Durch ihr Veto hat die Elfenbeinküste einen unabhängigen UNO-Experten abgesetzt. Nicht nur für Menschenrechtsorganisationen ist dieser Präzedenzfall ein Skandal.
Das höchste Menschenrechtsgremium der UNO, der Menschenrechtsrat, hat am Freitag in Genf eine Resolution zur Schaffung eines neuen Mandats für einen unabhängigen Experten verabschiedet, der die Menschenrechtslage in der Elfenbeinküste beobachten soll. Was so diplomatisch formuliert ist, bedeutet konkret, dass der bisherige Mandatsinhaber Doudou Diène entlassen wird.
Für Menschenrechtsorganisationen ist dieser Präzedenzfall ein Skandal, eine Einmischung in die Arbeit eines unabhängigen Experten, die weder den Regeln noch der Praxis des Menschenrechtsrats entspricht, wie Peter Splinter von Amnesty International der Tageswoche sagte. Diène sagte auf Anfrage: «Es liegt in der Natur der Sache, dass es zu Differenzen zwischen einem UNO-Experten und dem betroffenen Land kommt.» Er habe immer auch die Fortschritte der Elfenbeinküste genannt.
Doudou Diène, ein senegalesischer Jurist und früherer UNO-Berichterstatter über Rassismus, wurde im Juni 2011 vom Menschenrechtsrat zum Berichterstatter für die Elfenbeinküste ernannt. Das Mandat für die Elfenbeinküste beschloss der Menschenrechtsrat, nachdem es in der Folge der Präsidentschaftswahlen von 2010 zu einem bewaffneten Konflikt mit über 3000 Toten gekommen war. Es ging dabei um den Machtkampf zwischen dem langjährigen Staatschef Laurent Gbagbo und seinem Rivalen, dem heutigen Staatspräsidenten Alassane Ouattara. Die UNO anerkannte schiesslich Ouattara als Sieger an. Gbagbo wird inzwischen vor dem Internationalen Strafgerichtshof ICC in Den Haag, wo er seit November 2011 inhaftiert ist, der Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht.
Kritik an Straffreiheit
Diène kritisierte in seinem diesjährigen Bericht für den Menschenrechtsrat die anhaltende Straffreiheit von Tätern. Nur die Urheber von Menschenrechtsverletzungen der früheren Regierung würden strafrechtlich verfolgt. Insbesondere verurteilte er, dass Vertreter von Armee und Sicherheitskräften Frauen vergewaltigen und Gefangene foltern, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Auch Amnesty International hatte die Siegerjustiz von Ouattara verurteilt, da die zahlreichen Menschenrechts- und Kriegsverbechen seiner Militärs bisher nicht verfolgt wurden. Vor allem aber forderte Diène in dem Bericht, die Wiedergutmachung für die Opfer seit dem Konflikt nach den Wahlen von 2010 zur nationalen Angelegenheit zu erklären, um eine Versöhnung zu erreichen. Fast drei Viertel der ivorischen Bevölkerung haben laut einer Umfrage, die er zitierte, kein Vertrauen in die Justiz.
Ländermandate gelten im Menschenrechtsrat als heikel. Viele Staaten sehen diese als Einmischung in innere Angelegenheiten und fühlen sich an den Pranger gestellt. Der Elfenbeinküste wird zugute gehalten, dass sie mit den UNO-Gremien zusammenarbeitet, im Gegensatz etwa zu Nordkorea oder Weissrussland. Daher wurde das Mandat für die Elfenbeinküste unter dem sogenannten Artikel 10 beschlossen. Das bedeutet, dass der betroffene Staat damit einverstanden sein muss und zur Zusammenarbeit verpflichtet ist. Es handelt sich um ein Mandat zur Unterstützung des Landes in Menschenrechtsfragen.
Dinge beim Namen nennen
Diène gilt als Experte, der gute Arbeit leistet. Man kann ihm einzig vorwerfen, dass er die Dinge beim Namen nennt, politische Statements abgibt, wie das die Elfenbeinküste und weitere Länder empfinden. Anlass für Diènes Absetzung war offenbar eine Medienkonferenz nach seinem Besuch der Elfenbeinküste im letzten Februar, die ohne Rücksprache mit der Regierung stattgefunden habe. Diène habe die Diskretion nicht gewahrt, lautete der – nicht offiziell geäusserte – Vorwurf der Elfenbeinküste.
Vor den Medien sagte Diène damals im Februar, Fragen der Justiz und der für November 2015 geplanten Wahlen seien noch ungelöst. So müssten die Reform der unabhängigen Wahlkommission durch einen Dialog mit der Zivilgesellschaft vorgenommen, die Wählerlisten aktualisiert und die früheren Kämpfer wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden. Zudem sollten die Prozesse im Zusammenhang mit der Krise nach den Wahlen von 2010 organisiert sowie die Opfer der Krise entschädigt werden.
Keine Mittel gegen Veto
Dass UNO-Berichterstatter am Ende eines Länderbesuchs eine Pressekonferenz geben, ist üblich, meist sagen sie aber nicht mehr als Freundlichkeiten. Die Elfenbeinküste beklagte, Diène habe den Verhaltenskodex nicht eingehalten und brachte im Menschenrechtsrat eine Resolution ein, die das Experten-Mandat nicht verlängert, sondern ein neues schafft. Die Demarchen gingen offenbar vom Justizministerium aus, unterstützt wurde die Elfenbeinküste dabei von der afrikanischen Ländergruppe. Dagegen hob Frankreich hervor, dass die Unabhängigkeit der UNO-Experten gewährleistet werden müsse und ein Staat zur Zusammenarbeit verpflichtet sei.
Frankreich erklärte sich sehr zufrieden mit der Arbeit von Diène. Die internationale Konferenz, die er im Februar in der Elfenbeinküste organisierte, habe es ermöglicht, die Opfer anzuhören. Zudem verlangte Frankreich ein Ende der Siegerjustiz. Auch die EU und die USA forderten die Elfenbeinküste auf, die Menschenrechtsverbrechen aller Konfliktparteien strafrechtlich zu verfolgen.
Jene Staaten, die das jährlich zu erneuernde Mandat beibehalten wollten wie die westlichen Länder, konnten jedoch nichts gegen das De Facto-Veto der Elfenbeinküste unternehmen. Sie hielten einen neuen Berichterstatter für das kleinere Übel als den Verlust des Mandats, wie das bereits im Fall von Kongo-Kinshasa geschehen war. Diène schlug dem Menschenrechtsrat vor, die Ländermandate zu überdenken, um die Unabhängigkeit von Experten zu gewährleisten. Dazu nahm noch kein Staat Stellung. Die nächsten Schritte dürften sich im Rat darauf konzentrieren, dass der neue Berichterstatter nicht weniger unnachgiebig ist als Diène.