Unglaublich, all diese Lügen!

Abstreiten, relativieren, die Schuld abschieben: am Gericht ist das an der Tagesordnung. Umso seltener sind Richter, die offen und ehrlich über die ganze Lügerei sprechen. Eine Ausnahme machte der Baselbieter Strafgerichtspräsident Adrian Jent.

«Eigentlich ist der Hund schuld, dem nur das Beste gut genug ist. Darum wurde ich zum Betrüger»: Richter müssen sich einiges anhören – abstruses auch. (Bild: Artwork Nils Fisch)

Abstreiten, relativieren, die Schuld abschieben: am Gericht ist das an der Tagesordnung. Umso seltener sind Richter, die offen und ehrlich über die ganze Lügerei sprechen. Eine Ausnahme machte der Baselbieter Strafgerichtspräsident Adrian Jent.

Natürlich kann man als Angeklagter in einem Strafprozess auch einfach die Wahrheit sagen. Nur leider ist die häufig nicht sehr vorteilhaft. Darum wird auch im Gericht in Liestal gelogen, bis sich die Balken biegen und Gerichtspräsident Adrian Jent die Angeklagten bittet, rasch zur Decke zu schauen. Diese würden ihre Blicke dann nach oben richten und «mit Entsetzen in den Augen» erkennen, dass das Gebälk bald bricht. So jedenfalls stellte es Jent am Dienstagabend im Museum.BL dar. Wahrscheinlich war auch diese Behauptung ein wenig geflunkert. Alles andere konnte Jent bei seinem Vortrag über Lug und Trug im Gerichtsalltag aber belegen.

Das gilt auch für die fast schon lustigen Ausflüchte, die dem Richter vorgesetzt wurden. Wie jene des Betrügers, der die Schuld auf seine Frau und seinen chinesischen Shar-Pei zu schieben versuchte. Schon beim Kauf sei der Rassehund teuer gewesen – 5000 Franken, erklärte sein Halter vor Gericht. Und danach habe das etwas heikle Tier Monat für Monat zwei Mal zum Arzt in die Routinekontrolle gebracht werden müssen. Auch das sei sehr teuer gewesen, wäre aber noch gegangen, wenn der Hund nicht auch noch eine Vorliebe für teuren Wein und Rindsfilet vom Globus gehabt hätte. Solche Köstlichkeiten für einen Hund, das sei doch übertrieben!, habe er seiner Frau gesagt. Aber die habe ihm nur entgegnet, er selbst würde ja auch nicht alles essen. Was anderes konnte er noch tun, als den Hund wie verlangt zu füttern und sich das dafür nötige Geld irgendwie zu beschaffen?

Frauenhaus fast so schlimm wie Freudenhaus

Solche abstrusen Erklärungen gibt es immer wieder vor Gericht. Wie auch bei jenem Mann, der standhaft leugnete, seine Frau mit einem Messer bedroht zu haben. Er hatte ihr doch nur helfen wollen, versicherte er dem Gericht. In Sicherheit habe er sie bringen wollen, zum Bruder, und vor allem raus aus dem Frauenhaus. Denn wer dort ist, lande bald im Freudenhaus, das wisse ja jeder!

Ein Alibi – was ist das?

Dann gibt es vor Gericht auch die ganz dummen Momente, die sich schon fast anhören wie ein ganz alter Witz. Diesen:

Richter: Bekennen Sie sich schuldig?

Angeklagter: Nein.

Richter: Haben Sie ein Alibi?

Angeklagter: Was ist ein Alibi?

Richter: Hat Sie jemand gesehen, als der Diebstahl verübt wurde?

Angeklagter: Zum Glück nicht, nein.

Ein Blick ins Hirn

Jents kurzes Referat vor den rund 80 Zuhörerinnen und Zuhörer war überhaupt recht amüsant. Teilweise aber auch etwas verstörend. Als Jent zum Beispiel von einem Sodomiten erzählte, der ausgesagt hatte, der missbrauchte Hund sei mit allem einverstanden gewesen.

Womit sich die Frage aufdrängt, wie sich all die Lügner überführen lassen. Auch das verriet Jent am Dienstagabend. Das wichtigste seien Fakten, Fakten, Fakten, sagte er. Ein Geständnis könne auch falsch sein.

Das macht die Arbeit der Justiz im Vergleich zu früher sehr viel komplizierter, als man sich mit einem unter Folter erpressten Geständnis noch zufrieden gab. Dafür haben die heutigen Ermittlungsbehörden sehr viel mehr Möglichkeiten, um die Täter zu überführen – dank Fingerabdrücken, DNA, digitalen Spuren im Internet und Computer, dank Handysignalen, Radarbildern, Autonummern-Scannern, computergestützten Unfallanalysen und, und, und.

Die Wissenschaftler streiten sich sogar schon darüber, inwiefern es heute schon möglich ist und – vor allem – in Zukunft sein wird, Schwindler mittels Hirnscan zu überführen. Der gute, alte Lügendetektor wirkt da schon etwas verstaubt, der in der Schweiz gemäss einem Bundesgerichtsentscheid ohnehin nicht eingesetzt werden darf.

«Mir langts!»

Dabei wären die Justizbehörden manchmal wahrscheinlich froh um weitere Hilfsmittel.

Vor allem, wenn Aussage gegen Aussage stehe, sei die Beurteilung schwierig, sagte Jent. In diesem Fall achten sich die Richter auf so genannte Realkennzeichen. Oder anders gesagt: auf die Form und den Inhalt einer Aussage.

Einfach gesagt schildert jemand eine Begebenheit, die er tatsächlich erlebt hat, auch sehr viel lebendiger (das heisst: anschaulicher, detailreicher, emotionaler, sprunghafter möglicherweise auch) als eine, die er erfunden hat.

Ein Umstand, der dem Richter interessante Indizien liefern kann. Die ganze Wahrheit liegt aber auch am Ende eines Prozesses oft nicht auf dem Tisch, gibt Jent offen zu.

Ein Urteil muss dennoch gefällt werden. Das kann auch mal hart sein. Oder zumindest so empfunden werden. So wie bei jenem Verurteilten, der nach dem Richterspruch feststellte, das Gericht sei ihm nicht sehr gnädig gestimmt, die Strafe entsprechend hoch, nicht unbedingt zu hoch, aber sicher auch nicht zu tief. «Kurz: mir langts vollkommen.»

 

Adrian Jent arbeitet seit 16 Jahren am Strafgericht in Liestal. Sein Vortrag «Lug und Trug, Einblicke in den Alltag eines Strafgerichtspräsidenten» im Museum.BL fand im Rahmen der dortigen Sonderausstellung «Bschiss! Wie wir einander auf den Leim gehen» statt. Die Ausstellung ist noch bis am 30. Juni 2013 zu sehen. Die skurillen Aussagen, die Jent am Dienstagabend wiedergab, sind in seinen Verhandlungen gemacht worden – mit zwei Ausnahmen. Der Wortwechsel ums Alibi («zum Glück hat mich niemand gesehen») und der Ausruf «Mir langts vollkommen» stammen aus dem DTV-Band «Bei Mord hört die Freundschaft auf, Stilblüten aus Polizeiberichten und Gerichtsverhandlungen».

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