Der ehemalige Basler Theaterdirektor Michael Schindhelm setzt mit «The Chinese Lives of Uli Sigg» dem Brückenbauer zwischen der westlichen Welt und China ein sehenswertes filmisches Denkmal.
Chinesisch ist da zuerst einmal gar nichts. Als wäre es der Auftakt zu einem romantischen Liebesfilm oder zu einem Dokumentarfilm über die schönsten Anwesen der Schweiz, fährt die Kamera auf ein Schlösschen zu, das auf einer kleinen Insel in einem kleinen See thront. Hier auf Schloss Mauensee wohnt Uli Sigg. Eine idyllischere Umgebung ist kaum vorstellbar.
Der ehemalige Basler Theaterdirektor und heutige Kulturberater, Autor sowie Dokumentarfilmer Michael Schindhelm präsentiert erst einmal den Schweizer Uli Sigg: einen reichen Mann, der auf ein reichhaltiges Leben als Industrieller, Quereinsteiger-Botschafter, sowie als Kunstsammler und -förderer zurückblicken kann.
Zu erleben ist der passionierte Ruderer, der einst Schweizermeister im Achter war und heute noch gerne mit dem Ruder fest in der Hand unterwegs ist. Und der damit offensichtlich auch das Zeug dazu hat, von einer Kultur in die andere zu gleiten: von der beschaulichen Schweiz ins fremde, undurchschaubare und schliesslich wirtschaftlich boomende Reich der Mitte.
«Die chinesischen Leben»
Schnell aber führt der Film nach China. Schindhelm nennt sein filmisches Porträt «The Chinese Lives of Uli Sigg». Warum setzt der Film Siggs «Leben» in China in den Plural?
«Es gibt Menschen, die haben meiner Ansicht nach mehr als nur ein Leben. Oft liegt es daran, dass sie in gesellschaftliche Umwälzungen geraten. Uli Sigg verbinden mit den gewaltigen Transformationen in China nahezu vierzig Jahre. Er war der Mann, der mit dem Joint Venture für Schindler die Marktwirtschaft nach China brachte, er war Botschafter, Unternehmer und schliesslich Sammler. Das sind verschiedene Leben in unterschiedlichen Chinas.»
Einem breiteren Publikum bekannt ist Sigg vor allem als Sammler von chinesischer Gegenwartskunst. Ein Teil seines immensen und einzigartigen Konvoluts sorgte 2005 in der Ausstellung «Mahjong» im Kunstmuseum Bern für Aufsehen. Gegenwärtig sind Siggs Exponate in der Ausstellung «Chinese Whispers» in Bern erneut zu sehen.
Die Stücke dürften wohl für lange Zeit zum letzten Mal im Westen zu sehen sein. Denn Sigg hat einen grossen Teil seiner Sammlung dem «M+ Museum for visual culture» im West Kowloon Cultural District, Hongkong, vermacht – und einen kleinen Teil dem Museum für viele Millionen Dollar verkauft. 2019 wird das neue Haus seine Tore öffnen.
Kunst-Botschafter im fremden Land
Sigg wird damit zu einer Art Gegenwartskunst-Botschafter im fremden Land. Oder im Land, aus dem die Kunst stammt, die dort aber bislang nur am Rande zu sehen war. «Ich wollte unbedingt einen anderen Zugang zur chinesischen Realität. Und den versprach ich mir von der zeitgenössischen chinesischen Kunst», sagt Sigg im Film.
Die Künstlerinnen und Künstler kommen im Film ausführlich zu Wort: Wang Guangyi, Fang Lijun, Cao Chong’en und natürlich Ai Weiwei. Sie alle loben Sigg in den höchsten Tönen. Wie überhaupt nur positive Worte über den Schweizer zu vernehmen sind. Alle scheinen den Mann zu bewundern.
Nur er selber nicht. Zumindest spricht Sigg aus vornehmer Distanz über sein Leben. Über das erste Joint Venture zwischen einer westlichen und einer chinesischen Firma, das er einfädelte. Über seine Zeit als Botschafter in Peking und auch über die Kunst. Schindhelm lässt den Porträtierten ausreden – und der spricht mit beinahe ungerührtem Gesichtsausdruck, der den Blick in das Innere abzuwehren scheint:
«Ich würde es eine ungewöhnliche Kombination aus Gelassenheit und Aufmerksamkeit nennen. Sigg hat zum Beispiel die Chinesen bei Schindler immer ausreden lassen, wie wirr auch die Diskussionen gewesen sind. Er spielt nicht den Besserwessi. Das hat man ihm in China immer zugute gehalten.»
