Das neue Fernmelde-Gesetz rückt immer näher. Befürworter und Gegner kämpfen mit immer härteren Bandagen. Die Überwacher führen die Gegner des neuen Gesetzes mit abwegigen Argumenten hinters Licht.
Viktor Györffy spricht wie jemand, den nichts so leicht aus der Fassung bringt. Was er an diesem Juni-Tag liest, verschlägt ihm allerdings die Stimme. Es ist die Antwort auf eine Beschwerde, die er und die Digitale Gesellschaft beim Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr – kurz Dienst ÜPF – eingereicht hat. Györffy ist wenig überrascht, dass der Dienst ÜPF die Beschwerde ablehnt. Die Argumente erstaunen ihn umso mehr.
Es geht um die Speicherung von sogenannten Randdaten. Bei jeder verschickter Mail, jedem Anruf, jedem Hochfahren des Computers werden Daten gespeichert. Zum Beispiel: Wer hat wann mit wem wo telefoniert. Diese Randdaten sprechen Bände über eine Person. Für Staatsanwälte und Ermittler sind sie Gold wert. Dem Bürger rauben sie jedoch die Privatsphäre. Und darum sind sie so umstritten.
Die Digitale Gesellschaft setzt sich für den Schutz der Bevölkerung ein und bemängelt das «Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs» (Büpf) seit Langem. Neu sollen Randdaten nicht nur sechs, sondern ganze zwölf Monate gespeichert werden. Ausserdem bleibt offen, ob das Gesetz dazu führt, dass noch mehr Daten aufbewahrt werden.
Viktor Györffy, der Rechtsanwalt und Präsident des Vereins grundrechte.ch, hat nun eine Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Wenn das nicht klappt, gibt es nur noch eine Hoffnung: den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.
Das Bundesverwaltungsgericht steckt in der Zwickmühle. Die Überwachung, gegen die sich Györffy wehrt, steht zwar im Gesetz, widerspricht jedoch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – so die allgemeine Auffassung. Denn es ist noch nicht lange her, da sprach sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) gegen die Vorratsdatenspeicherung aus. Es ist wahrscheinlich, dass die Richter aus Strassburg ebenfalls gegen die Überwachung stimmen würden.
«Nicht für sechs oder zwölf Monate, sondern 10 Jahre gespeichert»
Noch ist es nicht soweit. Es ist gut möglich, dass das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ablehnt und dem Dienst ÜPF recht gibt.
Der Dienst ÜPF argumentiert: Die umstrittenen Randdaten würden von den Telefonie-Anbietern sowieso gespeichert – zum «Zwecke der Rechnungsstellung». Warum sollten diese Daten also nicht verwendet werden?
Auch der St. Galler Staatsanwalt Thomas Hansjakob teilte im Frühjahr mit, die Verbindungsdaten würden sowieso von den Anbietern gespeichert – «und zwar nicht für sechs oder zwölf Monate, sondern für zehn Jahre.»
Speichert Swisscom und Co. die Daten ohnehin? Nein, sagen die grössten Telekommunikationsanbieter unisono. Die Swisscom teilt mit: «Die aktuelle sechsmonatige Aufbewahrung erfolgt nur aufgrund der gesetzlichen Vorgaben.» Neu sollen zum Beispiel auch IP-Verbindungsdaten gespeichert werden – also, wann und wo jemand seinen Computer einschaltet. Therese Wenger, Orange-Mediensprecherin, sagt: «Für die Rechnungsstellung an die Kunden ist dies überhaupt nicht nötig.»
Die Rechnungen, auf denen einige Randdaten sichtbar sind, müssen Telefonie-Anbieter so oder so speichern. Allerdings nur zwei bis drei Monate – für den Fall, dass der Kunde Einspruch erhebt. So erklären es die Swisscom, Sunrise und Orange.
Warum weiss das der Dienst ÜPF nicht? Vinzenz Lauterbach von der Rechtsabteilung des Dienst ÜPF verteidigt sich: Es sei «zumindest ein Teil der betreffenden Daten», die Swisscom und Co. unabhängig vom Gesetz speichern würden. Zum Beispiel die Adresse eines Kunden.
Das Argument klingt fadenscheinig. Soll man umfangreiche Datensätze speichern, die minutiöse Bewegungsraster zeigen, nur weil die Adresse und andere Angaben sowieso gespeichert werden? Die Digitale Gesellschaft schreibt: «Es gibt keinen ersichtlichen Grund, beispielsweise benutzte Handy-Antennen, E-Mail-Informationen oder die Zuordnung von dynamischen IP-Adresse für sechs Monaten oder mehr aufzubewahren.»
Mehr Überwachung verursacht höhere Kosten
Für Viktor Györffy ist das eine «Vernebelungstaktik», die der Dienst ÜPF betreibt. «Der Dienst ÜPF weiss haargenau, was alles gespeichert wird. Er weiss also auch, dass die Telekommunikationsanbieter diese Daten nur von Gesetzes wegen speichern.»
Die Telefonie-Anbieter wehren sich gegen das neue Überwachungsgesetz (Büpf). Unter anderem auch deswegen, weil es für sie «viel aufwendiger» ist, sagt Therese Wenger von Orange. «Die Begehrlichkeiten der Behörden sind gross.» Wenger rechnet mit einem «deutlichen Anstieg der Überwachungskosten» für die Anbieter. Es braucht neue Computer-Systeme, die die Daten speichern, neues Personal, um die Datenbanken zu pflegen.
Das Formular, das die Anbieter für die Ermittlungsbehörden ausfüllen müssen, ist bereits jetzt sehr umfangreich. Und mit dem neuen Büpf könnte es sich noch ausweiten.