Trudie F. schluckt zu viele Pillen

Die Spitäler verschreiben Originalpräparate, Hausärzte setzten auf Generika. Und die Patienten verlieren die Übersicht.

Original oder Generika? Ärzte im Spital und in der Praxis beantworten diese Frage unterschiedlich. Davon profitieren vor allem die Pharmaunternehmen.

(Bild: Hans-Jörg Walther)

Die Spitäler verschreiben Originalpräparate, Hausärzte setzten auf Generika. Und die Patienten verlieren die Übersicht.

Trudie F. hat noch einmal Glück gehabt. Die 80-Jährige leidet an Diabetes und mehreren Folgeerkrankungen. Ihr Zustand verschlechtert sich, der Hausarzt schickt sie ins Spital. Dort verschreibt ihr der Arzt zwei neue Medikamente. Der Wirkstoff ist jeweils unverändert, das Produkt ein anderes. Der Spitalarzt hat ihr anstelle der bisherigen Generika Originalpräparate verschrieben. Und so stehen nach dem Spitalaustritt bei der betagten Patientin auf dem Küchentisch ­neben den beiden bisherigen Generika auch die zwei neuen Medikamente. 

Trudie F. ist verwirrt und nimmt sowohl die Originalpräparate wie die Generika. Bei der nächsten Sitzung ist ihr Hausarzt M. F. (Name der Redaktion bekannt) ausschliesslich damit beschäftigt, sie über ihre Medikamente aufzuklären. Sollte sie weiterhin alle Medikamente nehmen, drohen eine Überdosis und Komplikationen.

Der Fall steht stellvertretend für einen Konflikt zwischen Spitalmedizinern und Hausärzten. Die grundlegende Frage lautet: Generika oder Originalpräparat? Während die meisten Hausärzte auf Generika setzen, bevorzugen die Spitalmediziner Original­präparate. So wie Trudie F. ergeht es vielen anderen Patienten auch. Bei einem Spital­eintritt stellen die Ärzte die Medikamente in der Regel um und ersetzen die Generika. Nach dem Spitalaustritt erfolgt eine erneute Umstellung durch den Hausarzt, oder der Patient bleibt beim teureren Originalpräparat. Ein Problem, das auf allen Seiten für Ärger sorgt. Darunter leiden vor allem die Patienten.

Verwechslungen und Doppeleinnahmen gehören zur Regel

Joël Cuénod, Hausarzt und Vorstand der Hausärzte beider Basel, kennt die Situation aus eigener Erfahrung. «Nach Spitalaustritten finden wir bei Patienten mit Mehrfacherkrankungen bis zu acht verschiedene Medikamente und mehr.» Es komme relativ häufig vor, dass Patienten schon ein Medikament der gleichen Klasse zu Hause hätten und ein neues mit ähnlichem Wirkstoff erhielten. «Das führt zu einer Verschwendung, oder schlimmer noch, zu Verwechslung und Doppeleinnahme.» Er wünschte sich, Spitalärzte würden die Austrittsmedikation vermehrt mit dem Hausarzt besprechen.

Ein Grund für den Missstand ist die fehlende Kommunikation zwischen den Spitälern und den Hausärzten. Der andere Grund ist das enge Verhältnis der Spitäler zu den Pharmaunternehmen. Die Marktführer finanzieren Forschungs- und Assistenzstellen. Und sie offerieren den Spitälern ihre Originalmedikamente zu Tiefstpreisen.

Ein offenes Geheimnis

Christoph Meier, Chefapotheker der Spitalpharmazie am Universitätsspital Basel (USB), spricht von einem «offenen Geheimnis». «Wir haben bei den Anbietern mit Originalpräpa­raten viel tiefere Einkaufspreise als private Apotheken.» Je nach Quelle beträgt der Rabatt bis zu 30 Prozent. Somit sind für die Spitäler die meisten Originalpräparate günstiger als Generika. Die Patienten sehen von den Rabatten jedoch nichts. Der Gewinn bleibt in der Spitalkasse.

Es erstaunt also nicht, wenn der Anteil der Generika auf der Arzneimittelliste des Universitätsspitals nur einen sehr kleinen Teil ausmacht. Brisant dabei: Die Spitalpharmazie setzt damit nicht nur den Standard für die Patienten im eigenen Haus. Sie beliefert darüber hinaus zehn weitere Spitäler in der Region, darunter die Universitäre Psychiatrische Klinik, das Felix-Platter- und das Merian-Iselin-Spital. Über die Zusammenstellung der Arzneimittelliste entscheidet die Arzneimittelkommission. Es wäre interessant, mehr über deren Kriterien zu erfahren. Ein internes Generika-Reglement ist jedoch für die Öffentlichkeit unter Verschluss.

