Ungute Gewöhnung an politischen Schmutz

So erfreulich der Ausgang der Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative ist: Die ewigen Ausländer-Vorlagen lenken von inneren Problemen ab, die uns mehr beschäftigen sollten.

Abstimmungsplakate fuer die Durchsetzungsinitiative an einem Stall in Peist im buenderischen Schanfigg, aufgenommen am Montag, 22. Februar 2016. Ueber die Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Auslaender" der SVP wird am 28. Februar 2016 abgestimmt. (KEYSTONE/Arno Balzarini)

(Bild: Keystone/ARNO BALZARINI)

So erfreulich der Ausgang der Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative ist: Die ewigen Ausländer-Vorlagen lenken von inneren Problemen ab, die uns mehr beschäftigen sollten.

Können wir nun mit dem Ausgang der Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative zufrieden sein? Ja und nein. Das Ja braucht eigentlich keine längere Begründung. Positive Würdigung ist in inhaltlicher wie prozeduraler Hinsicht möglich.


Die positiven Inhalte hat Justizministerin Sommaruga am Sonntagabend auf den Punkt gebracht: Verteidigung des Rechtsstaats, schützender Einbezug «unserer» Secondos und Secondas, Relativierung der Reichweite von Volksvoten. Der «Souverän» darf nicht auch noch Parlament und Gericht spielen.

Aus lokaler Sicht kann man mit Genugtuung feststellen, dass es der Zeitung, die den Namen der Region Basel beansprucht, einmal mehr nicht gelungen ist, mit einer Kampagne die Haltung der Region zu bestimmen. Basel-Stadt stand mit 70,2 Prozent Nein-Stimmen – Somm hin oder her – an der Spitze der Ablehnung.

Beim Prozeduralen ist zu würdigen, dass sich die Zivilgesellschaft und vor allem jüngere Mitbürgerinnen und Mitbürger – endlich – gegen die rechtsnationalen Zumutungen zur Wehr gesetzt und dass wichtige Exponenten der Wirtschaft – ebenfalls endlich – gemerkt haben, dass Verteidigung der Individualrechte auch von wirtschaftlichem Interesse ist.

Kein Abo auf den Volkswillen

Höchst erfreulich ist die Erfahrung, dass die traditionelle und zugleich fortschrittliche Schweiz siegen und dass der revolutionäre Rechtspopulismus in Schach gehalten werden kann; dass nun der Bann gebrochen ist und die rechtschaffene Schweiz nicht mehr wie ein gelähmtes Kaninchen vor der SVP-Schlange kauert. Die sogenannte Volkspartei hat kein Abo auf den sogenannten Volkswillen.

Der Bezeichnung «revolutionärer Rechtspopulismus» ist noch beizufügen: Ein SRF-Kommentator hat den 28. Februar als Sieg der liberalen Kräfte über die konservativen Kräfte gedeutet. «Liberal» mag stimmen, aber «konservativ» ist eindeutig falsch und eine nicht untypische Fehleinschätzung.

Es gab zu viel billiges Lob auf den Gottesdienst der gelebten direkten Demokratie.

Gerade Altkonservative hatten starke Gründe, eine derart das gegebene Staatsgefüge und die Menschenrechte missachtende Initiative abzulehnen. Zudem verhalten sich auch Rote, Grüne, farbige Regenbogen-Menschen konservativ, wenn sie die guten Errungenschaften von gestern und vorgestern verteidigen.

Warum jetzt nicht rundum zufrieden, ja glücklich sein? Durchaus berechtigt ist die etwas martialisch daherkommende Mahnung, dass nur eine Schlacht und nicht der Krieg gewonnen sei. Es gab aber auch zu viel selbstgefälliges Schulterklopfen und billiges Lob auf den Gottesdienst der gelebten direkten Demokratie.

Auf zu leichte Weise beruhigt und sich an der schönen Stimmbeteiligung orientierend, kamen viele gerne zum Schluss: Siehe da, unser System funktioniert doch prächtig! Trotz des Resultats vom vergangenen Wochenende braucht es aber die von den staatspolitischen Kommissionen beider Räte vorgeschlagenen Reformen!*

Getrübte Freude

Die derzeitige Zufriedenheit geht teilweise in die von der SVP vorgespurte Richtung, dass es nichts Besseres gebe als ein kräftiges Volksvotum. So betrachtet, müsste man der SVP fast dankbar sein, dass sie der Schweiz zu einer erfreulichen Mobilisierung verholfen hat: zur «höchsten Stimmbeteiligung seit 23 ½ Jahren» oder zur «höchsten Stimmbeteiligung in diesem Jahrhundert» (das noch ziemlich am Anfang steht). Diesem Frohsinn sind drei Tatsachen entgegenzuhalten:

