weil es zwischen dem Werkstattleiter auf der einen und dem Stiftungsrat und dem Geschäftsführer auf der anderen Seite zu unüberbrückbaren Differenzen kam. Es ging um Abrechnungen und Statistiken, die nicht aufgingen und die sich erst mit Zuhilfenahme von externen Stellen und auch da nicht vollständig aufklären liessen.»
 
«Es tut mir leid, wenn nun bei den Klientinnen und Klienten des Jobshops Verunsicherung herrscht», fügt Thomas Bein an. Es hätten erste Gespräche stattgefunden, und diese «seien gut verlaufen, hat man mir mitgeteilt».

Abschliessend möchte er betonen: «Es geht hier nicht um einen Konflikt um die Zielsetzung oder den Auftrag des Jobshops, sondern um einen Arbeitskonflikt mit einem Mitarbeiter. Die Werkstatt wird weitergeführt werden.»

Artikelgeschichte



Dieser Zettel hängt laut Mitarbeitern seit Freitag, 26. August, an der Eingangstüre.

Dieser Zettel hängt laut Mitarbeitern seit Freitag, 26. August, an der Eingangstüre. (Bild: Gabriel Brönnimann)



Dieser Zettel hängt laut Mitarbeitern seit Freitag, 26. August, an der Eingangstüre.

Dieser Zettel hängt laut Mitarbeitern seit Freitag, 26. August, an der Eingangstüre. (Bild: Gabriel Brönnimann)



Dieser Zettel hängt laut Mitarbeitern seit Freitag, 26. August, an der Eingangstüre.

Dieser Zettel hängt laut Mitarbeitern seit Freitag, 26. August, an der Eingangstüre. (Bild: Gabriel Brönnimann)

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