Viel Geld könnte gespart werden

Basel ist kein Einzelfall. Das Thema sorgt schweizweit für Diskussionen. In den vergangenen Monaten haben zwei Studien der Debatte weitere Brisanz verliehen. Beide kommen sie zum selben Schluss. Nach Spitalaustritt nehmen die Patienten in der Regel weiterhin die im ­Spital verschriebenen Medikamente.

Forscher am Universitätsspital Genf belegten, dass mit dem konsequenten Einsatz von Generika viel Geld gespart werden könnte. So verdoppelte sich in Genf der Marktanteil eines Generikums gegen Magenprobleme innert fünf Jahren, nachdem es vom Universitätsspital auf die Medikamenten­liste gesetzt worden war. Anhand von acht Medikamenten errechneten die Forscher für die kantonalen Gesundheitskosten zwischen 2000 und 2008 ein Sparpotenzial von 30 Millionen Franken, wenn das Spital konsequent auf Generika gesetzt hätte.

Auch das Schweizerische Gesundheitsobservatorium beschäftigte sich mit dem Thema und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. In der im November veröffentlichten Studie schreiben die Forscher, die Praxis der Spitäler könne «die Medikamentenkosten in die Höhe treiben». 

Grund dafür ist gemäss der Studie erstens die Verschreibungspraxis der Ärzte. Beim Wechsel vom ­Spital in die private Arztpraxis werde teilweise das Originalpräparat beibehalten, obwohl ein günstigeres Generikum auf dem Markt wäre. Zweitens neigten Patienten dazu, nach der ambulanten Spital­behandlung weiterhin auf das Originalpräparat zu setzen. Schweizweit sieht die Studie ein Sparpotenzial in der Höhe von jährlich 250 Millionen Franken.

«Die Generikadebatte ist mir ein Dorn im Auge»

Allen Sparanstrengungen zum Trotz, beim Universitätsspital Basel genies­sen Generika keinen sehr hohen Stellenwert. «Die Generikadebatte ist mir schon lange ein Dorn im Auge», sagt Meier. Der Chefapotheker und Professor für Spitalpharmazie an der Universität Basel sieht Generika zwar auf den ersten Blick auch als Sparmöglichkeit, er dreht den Spiess jedoch um. Die Generika seien der eigent­liche Grund für das Risiko von Übermedikation und Wechselwirkungen. «Persönlich finde ich, man sollte Generika abschaffen und konsequent durch Originalprodukte ersetzen, aber es bräuchte ein ausgeklügeltes, gestaffeltes Preismodell.» Meier kritisiert, die Generikahersteller würden kaum Geld in die Forschung investieren, sondern nur von den Erfindungen der forschenden Industrie profitieren.

Bei Intergenerika, dem Verband der Generikaproduzenten in Liestal, hat man für diese Sichtweise denkbar wenig Verständnis. Geschäftsführer Peter Huber bezeichnet die Geschäfte zwischen Spitälern und Pharma-Unternehmen als «marktverzerrend». Bei den Rabatten der Branchenführer könnten die Generikahersteller eben nicht mithalten, da sie ihre Medikamente auch in den Apotheken zu ­einem tieferen Preis anbieten. 

Eine mögliche Lösung

Die Begründung der Spitäler, ein Wechsel auf Generika sei «sehr aufwendig», hält Huber für einen Vorwand und erzählt von einem Fall aus der Vergangenheit. Als beim Universitätsspital Basel wegen Lieferengpässen ein Originalpräparat ausging, konnte ein Generika-Anbieter aus der Region sein Medikament liefern. Das Gastspiel war von kurzer Dauer. Nachdem das Originalpräparat wieder erhältlich war, habe das Spital das Generikum aus dem Sortiment gestrichen.

Huber sieht einen Lösungsansatz für die festgefahrene Situation an anderer Stelle: Die Spitäler sollten bei der Entlassung eines Patienten den Wirkstoff aufschreiben und nicht das Medikament. «Würde konsequent der Wirkstoffname aufgeschrieben, wäre viel gewonnen, weil Hausärzte oder Apotheker dann einfacher auf ein Generikum wechseln könnten», sagt Huber. Und geht dabei einig mit Spitalapotheker Meier, der sagt: «Wenn dereinst nur noch der Wirkstoff verschrieben wird, dann tritt die Frage Generika oder Original etwas in den Hintergrund.»

Ob Trudie F. danach mehr Übersicht über ihre Medikamente hätte, das kann bezweifelt werden.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 06.12.13

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