Stiller Ruderer zwischen den Welten
Michael Schindhelm (Bild: Keystone / Gaetan Bally)
Es ist ein faszinierendes Leben, dem der Film nachspürt. Spannend sind vor allem Siggs Erinnerungen an seine ersten China-Erlebnisse 1979. Man sieht den ehemaligen Industrie-Kadermann nachdenklich durch die verfallenen Fabrikhallen wandeln, die damals vielleicht schon ähnlich heruntergekommen gewirkt haben müssen. Ein ehemaliger Kaderkollege Siggs berichtet nebenbei von Plakaten an den Wänden ausserhalb des Fabrikareals, die sich als Ankündigungen von Hinrichtungen entpuppten.
Man sieht Archivmaterial eines kleinen, beinahe etwas lächerlich wirkenden Männleins, das im seltsamen roten Einteiler-Sportdress über den Platz des himmlischen Friedens joggt.
Einmal ist Sigg in einem T-Shirt mit der Aufschrift «My Ego – My Way» zu sehen. Man ist sich nicht sicher, ob diese Aussage ironisch gemeint ist oder eben doch voller Ernst. Sie scheint auf alle Fälle seiner Lebensdevise zu entsprechen und auf keinen einfachen Gesprächspartner hinzudeuten. War es schwer, den undurchdringlich wirkenden Panzer Siggs zu durchdringen?
«Wir kennen uns schon lange, seit den Anfängen meines Films ‹Bird’s Nest› (über den gleichnamigen Olympiastadion-Neubau von Herzog & de Meuron – Anm. d. Red.) vor nunmehr zwölf Jahren. Als Sigg im Juni 2012 die Entscheidung getroffen hatte, seine Kunstsammlung an jenes Museum M+ in Hongkong zu geben, an dessen Masterplanung ich vorher beteiligt war und das jetzt von Herzog & de Meuron gebaut wird, schlug ich ihm vor, den Film zu machen. Er erkannte sofort, dass jetzt seine eigene Geschichte dran war. Sie hat eine chinesische Vergangenheit mit Schindler und der Botschaft, eine Gegenwart als Sammler und eine Zukunft mit dem Museum. Daher war er sehr kooperativ.»
Beste Nebenrolle: Ai Weiwei
Der Film zeigt das aufregende Leben eines Menschen, der alles richtig gemacht zu haben scheint; etwas allzu richtig, wie man als Zuschauer mit der Zeit zu argwöhnen beginnt.
Da ist es erfrischend, dass mit Ai Weiwei eine Persönlichkeit zur Sprache kommt, die der andauernden Lobeshymne ein paar ironische Brüche verleiht (obwohl auch er letztlich zu Siggs Bewunderern zählt). Schön aber, dass zumindest einer hinterfragen darf, was denn eigentlich der Sinn eines Museums für zeitgenössische chinesische Kunst aus der Sammlung eines Schweizers in China sein soll. Es wäre besser, Sigg würde seine Sammlung in seinem Schweizer See versenken, sagt Ai Weiwei mit dem hintersinnigen Lächeln, das zu seinem Markenzeichen geworden ist.
Ai Weiwei kommt in Schindhelms Film so etwas wie die beste Nebenrolle zu, wenn man das bei einem Dokumentarwerk überhaupt sagen kann. Das mag daran liegen, dass sich der Dokumentarfilmer und der Künstler offensichtlich bestens verstehen. Oder zumindest ganz gut, wie Schindhelm selber sagt:
«Weiwei und ich sind ungefähr gleich alt. Ich will die Vergleiche nicht überstrapazieren, aber wir kennen uns jetzt seit zwölf Jahren. Wir kommen beide aus kommunistischen Ländern. Manchmal reden wir aus Spass Russisch. Ich habe bereits über ihn geschrieben, als man ihn im Westen noch nicht wahrgenommen hatte. Wir sind beide gezeichnet von den wichtigen politischen Ereignissen unserer Generation.»
Wird Schindhelm nach «Bird’s Nest» und dem Porträt von Uli Sigg einen Film über Ai Weiwei folgen lassen?
«Es gibt bereits viele Filme über ihn. Im Moment habe ich andere Pläne, die aber noch nicht spruchreif sind. Ausserdem habe ich gerade ein neues Roman-Manuskript fertig und beginne ein Kulturforschungsprojekt in Singapur.»
Theater taucht in dieser kurzen Aufzählung nicht auf. Ist diese Kunstsparte abgehakt?
«Ich habe das Theater Basel vor knapp zehn Jahren und die Opernstiftung Berlin wenige Monate später verlassen. Es gab ein Leben vor dem Theater, und ich wollte ein Leben nach dem Theater haben. Insofern ist das vorbei. Aber diese siebzehn Theaterjahre haben mich und mein Denken und Arbeiten stark geprägt. Insbesondere das Jahrzehnt in Basel ist in vielerlei Hinsicht eine glückliche Zeit gewesen.»
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«The Chinese Lives of Uli Sigg». Dokumentarfilm von Michael Schindhelm. Ab 24. Februar im Kultkino Atelier.