Trotz Verbot: Genitalverstümmelungen in Ägypten gehen nur langsam zurück

Ein Gericht in Ägypten hat einen Arzt und einen Vater freigesprochen, nachdem ein 13-jähriges Mädchen bei der Beschneidung gestorben war. Der Prozess wirft ein neues Schlaglicht auf die Praxis der Genitalverstümmelung in Ägypten, deren Verbreitung sich nur langsam zurückdrängen lässt.

Ein Gericht in Ägypten hat einen Arzt und einen Vater freigesprochen, nachdem ein 13-jähriges Mädchen bei der Beschneidung gestorben war. Der Prozess wirft ein neues Schlaglicht auf die Praxis der Genitalverstümmelung in Ägypten, deren Verbreitung sich nur langsam zurückdrängen lässt.

Umm Khaled ist verunsichert. Die 45-jähriger Mutter zweier Mädchen aus einem einfachen Kairoer Stadtviertel hat ihre ältere Tochter vor fünf Jahren beschneiden lassen. Die jüngere ist jetzt 11 Jahre alt und sie hin und her gerissen zwischen dem Druck aus ihrer eigenen Familie und den Informationen aus den Anti-Beschneidungs-Kampagnen.

Auch die Diskussion mit ihrer gut situierten Arbeitgeberin hat bisher nicht dazu geführt, dass sie sich zu einem Entscheid durchringen konnte, ob sie ihrer Jüngsten diesen einschneidenden Eingriff ersparen will oder nicht. Am meisten Eindruck macht ihr noch das Argument, auch junge, aufgeklärte Männer würden immer öfter unbeschnittene Frauen, die auch Lust am Sex haben, heiraten wollen. Ihre Töchter gut zu verheiraten, ist Umm Khaleds wichtigstes Anliegen.

Seit 2008 verboten, nun der erste Gerichtsprozess

Beschneidung ist ein sensibles Thema und immer noch ein Tabu, über das viele Ägypterinnen nur ungern reden. Das Land der Pharaonen gehört weltweit zu den Ländern, in denen die weibliche Genitalverstümmelung – auch bekannt als FGM (Female Genital Mutilation) – am weitesten verbreitet ist. Ein neues Schlaglicht auf dieses Praxis wirft jetzt der Gerichtsprozess gegen einen Arzt und einen Vater, dessen 13-jährige Tochter Sohair im Juni 2013 nach einer FGM-Operation gestorben war.

Es ist das erste Mal, dass sich Richter mit dieser Praxis befassten, die seit 2008 gesetzlich verboten ist. Das Gericht in der Delta-Stadt Mansour sprach am Donnerstag Arzt und Vater in allen Anklagepunkten, darunter Durchführung einer FGM oder Gefährdung eines Kindes, frei und erklärte, die Strafsache sei nach einem Ausgleich erledigt und wies den Arzt an, der Mutter als Klägerin eine Kompensation von 7000 Pfund (rund 670 Franken) zu bezahlen. Der Anwalt hat Berufung gegen das Urteil angekündigt. Frauenrechtlerinnen erhoffen sich von der Aufmerksamkeit um diesen Fall einen neuen Schub für ihre unablässigen Bemühungen, nachdem das Thema FGM wie alle sozialen Fragen seit der Revolution von 2011 von den politischen Wirren in den Hintergrund gedrängt worden ist.

Das Gericht erklärte die Strafsache für erledigt – wegen einer Ausgleichszahlung von rund 670 Franken.

Die vielen Regierungswechsel haben auch dazu geführt, dass die für 2013 geplante neue statistische Erhebung nicht durchgeführt worden ist. Die letzten Daten stammen deshalb aus dem Jahr 2008 und machen es schwierig, die Erfolge der Anti-FGM-Kampagnen abzuschätzen, die etwa zu diesem Zeitpunkt massiv intensiviert worden sind. Nach diesen Zahlen des Gesundheitsministeriums waren 91 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Etwa drei Viertel der Operationen werden in einer ärztlichen Praxis durchgeführt. In der Altersgruppe zwischen 15 und 19 war der Anteil der beschnittenen Mädchen zwischen 2005 und 2008 um 15 auf 74 Prozent gesunken; ein Beweis, dass ein langsames Umdenken stattfindet. Dabei gibt es ein grosses Gefälle zwischen Stadt und Land und eine entscheidende Rolle spielt das Bildungsniveau.

