Vier Tage vor dem geplanten Referendum über die Spar- und Reformvorschläge der Geldgeber hat Ministerpräsident Alexis Tsipras bekräftigt: Der Urnengang findet statt. Doch innerhalb der Regierung gibt es wachsende Differenzen über den weiteren Kurs.
Vier Tage vor der geplanten Volksabstimmung über die Spar- und Reformvorschläge der Geldgeber hat Ministerpräsident Alexis Tsipras bekräftigt: Der Urnengang findet statt. Tsipras dementierte damit Berichte, die Regierung werde das Referendum in letzter Minute absetzen. In einer TV-Ansprache an die Nation warb Tsipras am Mittwochnachmittag für ein Nein und erhob zugleich schwere Vorwürfe gegen die Partner und Geldgeber des Landes: Als Reaktion auf die Ankündigung der Volksabstimmung hätten die Gläubiger die Schliessung der griechischen Banken erzwungen.
«Nachdem sie uns nicht erpressen konnten, versuchen sie nun, jeden einzelnen Bürger zu erpressen», sagte Tsipras. In Tsipras’ Kabinett gibt es aber zunehmende Meinungsverschiedenheiten, welchen Kurs Athen gegenüber den Gläubigern steuern soll.
In einem Brief, den Tsipras am Dienstagabend an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, und die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, richtete, bietet die griechische Seite zwar eine Reihe von Reformschritten und Einsparungen an, um den Weg für die Auszahlung neuer Hilfskredite zu ebnen. Nach Einschätzung von EU-Experten in Brüssel bleiben die Vorschläge von Tsipras aber erneut hinter den Erwartungen der Geldgeber zurück. Den erhofften Durchbruch in letzter Minute scheint die neue Tsipras-Offerte also nicht zu bringen.
46 Prozent Nein, 37 Prozent Ja
Angesichts der sich ständig zuspitzenden Lage im Land gibt es innerhalb der Regierung nun wachsende Differenzen über den weiteren Kurs. Der Vizepräsident des griechischen Parlaments, Alexis Mitropoulos, ein führender Politiker der Regierungspartei Syriza, richtete am Mittwoch einen eindringlichen Appell an Premierminister Tsipras: Er müsse sofort eine Einigung mit den Geldgebern herbeiführen und die geplante Volksabstimmung absagen, erklärte Mitropoulos im Fernsehkanal «Skai». Bereits tags zuvor hatte Vizepremier Giannis Dragasakis in einem Fernsehinterview die Möglichkeit angedeutet, man könne das Referendum absagen. Er dementierte aber darauf, dass er dies so gemeint habe.
Die Volksabstimmung beginnt sich zu einem immer grösseren Problem für die Regierung zu entwickeln. Zwar lässt eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage erwarten, dass am Sonntag 46 Prozent der Griechen mit Nein und 37 Prozent mit Ja stimmen wollen. Das entspräche dem Wunsch der Regierung, die für ein Nein plädiert. Ein solcher Ausgang würde aber gewaltige Probleme aufwerfen. Tsipras verspricht sich von einem Nein zwar eine Stärkung seiner Verhandlungsposition. Tatsächlich könnte ein solches Ergebnis aber die Tür zu einer Einigung zuschlagen. Erste Konsequenz wäre wohl der Zusammenbruch des griechischen Bankensystems. Dann wären die Guthaben der Griechen wahrscheinlich verloren und die Folgen für die Wirtschaft des Landes unabsehbar.
Deswegen bekommen nun auch mehrere prominente Regierungsmitglieder offenbar kalte Füsse. Zu ihnen sollen neben Vizepremier Dragasakis auch der als gemässigt geltende Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis und der für internationale Wirtschaftsbeziehungen zuständige Vize-Aussenminister Euklid Tsakalotos gehören, Griechenlands Verhandlungskoordinator in den Gesprächen mit den Gläubigern. Diese drei Politiker seien von Anfang an gegen das Referendum gewesen, heisst es. Mindestens zwei prominente Minister sollen Tsipras sogar schriftlich ihre ernsten Bedenken mitgeteilt haben.
Tsipras meidet unbequeme Entscheidung
Ihnen stehen aber Hardliner wie Finanzminister Yanis Varoufakis und Staatsminister Nikos Pappas gegenüber, einer der engsten Tsipras-Vertrauten. Sie plädieren für einen bedingungslosen Konfrontationskurs gegenüber den Geldgebern – in der Erwartung, dass diese am Ende klein beigeben werden. Gestützt wird die Linie auch von Protagonisten des linksextremen Flügels der Regierungspartei Syriza wie Energieminister Panagiotis Lafazanis, der ohnehin für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone und der EU eintritt.
Tsipras versucht offenbar bisher, zwischen beiden Strömungen zu schwimmen. Das entspricht seiner bisherigen Taktik, unbequeme Entscheidungen zu meiden und einer Auseinandersetzung mit den extremistischen Kräften in seiner Partei aus dem Weg zu gehen. Wie lange Tsipras damit durchkommt, ist aber offen. Die gewöhnlich gut informierte Zeitung «To Vima» berichtete am Mittwoch in ihrer Internetausgabe, es gebe bereits Überlegungen, Tsipras in der Rolle des Regierungschefs durch den als erfahren und besonnen geltenden Dragasakis zu ersetzen. Solche Planspiele würden «innerhalb der Regierung» und «ausserhalb Griechenlands» angestellt, wo Tsipras inzwischen auf starkes Misstrauen seiner Gesprächspartner stosse.