Ungeklärte Interessenkonflikte bei der WHO

Die Weltgesundheitsorganisation will verstärkt mit nichtstaatlichen Institutionen (NGO) zusammenarbeiten. Aber noch sind nicht alle möglichen Interessenkonflikte geklärt.

Bruce Aylward, Assistant Director-General for Emergencies at the World Health Organization shows a graph during a news conference on Ebola aside of the World Health Assembly at the United Nations in Geneva, Switzerland, May 26, 2015. REUTERS/Denis Balibouse (Bild: DENIS BALIBOUSE)

Die Weltgesundheitsorganisation will verstärkt mit nichtstaatlichen Institutionen zusammenarbeiten. Aber noch sind nicht alle möglichen Interessenkonflikte geklärt.

Die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wollen enger mit nichtstaatlichen Institutionen zusammenarbeiten. Dazu zählen Nichtregierungsorganisationen (NGO), Universitäten, philanthropische Stiftungen und die Privatwirtschaft. An ihrer Jahressitzung, die am Dienstag in Genf zu Ende ging, blieben aber noch einige Fragen offen, etwa zu möglichen Interessenkonflikten.

Befürchtet wurde etwa, dass eine Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft oder grossen Stiftungen die Arbeit der WHO unzulässig beeinflussen könnte. Das geplante Rahmenabkommen, dessen Beratungen als Teil der WHO-Reform vor vier Jahren begann, wird daher erst im kommenden Jahr verabschiedet werden. «Über vier Fünftel des Texts haben die Staaten einen Konsens gefunden», sagte Gaudenz Silberschmidt, Direktor für Zusammenarbeit und nichtstaatliche Akteure bei der WHO und früherer Leiter der Abteilung Internationales beim Bundesamt für Gesundheit.

WHO soll sich keine Angestellten aus der Privatwirtschaft leihen

Keine Einigung gab es dazu, ob die Privatwirtschaft, der WHO Mitarbeiter ausleihen darf. Mexiko und Simbabwe, im Namen der afrikanischen Länder, wollten kein Ausleihen von Mitarbeitern nichtstaatlicher Institutionen akzeptieren, um die Unabhängigkeit der WHO zu gewährleisten – gemäss Verhandlungsdokument dürfen ausschliesslich Regierungen über die Gesundheitsprogramme der WHO entscheiden.

Japan wollte zumindest Personal von Universitäten zulassen. Grossbritannien und Australien betonten, die WHO müsse auf dem neusten Stand der Forschung sein, dafür solle Personal nichtstaatlicher Organisationen zugelassen werden. Finnland erklärte, mit einem vollständigen Verzicht von nichtstaatlichem Personal bei der WHO leben zu können. Falls solche Arbeitsverhältnisse dennoch beschlossen würden, müssten sie sich auf die Umsetzung von Entscheiden beschränken.

NGO sprachen sich dagegen aus

Mehr als 30 NGO sprachen sich gegen das Rahmenabkommen zwischen der WHO und nichtstaatlichen Institutionen aus, da mögliche Interessenkonflikte nicht geklärt seien. Die WHO, die für das Setzen von Normen zuständig ist, brauche Geld und werde potentielle Geldgeber nicht durch Kritik verärgern wollen, hiess es. Viele Vorschläge im Text förderten unter dem Deckmantel eines verstärkten Engagements eine unzulässige Einflussnahme von Konzernen auf die WHO, sagte Lida Lhotska von International Baby Food Action Network (IBFAN).

Das WHO-Budget besteht zurzeit aus zwei Hauptquellen, den obligatorischen Beiträgen der Staaten, die heute nur rund 25 Prozent des Zweijahresbudgets (2016/17) von 4,4 Milliarden Dollar ausmachen, während 75 Prozent durch freiwillige Beiträge gedeckt werden, die aber oft an bestimmte Programme wie etwa Impfkampagnen gebunden sind. Die WHO kann laut NGO daher nicht frei über die Verwendung des Geldes bestimmen. Erstmals seit langem wurde dieses Jahr das Budget um 236 Millionen Dollar (8 Prozent) aufgestockt, allerdings durch freiwillige Beiträge.

