Sie sind das vergessene Volk des Mali-Krieges: Die Tuareg geraten in ihren Stammlanden erneut zwischen die Fronten. Jetzt schlagen sie sich auf die Seite der Franzosen.
Sie sind so etwas wie die Kurden Westafrikas: Das riesige Einzugsgebiet der Tuareg erstreckt sich zwischen Algerien, Niger, Mali und Libyen über mehrere Landesgrenzen. Dabei kennt ihre Berbersprache das Wort «Grenze» gar nicht. Jahrhundertelang verkehrten die Wüstennomaden in der Weite der Sahara, ohne auf irgendwelche Barrieren zu stossen. Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert, als die Kolonialstaaten ihre territorialen Ansprüche am Reissbrett absteckten.
Die Tuareg wurden dabei schlicht vergessen. Das ist bis heute so geblieben, obwohl das mythische «blaue Volk» – so wegen der Indigofärbung ihrer Kleidung genannt – grossmehrheitlich sesshaft geworden ist. Die meisten der 1,5 Millionen Stammesmitglieder lebt in Städten wie Tamanrasset (Algerien) oder Agadez (Niger); nur wenige betreiben noch Karawanenhandel mit Datteln; häufiger arbeiten sie als Viehzüchter oder als Chauffeure für den Transport von mehr oder weniger legalen Frachtgütern über gefährliche Wüstenrouten.
Kampf für eigenen Staat
Heute entwickeln die Tuareg konkrete Autonomieforderungen. Niger, wo etwa die Hälfte der Tuareg lebt, gestand ihnen nach einem bewaffneten Konflikt in den neunziger Jahren gewisse Rechte zu. Die Regierung hielt sich aber nie daran. Und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass das Berbervolk in der südlichen Sahara über den Tisch gezogen wurde.
In Mali, der zweitgrössten Tuareg-Heimat, rebellierte die «Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad» (MNLA) vor ziemlich genau einem Jahr – wobei Azawad das Tuareg-Gebiet umschreibt. Viele MNLA-Rebellen waren gut bewaffnet – sogar mit leichter Artillerie und hunderten von Toyota-Pickups – aus Libyen zurückgekehrt, wo sie Muammar al Gaddafi zu Diensten gewesen waren. Der libysche Diktator hatte ihnen eine Art Söldnerstatut verliehen und Wohnquartiere geschaffen. Seine Autonomieversprechen hielt er aber auch nie ein.
Die MNLA löste mit ihrem Aufstand in Mali ein politisches Beben aus. Die ohnehin fragile Staatsführung in der Hauptstadt Bamako wurde durch einen Staatsstreich zusätzlich geschwächt; ins Vakuum stiessen die Islamisten, indem sie von Norden her ins Land fielen. Die Dschihadisten aus Algerien und Mauretanien verbrüderten sich mit der fanatisierten Tuareg-Fraktion Ansar Dine, dann auch mit der säkularen MNLA, deren Mitglieder liberale Muslime sind.
Von Islamisten ausgenutzt
Im April 2012 rief die MNLA einen Staat Azawad aus. Doch die Islamisten hatten sich im Norden Malis festgesetzt, warfen die toleranten MNLA-Tuareg aus Städten wie Timbuktu und führten dort die Scharia ein. Einmal mehr sahen sich die Tuareg betrogen.
Und einmal mehr müssen sie nun in aller Hast die Front wechseln. Am Montag begrüsste die MNLA die Einsätze der französischen Luftwaffe. «Wir sind bereit zu helfen, wir beteiligen uns am Kampf gegen den Terrorismus», erklärte MNLA-Vertreter Moussa Ag Assardi in der kleinen nordmalischen Stadt Tinzawatane, um zu präzisieren: «Wir können die Arbeit am Boden erledigen. Wir haben Truppen, Waffen und vor allem den Wunsch, Azawad vom Terrorismus zu befreien.»
Französische Militärspezialisten nehmen die dargebotene Hand gerne an: Niemand kennt den riesigen, unwirtlichen Norden Malis so gut wie die Tuareg. Sollten in den nächsten Tagen auch französische Bodentruppen zum Einsatz kommen, wären sie noch so froh um Geleitschutz durch MNLA-Kämpfer. Der französische Forscher und Mali-Spezialist Pierre Boilley geht davon aus, dass die Tuareg in dem militärischen Konflikt eine wichtige Rolle spielen können. Sie haben nicht nur in Gaddafis «Grüner Legion» gedient, sondern sind seither auch insgeheim von den Amerikaner bewaffnet und ausgebildet worden, da Washington in ihnen ein Bollwerk gegen die Al Kaida-Ableger im westlichen Saharagebiet sieht.
Nicht gut auf «Wüstensöhne» zu sprechen
Fraglich ist allerdings, ob die malischen Tuareg ihrem Ziel, dem Staat Azawad, näher kommen, selbst wenn sie sich diesmal auf der «guten» Seite finden sollten. Soviele Sympathien sie in westlichen Hauptstädten auch geniessen, weder Paris noch Bamako sind interessiert, ihnen nach der Beendigung des Konflikts mehr politische Rechte zu einzuräumen. Die malische Regierung war noch nie gut auf die rebellischen «Wüstensöhne» zu sprechen, und auch französische Wirtschaftsinteressen sprechen gegen sie: In der nigerischen Stadt Arlit etwa unterhält der französische Atomkonzern Areva eine wichtige Uranmine; territoriale Ansprüche kommen ihm ungelegen. Wie auch immer die Tuareg es anpacken: Sie stören weiterhin – in ihrem eigenen Land.