Trotz grosser Zugeständnisse des Regimes dauern die Proteste in Kiew weiter an

Am Dienstag trat die Regierung zurück, das Parlament machte die erst kürzlich erlassenen, repressiven Gesetze rückgängig. Am Mittwoch soll ein Amnestiegesetz folgen. Doch ohne den Rücktritt von Präsident Wiktor Janukowitsch werden die Proteste weitergehen.

Auch wenn das Regime in Kiew viele Zugeständnisse macht, ist es unwahrscheinlich, dass die Proteste auf dem Maidan aufhören werden. (Bild: Konstantin Chernichkin (n-ost))

Am Dienstag trat die Regierung zurück, das Parlament machte die erst kürzlich erlassenen, repressiven Gesetze rückgängig. Am Mittwoch soll ein Amnestiegesetz folgen. Doch ohne den Rücktritt von Präsident Wiktor Janukowitsch werden die Proteste weitergehen.

Das ukrainische Parlament gleicht am Dienstag einem Abstimmungsfließband: Im Minutentakt liest der Parlamentssprecher die zur Abstimmung stehenden Gesetze vor. Ohne Diskussion und einig wie nie im Verlauf der vergangenen Jahre stimmen die Abgeordneten von Opposition und Regierungspartei ab. Eins nach dem anderen werden die repressiven Gesetze, die Präsident Wiktor Janukowitschs Partei der Regionen erst vor zwei Wochen durchs Parlament geboxt hatte, wieder zurückgenommen.

Über die einzelnen Punkte wird nicht diskutiert, denn allen ist klar: Den Versprechen, die Präsident Wiktor Janukowitsch am Montag der Opposition gegeben hat, müssen nun Taten folgen. Erst am Nachmittag kommt das Fließband ins Stocken. Die Verabschiedung der ausgehandelten Amnestie für die im Laufe der Proteste angeklagten Aktivisten wird auf Mittwoch verschoben.

Versöhnliche Signale

Nach einer Schweigeminute für die während der Proteste getöteten Demonstranten setzt Premierminister Mykola Asarow den eigentlichen Paukenschlag. Er reicht seinen Rücktritt ein, was nach der ukrainischen Verfassung gleichzeitig den Rücktritt der Regierung bedeutet. Auch das war eine Kernforderung der Opposition.

Die Amtsniederlegung tritt am Mittwoch in Kraft, allerdings stellt sich die Frage, wer dann die Regierung stellt. Janukowitsch hatte Vitali Klitschko den Posten eines Vizepremiers, Arsenij Jazenjuk den des Premierministers angeboten. Klitschko hat deutlich gesagt, dass er in keine Regierung unter Präsident Janukowitsch eintreten wird, Jazenjuk dagegen signalisierte zuletzt vage die Bereitschaft, «Verantwortung zu übernehmen».

Nestor Schufritsch, Abgeordneter der Partei der Regionen, schimpft am Mittag auf die Hasenfüßigkeit der Opposition. «Wir haben alle mit der Opposition getroffenen Vereinbarungen erfüllt. Die hat vom Präsidenten das Angebot bekommen, die Regierung zu stellen. Aber sie fürchten sich, Verantwortung zu übernehmen», sagt er.

Hoffen auf eine «Regierung der nationalen Einheit»

Schufritsch geht deshalb davon aus, dass auch die nächste Regierung von der Partei der Regionen gestellt wird, die über die meisten Sitze im Parlament verfügt. Aber er glaubt, dass ein künftiger Premier sich durch Konsultationen mit den im Parlament vertretenen Parteien die nötige Unterstützung holen und eine Art «Regierung der nationalen Einheit» bilden wird. Einen vorzeitigen Rücktritt des Präsidenten schließt er aus.

Damit bleibt auch die wichtigste Frage offen. Der harte Kern des Maidan, der nach zweieinhalb Monaten Protest auf unter zehntausend Menschen zusammengeschrumpft ist, hat nach den gewalttätigen Zusammenstößen mit mindestens sechs Todesopfern nur noch eine Forderung: Janukowitsch soll zurücktreten.

Um zu untermauern, dass er noch genügend Unterstützung im ganzen Land hat, lässt der Präsident in der Nacht zum Dienstag aus dem Süden und Osten des Landes an die 40’000 Menschen zu einem «Antimaidan» unweit des Parlaments anreisen. Zu dieser Strategie passt auch das harte Vorgehen gegen die Versuche der Oppositionsaktivisten, im Süden und Osten des Landes die Regionalverwaltungen zu besetzen. In den westlichen Regionen blockieren Protestler seit Tagen die Verwaltungsgebäude. Erneut zeigt sich, dass das Land zweigeteilt ist: Im Westen und im Zentrum haben die nationalistisch und proeuropäischen Ukrainer das Sagen, der Süden und Osten stützt Janukowitsch.

EU-Parlamentarier zu Besuch in Kiew

Auch die Europäische Union versucht im ukrainischen Machtpoker mitzuspielen. Seit Tagen ist eine Gruppe von EU-Parlamentariern unter Leitung des Deutschen Elmar Brok (CDU) in Kiew, am Dienstag reist die EU-Außenbeauftrage Catherine Ashton zu Verhandlungen mit Janukowitsch und der Opposition an.

Als neutrale Vermittlerin kann die EU in Kiew jedoch kaum auftreten. Zu deutlich haben viele Vertreter zu Beginn der Proteste ihre Sympathie für die Opposition gezeigt. «Wir sind dankbar für Hilfe von außen, etwa wenn der US-Botschafter sich für eine Beendigung der Besetzung des Justizministeriums einsetzt», sagt Wladimir Olejnik, ebenfalls Abgeordneter der Partei der Regionen. «Aber sie sollten sich nicht einmischen.»

Die große Frage lautet nun: Werden die Aktivisten angesichts der Verhandlungserfolge die Barrikaden und die besetzten Regierungsgebäude verlassen? Danach sieht es nicht aus. «Eine andere Regierung? Dann bleibt doch alles beim Alten», schimpft Wiktor, ein maskierter Wächter an einer Barrikade unweit der Präsidialverwaltung. «Der Präsident muss weg, nur dann ändern sich die Dinge», sagt er. Dann geht er zu seinen Kameraden der «7. Hundertschaft der Selbstverteidigung» und hilft ihnen, einen haushohen, aus Balken gezimmerten Wachturm hinter der Barrikade aufzustellen.

Eine Fortsetzung der Besetzungen im Stadtzentrum führt jedoch das geplante Amnestiegesetz ad absurdum: Es sieht vor, alle Verfahren einzustellen, die wegen Straftaten ab dem 26. Dezember des letzten Jahres im Zusammenhang mit den Protesten eingeleitet wurden. Eine Amnestie für Straftaten nach Inkrafttreten des Gesetzes schließt es jedoch nicht ein. Die Opposition kündigte derweil an, die Verhandlungen mit Präsident Wiktor Janukowitsch fortzusetzen.

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