Tuktuk – per Dreirad aus der Armut

Sie sind Fluch und Segen zugleich, die motorisierten Dreiräder auf Ägyptens Strassen. Für Hunderttausende junger Männer sind sie ein Broterwerb, für Millionen Bürger ein billiges Transportmittel, für Autofahrer hingegen ein Ärgernis.

In ärmeren Stadtteilen von Kairo gehören Tuktuks zum Strassenbild.

(Bild: Astrid Frefel)

Sie sind Fluch und Segen zugleich, die motorisierten Dreiräder auf Ägyptens Strassen. Für Hunderttausende junger Männer sind sie ein Broterwerb, für Millionen Bürger ein billiges Transportmittel, für Autofahrer hingegen ein Ärgernis.

Ashraf bahnt sich im Schritttempo einen Weg zwischen den Schlaglöchern hindurch. In Imbaba, einem ärmeren Stadtteil von Kairo, sind die meisten Strassen eng und ungeteert. Passanten helfen, im Dickicht der Gässchen die Orientierung zu finden und vor Sackgassen zu warnen. Seit Mitte November gehört auch der junge Mann zum wachsenden Heer der Tuktuk-Chauffeure.

Sein Gefährt, das er für 30’000 ägyptische Pfund (rund 3300 Franken) erstanden hat, ist noch blitzblank und sein Besitzer mächtig stolz. In Vierteln wie Imbaba stehen als Zeichen eines gewissen Wohlstandes Tuktuks und Motorräder vor der Türe und nicht Autos.

Der Mittzwanziger hat eine Biografie wie viele seiner Altersgenossen aus den unteren Gesellschaftsschichten. Seit dem Abschluss einer staatlichen Grundschule schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch, vor allem als Maler. Diese Arbeiten verlegt er auf die verkehrsarmen Zeiten, etwa den Freitag. Als Tuktuk-Chauffeur hofft er, zuverlässiger Geld verdienen zu können. Mit einem regelmässigen Einkommen könnte er mit der Zeit genug Geld zur Seite legen, um zu heiraten und eine Familie zu gründen.

Schnelle Lösung für das Arbeitslosenproblem

Tuktuks sind in Ägypten eine relativ neue Erscheinung. Erst vor etwa 15 Jahren wurden die ersten importiert. Heute prägen sie das Strassenbild in ärmeren Stadtquartieren und auf dem Land mit und sind unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor geworden. Ihre Zahl steigt explosionsartig. In den ersten Jahren wurden jeweils einige Zehntausend importiert, inzwischen sind es Hunderttausende. Die genaue Zahl ist nicht bekannt.

Das Unternehmen GB Auto Raouf Ghabbour, das bis jetzt die Einzelteile von der indischen Firma Bajaj gekauft und in Ägypten montiert hat, will ein neues Werk bauen, um einen Teil der Komponenten für die Produktion von jährlich 120’000 Tuktuks künftig selber herzustellen.



Die meisten Chaffeure sind jung, manche fast noch Kinder.

Die meisten Chaffeure sind jung, manche fast noch Kinder. (Bild: Astrid Frefel)

Ökonomen gehen davon aus, dass mit diesen lärmigen Dreirädern jedes Jahr 200’000 neue Arbeitsplätze entstehen. Ägyptens Arbeitslosenrate liegt derzeit bei 13 Prozent, bei den unter 24-Jährigen ist sie doppelt so hoch. Über die Hälfte dieser arbeitslosen Jugendlichen führt die Statistik als Arme.

Unter Mubarak wurden die motorisierten Dreiräder als schnelle Lösung für das Arbeitslosenproblem betrachtet. Sein Nachfolger Mursi hatte die Besitzer dieser Vehikel in seiner Antrittsrede sogar ausdrücklich angesprochen.

Tuktuk-Fahrer interpretieren die Verkehrsregeln noch grosszügiger als ohnehin üblich.

Schätzungsweise 30 Millionen Ägypter – das heisst jeder Dritte – nutzen diese Transportmittel, die für einige Cents zu haben sind; ein Bruchteil des Preises, den ein Taxi verlangen würde. Die Tuktuks machen einen Umsatz von mehreren Hundert Millionen Franken pro Jahr. In manchen luxuriösen Ferienanlagen werden sie inzwischen sogar als kurioses Fortbewegungsmittel für gut betuchte Touristen eingesetzt.

Im Alltag hingegen stossen die Tuktuk-Fahrer zunehmend auf Hindernisse. Ashraf muss grosse Umwege fahren und kleine Schleichwege suchen, um sein Fahrziel zu erreichen. Grössere Strassen in seiner Gegend sind seit einiger Zeit für Tuktuks tabu. Wer die Verbote ignoriert, riskiert hohe Bussen (bis zu 150 Franken) oder die Polizei konfisziert sogar das Gefährt.

Für viele Autofahrer sind die Tuktuks ein Ärgernis, weil sie langsam sind und ihre meist jungen Fahrer – viele sind Kinder unter 15 Jahren  – oft ungestüm sind und die Verkehrsregeln noch grosszügiger interpretieren als ohnehin üblich. Deshalb haben die Behörden ganze Stadtteile und andernorts wichtige Verkehrsadern zu Verbotszonen erklärt.

Ohne Ausweis und Nummernschild

Manche der Betroffenen sprachen von einem Krieg der Behörden gegen die Tuktuks. Jedes Gouvernement (entspricht in etwa einem Kanton) hat seine eigenen Regeln. Bis jetzt sind alle Versuche, Ordnung in dieses Gewerbe zu bringen, das heisst sowohl das Fahrzeug als auch die Fahrer mit Bewilligungen und Ausweisen auszustatten, gescheitert. Dadurch sind Tuktuk-Chauffeure von der Polizei kaum ausfindig zu machen – das machen sich auch Kriminelle zunutze, die Tuktuks als Fluchtfahrzeuge benutzen.

Auch Ashraf hat keine Papiere und kein Nummernschild. «Die Registrierung wäre so teuer, ich würde nichts mehr verdienen und könnte meinen Bankkredit nicht zurückzahlen», umschreibt er das Dilemma. Wo er fahre, gebe es ohnehin keine Verkehrspolizei, und sollte er doch einmal erwischt werden, wäre die Lösung wie in diesem Land üblich Bestechung.

Andere Arbeitsplätze gebe es keine, die Jungen müssten sich selbst helfen, wenn sie nicht betteln wollten, verteidigt sich der Jungunternehmer. Wer sein Tuktuk nicht angemeldet hat, bewegt sich im Bereich der Schwarzarbeit, wobei Ökonomen vornehmer von «nicht registrierter Wirtschaftstätigkeit» sprechen.

Schlechte Noten für Sisi

Ashraf lässt auch kein gutes Haar an Präsident Abdelfattah al-Sisi und nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch in seiner zweijährigen Amtszeit sei die Armut weiter gestiegen. Für die grosse Mehrheit der armen Bevölkerung tue er nichts, im Gegensatz zu seinem gestürzten Vorgänger, dem Islamisten Mohammed Mursi. In dessen Regierungszeit habe es mehr Unterstützung für die Menschen von Imbaba gegeben.

Von Sisis teuren Grossprojekten wie dem Ausbau des Suez-Kanals hält Ashraf wenig, und auch Vorhaben wie der Bau einer Brücke zwischen Saudi-Arabien und Ägypten bringt den Armen seiner Meinung nach nichts: «Wir haben sowieso kein Geld für die Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien. Wir brauchen diese Brücke nicht», ärgert er sich.

Ashraf setzt mich am Fahrziel ab und steckt den Fahrpreis ein. Dann ist er weg, auf der Suche nach neuer Kundschaft, die froh ist, dass es die Tuktuks gibt.



Mit Tuktuks werden nicht nur bis zu vier Passagiere sondern auch Waren transportiert

Mit Tuktuks werden nicht nur bis zu vier Passagiere, sondern auch Waren transportiert. (Bild: Astrid Frefel)

 

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