Praxis bei Christen und Muslimen

FGM ist ein kulturelles Phänomen und hat nichts mit der Religion zu tun. Sie wird in Ägypten von Christen und Muslimen gleichermassen praktiziert, ist aber in den arabischen Nachbarländern praktisch unbekannt. Dennoch hatte sich al-Azhar, die wichtigste Autorität des sunnitischen Islam, erst 2013 dazu durchringen können, ein explizites Verbot auszusprechen, nachdem 2006 diese Praxis lediglich als schädlich und «nicht notwendig» deklariert worden war. In der Regierungszeit der Islamisten gab es von der ultra-konservativen, salafistischen Al-Nour-Partei 2012 sogar Bestrebungen, ein Gesetz zur Legalisierung von FGM zu verabschieden.

Auch wenn in den Medien nicht täglich darüber berichtet wird, geht die Überzeugungsarbeit Dutzender Regierungsorganisationen mit vielen Programmen weiter. Zum Beispiel jenes unter dem Titel «FGM-freies Dorf», das unter Einbezug von Dorfältesten, religiösen Würdenträgern, Meinungsmachern und Hebammen daran arbeitet, diese schädliche und gefährliche Praxis in einem ganzen Dorf auzurotten und es als FGM-frei zu erklären.

Oft sind die Mütter zum Umdenken bereit, aber die Grossmütter beharren auf der alten Tradition.

In den letzten Monaten tourte auch das Hara-TV3-Theater durch viele Städte in Oberägypten, im Delta und am Suez-Kanal und spielte auf der Bühne jene Szenen nach, wie sie sich in vielen Familien als Kontroverse um die Beschneidung der Töchter wiederholen. Oft seien die Mütter zum Umdenken bereit, aber die Grossmütter würden auf der alten Tradition beharren, konnten die Theatermacherinnen immer wieder feststellen.

Die Verfechter und Verfechterinnen der Frauen-Beschneidung sind überzeugt, sie sei notwendig, um die Keuschheit der Frauen zu schützen, in dem das sexuelle Verlangen unterdrückt wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet vier Methoden von FGM danach, wie viel von den äusseren, weiblichen Geschlechtsorgane entfernt wird. In Ägypten ist eine der schlimmeren Formen am Weitesten verbreitet.

Die vier Typen der Genitalverstümmelung nach WHO (Quelle: Wikipedia):

  • Typ I: teilweise oder vollständige Entfernung des äusserlich sichtbaren Teils der Klitoris (Klitoridektomie) und/oder der Klitorisvorhaut (Klitorisvorhautreduktion).
    • Typ Ia: Entfernung der Klitorisvorhaut
    • Typ Ib: Entfernung der Klitorisvorhaut und der Klitoriseichel
  • Typ II: teilweise oder vollständige Entfernung des äusserlich sichtbaren Teils der Klitoris und der inneren Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der äusseren Schamlippen (Exzision).
    • Typ IIa: Entfernung der kleinen Schamlippen
    • Typ IIb: Entfernung der kleinen Schamlippen und ganz oder teilweise Entfernung der Klitoriseichel
    • Typ IIc: Entfernung der kleinen und grossen Schamlippen und ganz oder teilweise der Klitoriseichel
  • Typ III (auch Infibulation): Verengung der Vaginalöffnungmit Bildung eines deckenden Verschlusses, indem die inneren und/oder die äusseren Schamlippen aufgeschnitten und zusammengefügt werden, mit oder ohne Entfernung des äusserlich sichtbaren Teils der Klitoris.
    • Typ IIIa: Abdeckung durch Aufschneiden und Zusammenfügung der kleinen Schamlippen
    • Typ IIIb: Abdeckung durch Aufschneiden und Zusammenfügung der grossen Schamlippen
  • Typ IV: In dieser Kategorie werden alle Praktiken erfasst, die sich nicht einer der anderen drei Kategorien zuordnen lassen. Die WHO nennt beispielhaft das Einstechen, Durchbohren (Piercing), Einschneiden (Introzision), Abschaben sowie die Kauterisation von Genitalgewebe, das Ausbrennen der Klitoris oder das Einführen ätzender Substanzen in die Vagina.

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