Die Schadenfreude bei den Parteien über die öffentliche Selbstdemontage der SVP ist gross – dabei hätten sie selber genügend Probleme.
Das Schicksal der Schweiz, so scheint es nicht erst seit diesen Tagen, steht und fällt mit dem Zustand der SVP. Wenn bei Nationalrätin Natalie Rickli ein Burn-out-Syndrom festgestellt wird, lässt «20 Minuten» seine Leserinnen und Leser das per Push-Mitteilung wissen. Wenn Nationalrat Christoph Mörgeli wegen seiner vernachlässigten Arbeit im Medizinhistorischen Museum von der Uni Zürich entlassen werden soll, ist das die erste Meldung der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens. Wenn Christoph Blocher über den Zustand seiner Partei schwadroniert, sendet TeleZüri live aus dem Bundeshaus. Die ganze Schweiz spricht nur noch von der SVP.
Es sind nicht nur die Medien, die die öffentliche Selbstdemontage der dominantesten Schweizer Partei genüsslich ausschlachten. Auch die anderen Parteien sind froh, können sie für einmal das zurückgeben, was sie in den vergangenen Jahren von der SVP erleiden mussten. All die Häme, all die Boshaftigkeiten, all die ideologisch verbrämten, missionarisch vorgetragenen Heilsgedanken: Ja, es tut gut, wenn es der SVP schlecht geht. Wenn Toni Bortoluzzi seinen Hass auf Christoph Mörgeli öffentlich verkündet; wenn die Erfinder der Scheininvaliden einen Burn-out-Fall zu beklagen und einen gescheiterten Staatsangestellten zum Vordenker haben.
Das Problem dabei ist: In dem Getöse um das persönliche Befinden der Lieblingsfeinde entsteht das Gefühl, dass nur die SVP Probleme und Chnörze hat. Das ist falsch: Denn in einem wirklich guten Zustand ist keine der etablierten Parteien.
Die Rechtsausleger der FDP
Wenn eine Partei direkt von der Schwäche der SVP profitieren müsste, dann wäre das die FDP. Aber dafür hat der Freisinn zu grosse Probleme mit sich selber. Der Niedergang der FDP wurde schon tausendfach beschrieben, dennoch scheint sich im Lager der Freisinnigen nichts zu ändern. Mit ihrem neuen Präsidenten Philipp Müller macht die Partei auf jenem Weg weiter, den der abtretende Solothurner Finanzdirektor Christian Wanner im Interview mit der TagesWoche als den Kardinalfehler der FDP bezeichnet: Sie versucht, die SVP rechts zu überholen. «Dabei wird jemand, der rechts aussen wählt, sich immer für das Original und nie für die Kopie entscheiden», sagt Wanner.
Davon unbeeindruckt fährt Müller mit seinem harten Rechtskurs weiter: hart gegen Ausländer (wenn sie kein Geld haben), nett gegen Ausländer (wenn sie reich sind und pauschalbesteuert werden).
Dem neuen FDP-Präsidenten muss man zugute halten, dass er die Partei relativ rasch auf seinen Kurs bringen konnte – der Freisinn tritt in diesen Tagen homogener auf als auch schon. Aber auch Müller hat bis jetzt noch kein Rezept gegen die zwei grössten Schwierigkeiten der FDP gefunden: Sie ist keine Volkspartei mehr. Und sie ist keine Wirtschaftspartei mehr. Versucht die FDP eine Volksinitiative zustande zu bringen, wird es schnell peinlich wie etwa beim Fiasko mit der Bürokratie-Initiative. Und die Wirtschaft hat sich längst der SVP zugewandt – egal, ob Mörgeli seinen Leichen im Keller genügend Formaldehyd spendiert oder nicht.
Die SP und ihr Europa-Problem
Bei der SP muss man zwischen nationaler und kantonaler Ebene unterscheiden. Was die Sozialdemokraten in Basel mit dem Sicherheitsthema machen und mit sich machen lassen, das kommt der Selbstzerfleischung der nationalen SVP ziemlich nahe. National ist die Problemlage anders. Der Parteitag von Lugano hat gezeigt, dass die Sozialdemokraten zwar öffentlich streiten (Nationalrat Cédric Wermuth griff Parteipräsident Christian Levrat wegen seiner Äusserungen zur Migrationspolitik hart an), sich aber auch schnell wieder zusammenraufen. Das im Vorfeld so heftig umstrittene Migrationspapier wurde in Lugano differenziert diskutiert und versöhnlich verabschiedet.
