Kyudo ist japanisches Bogenschiessen. Es unterscheidet sich aber stark vom europäischen. Das Vorher und Nachher steht mehr im Vordergrund als das Schiessen selbst.
Das Ziel fokussiert, jeder Muskel angespannt: Peter Humm steht da, reglos, konzentriert, ganz bei sich. Ein Blinzeln später: Zack! Sein Pfeil trifft mitten ins Ziel.
Was auch nicht ganz schwierig ist, der Strohballen steht nur zwei Meter entfernt. Aber im Kyudo geht es primär nicht ums Treffen, es ist im japanischen Bogenschiessen eine Nebensache. Das wirkliche Ziel ist der Weg, ein langer, bewusster und choreografierter.
Er fängt bereits mit dem Tenue an: Es ist keine Hightech-Sportkleidung, sondern eine traditionelle Robe – weisses Hemd genannt Gi, schwarze weite Hosen mit Namen Hakama. Die einzige Hilfe für die Schützen ist der Gake, ein hirschlederner Handschuh. Aber nicht nur die Kleidung beim Kyudo unterscheidet sich vom Tenue beim europäischen Bogenschiessen.
Japanische Bögen (links) sind asymmetrisch im Gegensatz zu europäischen (Symbolbild). (Bild: Wikipedia)
Achtung, das Ohr!
Auch der Pfeilbogen ist anders. Die Sehne wird am Gesicht vorbeigezogen. Lachend erzählt der Leiter des Hizen Dojos (Trainingsraum) Peter Humm: «Der Schütze muss vorsichtig sein beim vollen Ausziehen der Sehne, sonst ist das Ohr weg.» Einmal war er unvorsichtig, seitdem schaut er bei gespannter Sehne nur noch in Abschussrichtung, das Ohr aus der Schusslinie genommen.
Lässt die Schützin oder der Schütze die Sehne los, offenbart sich ein weiterer Unterschied. Der Bogen dreht sich nach dem Loslassen des Pfeils wegen des Schwungs von einer Körperseite zur anderen. Die Bogen werden traditionell aus Bambus gebaut, aber moderne Bogen gibt es auch aus Carbon. «Holz fühlt sich aber besser an», sagt Kathrin Humm, die zusammen mit Peter Humm das Dojo leitet.
Gelassenheit und Konzentration
Kathrin ist die erste Schweizerin mit Lehrertitel im Kyudo. 20 Jahre dauerte es, bis sie den Titel hatte. Und wie der Nachnamen offenbart, sind die beiden Leiter des Dojos verheiratet. Kennengelernt haben sich beide an einem Kyudo-Turnier in Berlin. Die Eröffnung eines Dojos war für die Beiden die logische Konsequenz.
Peter Humm erjkört den Schülern die Technik. (Bild: Brendan Bühler)
«Kyudo ist mehr als Schiessen», sagt Kathrin. Geht es weniger ums Schiessen, dafür mehr um das Ganze, dann wird Kyudo laut Kathrin zur Meditation. «Diese Art der Meditation ist etwas einfacher als nur zu sitzen. Man hat etwas in der Hand und ist nicht alleine auf sich gestellt.» Kurs-Teilnehmer Martin erklärt: «Es ist eine Auseinandersetzung mit sich selbst.» Die ganze Choreografie fordert äusserste Konzentration, jede Bewegung soll stimmen.
Langer Weg bis zum Schiessen
Bis ein Sportler das erste Mal schiesst, dauert es zwei oder drei Monate. Die Bewegungsabläufe werden zuerst mit Hilfe eines Stabs mit einem Gummi geübt. Einerseits aus Sicherheit, anderseits aber sollte laut Peter das Schiessen nicht im Vordergrund stehen.
Er zeigt auf zwei Neulinge: «Die wollen unbedingt Schiessen. Also lasse ich sie so lange ohne Bogen üben, bis sie sich nicht mehr danach sehnen. Es ist wichtig, zuerst die korrekte Form zu lernen.» Im Dojo in Basel werden auch nur auf zwei Meter Distanz geschossen. Wer die korrekte Form gelernt hat, der darf einmal im Monat bei den beiden Dojo-Leitern im Garten auf 28 Meter Entfernung schiessen.
Der Mann übt zusammen mit Kathrin Humm die Bewegungen. (Bild: Brendan Bühler)
Vom Krieg zum Wettkampf
In der Schweiz gibt es um die 170 Kyudokas. Trotzt der geringen Anzahl Schützen gibt es jährlich eine Schweizermeisteschaft. Der Schweizer Kyudo Verband organisiert dieses Turnier. Und auch auf internationalen Ebene können sich die Schützen messen: bei den Europameisterschaften und Weltmeisterschaften.
Bei den Turnieren verlagert sich jedoch der Schwerpunkt. «Bei Wettkämpfen geht es ums Treffen. Schöne Bewegungsabläufe sind gut, aber am Ende muss der Pfeil ins Ziel», sagt Kathrin. Die Zielscheibe ist 28 Meter entfernt und misst 36 Zentimeter im Durchschnitt. Die Entfernung der Zielscheibe ist kein Zufall. Früher standen sich gegnerische Armeen in dieser Entfernung gegenüber, bevor es ins Getümmel ging.
Heute dient Kyudo genau dem Gegenteil vom Kampf. Die innere Ruhe liegt im Vordergrund. «Wir waren einmal in einer japanischen Klasse, es war ein riesiges Chaos. Wir haben Kyudo vorgeführt. Während dem Schiessen war es mucksmäuschenstill», erzählt Kathrin mit einem Lachen.
Ästhetik als Bestandteil
Die Gelassenheit ist auch für die Teilnehmerin Simone das Hauptargument für das ausüben des Sports: «Die Anmut und die Ruhe gefallen mir. Den Sport kann ich zudem auch noch im hohen Alter machen.» Aus Gründen der Anmut trainiert die Gruppe auch im klassischen japanischen Tenu. «Es geht ums Gefühl», erläutert Kathrin. An manchen Wettkämpfen werden auch luxuriöse Kimonos getragen.
Nach rund zwei Stunden Training ist die Anspannung der Entspannung gewichen. Der meditative Aspekt des Kyudos hat gewirkt, für einige Zeit war der Alltag nicht präsent. Mit einem Lächeln verabschieden sich die Kyudokas. Auch die beiden Neulinge, die noch nicht mit dem Bogen schiessen dürfen, sind glücklich.
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In Basel gibt es mehere Kyudo Dojos, beispielsweise das Hizen Dojo und das Kyudojo.
Eine kurze Sequenz aus dem Film «One Shot. One Life»: