Sie gehören in Vietnam zu den Attraktionen der Kriegstouristen: unterirdische Tunnelsysteme, in denen sich Kinder, Frauen und Männer vor den amerikanischen Bomben schützten.
Rund sieben Tonnen Bomben pro Einwohner sollen die USA in der Region des einst beschaulichen Dorfes Vinh Moc abgeworfen haben. Das Gebiet, nahe der entmilitarisierten Zone, gilt als eines der am schwersten bombardierten der Kriegsgeschichte.
«Es sah aus wie eine Mondlandschaft», sagt der US-Kriegsveteran Chuck Searcy. Um sich vor der Apokalypse zu schützen, verschwanden die Menschen buchstäblich unter der Erde. Mühsam von Hand gruben sie in geschätzten 7,5 Millionen Arbeitstagen 114 Tunnel.
Zwischen 1963 und 1968 entstand ein System von etwa 40 Kilometern Länge, das auf drei Etagen bis acht Meter tief reichte. (Bild: Roland Schmid)
Zwischen 1963 und 1968 entstand ein System von etwa 40 Kilometern Länge, das auf drei Etagen bis acht Meter tief reichte. Kleine Läden, winzige Nebenhöhlen als Lazarett, Wohn- und Kommandohöhlen, Schulen: Es gab eine komplette Infrastruktur in diesem menschlichen Maulwurfdorf.
Mehrere Kinder wurden in den maximal 1,70 Meter hohen und äusserst engen Tunneln geboren. Als Besucher, gebückt und gebeugt, bewaffnet mit einer Taschenlampe, fasst man es kaum, dass hier unten Menschen für Jahre leben konnten.
Vinh Moc: In den Tunnel kamen zahlreiche Kinder zur Welt. (Bild: Roland Schmid)
Die Tunnel wurden vom Feind nie vollständig entdeckt, und da keiner der Untergrundbewohner durch amerikanische Bomben starb, haben sie einen starken Symbolcharakter für die nationale Identität.
Schutztunnel von Vinh Moc: Zum Meer hin gut getarnter Augang. (Bild: Roland Schmid)
Noch grösser war das Tunnelsystem von Cu Chi – länger als 200 Kilometer. Auch hier können Touristen wenige noch existierende Gänge begehen. Sie liegen 70 Kilometer nordwestlich von Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon.
Während des Krieges war die Kleinstadt Cu Chi einer der strategisch wichtigsten Punkte und einer der grössten amerikanischen Armeestützpunkte. Cu Chi war ein Vorposten der Hölle. Hier, wo Agent Orange und Napalm das Land bis in die 1970er-Jahre vollständig ruinierten, wurden 30’000 Menschen getötet.
Die Vietnamesen gruben ihre Tunnel bis unter das US-Lager.
Die Anfänge der Cu-Chi-Tunnel reichen in die 1940er-Jahre zurück, als sich die Unabhängigkeitsbewegung der Viet Minh gegen die französische Kolonialmacht erhob. Die Guerillas vernetzten, unbemerkt von den Franzosen, die ganze Gegend. Die Tunnel dienten als Schutz, Waffenlager, Kommandoposten und als Lazarett.
Cu-Chi-Tunnel: In den rund 200 Kilometer langen Tunnel versteckte sich der vietnamesische Widerstand. Die Eingänge waren mit Gras und Laub getarnt. Zudem wurden sie durch einfache, aber wirkungsvolle Fallen gesichert. Etwa durch messerscharfe Bambusspiesse. (Bild: Roland Schmid)
Man erzählt sich in Cu Chi eine fast unglaubliche Geschichte, die sich an Weihnachten 1966 abgespielt haben soll: Der US-Komiker Bob Hope unterhält «seine» Truppen der 25. Division mit Liedern und Sketchs.
Zur gleichen Zeit, quasi unter seinen Füssen in den Tunneln verborgen, spielt der vietnamesische Entertainer Pham Sang für die Partisanen. «Die Amerikaner wussten, dass da Tunnel waren, doch sie wussten nie genau, was eigentlich unten vor sich ging», erzählt der Ex-Guerilla Ba Huyet.
Als die Tunnel entdeckt wurden, erklärten die USA Cu Chi zur «Free fire»-Zone. Es durfte erbarmungslos geschossen und niedergebrannt werden.
Die Versuche der US-Truppen, das Tunnelsystem von Cu Chi unbrauchbar zu machen, reichten vom Einschleusen von Hunden bis zum Hineinblasen giftiger Gase. Erfolgreich war dies kaum. Erst die «Tunnelratten» brachten eine Wende: speziell ausgebildete US-Soldaten, die sich heimlich in den Untergrund wagten und Sprengsätze anbrachten.
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