Profitmotive von Geldgebern gefährden Mandat der WHO

WHO-Generaldirektorin Margaret Chan hatte eine Budgeterhöhung von 8 Prozent vorgeschlagen, davon sollten 5 Prozent obligatorische Beiträge sein. Das lehnten aber Grossbritannien und Belgien ab. Mit den zusätzlichen Mitteln sollen unter anderem neue Prioritäten finanziert werden wie die Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen.

Seit den 1990er-Jahren wurden die obligatorischen Beiträge der Staaten eingefroren. «Die Weigerung, die obligatorischen Beiträge zu erhöhen ist die Technik, um die WHO zu zwingen, sich für den Einfluss privater Konzerne zu öffnen», kritisierte David Legge von der NGO Peoples Health Movement (PHM). Das zwinge die WHO, nach Geld von Gebern mit Profitmotiven zu suchen und gefährde ihr Mandat.

Die Hälfte der freiwilligen Beiträge stammte 2014 nach Angaben der WHO von Mitgliedstaaten, 26 Prozent von Uno- oder internationalen Regierungsorganisationen wie UNAIDS, 14 Prozent von Stiftungen, 7 Prozent von NGO und nur 2 Prozent von der Privatwirtschaft.

Gates-Stiftung ist zweitgrösster Geldgeber

NGO wie Knowledge Ecology International (KEI) sind aber auch besorgt über den Einfluss von grossen philanthropischen Organisationen wie die Bill and Melinda Gates Foundation. Diese war 2014 mit Beiträgen von 257 Millionen Dollar der zweitgrösste Geldgeber nach den USA. An dritter Stelle war Grossbritannien mit 100 Millionen Dollar weniger.

In den vergangenen vier Jahren war die Gates-Stiftung mit insgesamt 1,3 Milliarden Dollar der zweitgrösste Geldgeber der GAVI Alliance, einer öffentlich-privaten Organisation für den Zugang zu Impfungen in armen Ländern, an der WHO und Unicef beteiligt sind. «Wir denken, die WHO wurde dadurch und durch den Einfluss auf das Personal durch die Gates-Stiftung entmutigt, nötige Reformen bei der Forschung und Entwicklung neuer Medikamente voranzubringen», sagte Claire Cassidy von KEI.

Die Zuckerlobby als Besucher – und Traktandum

Befremdlich war für die NGO zudem, dass im Exekutivausschuss der WHO im letzten Januar in der italienischen Delegation ein Vertreter der Schokoladenindustrie war. «Das ist wie die Tabak- oder die Lebensmittelindustrie einzuladen, Gesetze zum Rauchen beziehungsweise zur Fettsucht zu erlassen», sagte Patti Rudall von der britischen Organisation Baby Milk Action.

Der Exekutivausschuss der WHO legt die Tagesordnung der Weltgesundheitsversammlung fest, die jeweils im Mai folgt. Dieses Jahr war offenbar die Zuckerlobby sehr aktiv – die WHO hatte kürzlich empfohlen, den Zuckerkonsum zu reduzieren. Für Aufruhr sorgte nicht nur bei NGO, sondern auch bei Staaten wie Indien weiter, dass die Organisation Global Health Council, ein internationales Netzwerk mit Sitz in den USA, eine Liste von mehr als hundert Spitzenvertretern aus der Lebensmittel- und Pharmaindustrie sowie von Top-Universitäten anmeldete, nachdem Margaret Chan nichtstaatliche Institutionen zu einem Dialog an die diesjährige WHO-Jahressitzung eingeladen hatte.

Es gibt noch einiges zu klären bei der Zusammenarbeit der WHO mit nichtstaatlichen Institutionen. Bis zur nächsten Weltgesundheitsversammlung im Mai 2016, soll die WHO ein Register dieser Institutionen erarbeiten. Dort würden dann zur Transparenz alle Projekte etwa der Gates-Stiftung aufgelistet, hiess es beim WHO-Sekretariat.

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