Das Grundproblem der SP auf nationaler Ebene ist ein anderes. Als einzige Partei neben den Grünen (und viel lauter als die Grünen) hält die SP an der aktiven europäischen Integration und einem Beitritt zur Europäischen Union fest. Damit liegt sie ziemlich quer zur öffentlichen Meinung. Die Zustimmung in der Bevölkerung zu einem Beitritt der Schweiz zur EU ist in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen. Noch vor zwei Jahren waren 31 Prozent der Schweizer für einen Beitritt, wie die Sicherheitsstudie der ETH festhielt. 2012 waren es noch 17 Prozent.
Die überflügelten Grünen
Und das müsste doch eigentlich den Grünen helfen. Tatsächlich: Vor ein paar Wochen hatten sie ein Erfolgserlebnis. Sie reichten ihre Volksinitiative «Für eine Grüne Wirtschaft» bei der Bundeskanzlei ein. Die nötigen Unterschriften kamen ohne grössere Probleme zusammen – ein Debakel wie der FDP blieb den Grünen erspart. Die erfolgreiche Unterschriftensammlung war aber nur ein Lichtblick in dunklen Zeiten – in sehr dunklen Zeiten für die Grünen. Sie waren die grossen Verlierer der eidgenössischen Wahlen und sie sind bei ihrem wichtigsten Thema links überholt worden: Die Katastrophe von Fukushima und der Schweizer Atomausstieg hätte die grosse Stunde der Grünen sein können – stattdessen überliessen sie das Feld kampflos den Sozialdemokraten und der CVP-Energieministerin Doris Leuthard.
Die Energiewende wird von SP-Politikern geplant, die Grünen bleiben aussen vor. Sie scheinen immer noch gelähmt ob der Tatsache, dass ihr Urzweck – der Ausstieg aus der Atomenergie – tatsächlich erfüllt werden soll. Die Grünen suchen ihren neuen Sinn.
Die Flügelkämpfe der CVP
Auf einem ganz anderen Feld knorzt es bei der CVP. Immer häufiger und immer offensichtlicher bekämpfen sich die beiden Flügel der Partei, der sozial-christliche und der konservativ-liberale. Bei der Asyldebatte im Nationalrat schämte sich eine Hälfte der CVP-Fraktion für das Verhalten der anderen. Jene Partei, die eigentlich für Familienwerte und christliche Nächstenliebe einsteht, half aktiv mit, eines der härtesten Asylregimes aller Zeiten durchzubringen.
Auch geografisch kommt es innerhalb der CVP immer wieder zu Problemen. Die Zweitwohnungs-Initiative wurde in den bergigen Stammlanden der CVP aufs Blut bekämpft und wird nun von der eigenen Bundesrätin umgesetzt. Beim Bau der zweiten Gotthard-Röhre zeichnet sich ein ähnliches Problem ab: Immer häufiger entfernen sich die urbanen rechten CVPler vom Schlag eines Gerhard Pfister von den katholischen CVPlern auf dem Land, die einmal den Kern der Partei ausgemacht haben.
Die Irrfahrt der GLP
Noch vor Kurzem waren die Grünliberalen die grosse Hoffnung, der Traum der Urbanisten und all jener, denen die FDP zu wenig grün und die Grünen zu wenig wirtschaftsfreundlich waren. Dann waren die Wahlen vorbei und die ach so moderne GLP entpuppte sich als Rechtsaussen-Partei mit ein bisschen grün. Macht die GLP in Asyl- und Einbürgerungsfragen so weiter wie bisher, mit ihrer arg nationalen Auslegung des Migrationsbegriffs beispielsweise – sie wird ein kurzes Leben haben.
Und wo ist die BDP?
Tja. Bleibt noch die BDP. Die hat nur ein Problem, aber ein grosses: ihr Ablaufdatum. An jenem Tag, an dem Eveline Widmer-Schlumpf aus dem Bundesrat zurücktritt, wird es mit der BDP vorbei sein. An diesem Tag werden sich die verbliebenen BDPler mit sehnsüchtigem Schauer an jene Zeiten zurückerinnern, in denen die Schweiz über Burn-outs und medizinhistorische Präparate debattierte.
Quellen
Die Facebook-Seite von Natalie Rickli
Die «Tagesschau» über Christoph Mörgeli
«TalkTäglich» mit Christoph Blocher
Die FDP über das Scheitern der Bürokratie-Initiative
Die Berichterstattung über den Parteitag der SP in Lugano bei Google-News
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12