  • Erstens wäre es sehr zu wünschen gewesen, wenn diese Bewährungsprobe gar nicht nötig gewesen wäre, wenn die SVP ihre Finger davon gelassen und wenn insbesondere das Parlament die Initiative gar nicht erst zugelassen hätte. Jetzt musste eine Volksmehrheit den Job machen, den eigentlich die Eidgenössischen Räte hätten übernehmen müssen.
  • Zweitens muss man sehen, dass die Ausschaffungsinitiative der SVP zu einem Gesetz mit teils fragwürdigen Bestimmungen geführt hat. Insbesondere der Sozialhilfebetrug, sofern nicht von Inländern begangen, kann ein Ausschaffungsgrund sein, man erwartet jetzt allgemein und ungerührt 4000 Ausschaffungen pro Jahr statt 500.
  • Drittens hat das vergiftende Gerede von den «kriminellen Ausländern» leider überhaupt nicht aufgehört. Im Gegenteil: Noch am Abstimmungsabend und in den darauf folgenden Tagen konnte man insbesondere von den Abstimmungsverlierern, aber auch von den beflissenen Abstimmungssiegern gebetsmühlenhaft hören, dass Ausländer-Mörder, Ausländer-Vergewaltiger, Ausländer-Einbrecher die ganze Härte des neuen Gesetzes zu spüren bekämen. Bezeichnenderweise stellte FDP-Präsident Philipp Müller eine «pfefferscharfe» Umsetzung des neuen Ausländer-Strafgesetzes in Aussicht.

Es zeigt sich, dass unabhängig vom nun als historisch bezeichneten Sieg über die ausländerfeindliche Vorlage der ausländerfeindliche Diskurs weiterläuft und die Verlierer diesbezüglich die Gewinner sind. Das war im Übrigen bereits vor dem 28. Februar für die Initianten ein «positiver» Ertrag des Abstimmungskampfes. Die Ausländer werden generell problematisiert, und die Ausländerfeinde dienen sich bei ihrer Gefolgschaft generell als Wächter der Nation an – was sich bei den nächsten Wahlen wieder auszahlen wird.

«Wir haben schon vor dem Abstimmungs-Sonntag viel erreicht.»

SVP-Präsident Toni Brunner

Dem SVP-Präsidenten ist leider zuzustimmen, wenn er frohlockt: «Wir haben schon vor dem Abstimmungs-Sonntag viel erreicht.» Was der Brunner Toni aber nicht gesagt hat: Dass er dies mit einer Hasskampagne erreicht hat und mit dem fortgesetzten Schüren negativer Vorurteile gegenüber einem festen Teil der Wohnbevölkerung, der zugleich doch ein anständiger und vitaler Teil des Landes ist.

Ungetrübt kann die Freude bei genauem Hinschauen nicht sein: Die absoluten Zahlen der Ja-Stimmen sind kaum zurückgegangen, in 12 Kantonen hat die Zahl der Befürworter sogar zugenommen. Und diese Kräfte werden sich jetzt nicht einfach in Luft auflösen. Die Verlierer haben es prächtig verstanden, ihre Niederlage in einen Sieg umzudeuten.

Sie fordern laut, dass man ihrer momentanen Minderheitenposition voll Rechnung trage, und tun damit das, was sie ihren Gegnern nicht einräumen, wenn diese in der Minderheit sind. Und unbelehrbar stellen sie in Aussicht – wenn es nötig erscheint beziehungsweise passt –, mit weiteren Durchsetzungsinitiativen aufzuwarten.

Kopf, Bauch, Herz

Wir sollten uns auch einen kurzen historischen Rückblick leisten: Noch im März 2014 wollte der Nationalrat mit Hilfe der FDP- und CVP-Kräfte die Ausschaffungsinitiative voll um- oder durchsetzen, das heisst ohne Härtefallklausel. Es brauchte den als konservativ eingestuften Ständerat, um dies zu verhindern.

Für das damalige Fehlverhalten der politischen Mitte gab und gibt es zwei Erklärungen: Entweder glaubte sie in ihrer Fehleinschätzung, den jetzt sich ganz anders offenbarenden Volkswillen respektieren zu müssen. Oder das Fehlen der Härtefallklausel hat sie, weil sie innerlich SVP-infiziert war, einfach zu wenig gestört. Vielleicht finden diese Kräfte nach dem 28. Februar wieder auf den richtigen Pfad zurück.

Der Bauch verhindere, dass «die Elite in die falsche Richtung rennt»: SVP-Gerede aus dem Mund der CVP.

Wir sollten uns auch daran erinnern: Vor dem 28. Februar gab es die dem CVP-Ständerat Pirmin Bischof zugeschriebene Äusserung, dass es gar nicht so schlecht sei, wenn ein Grossteil der Bevölkerung «mit dem Bauch» abstimme. Denn: «So verhindert sie, dass die Elite mit einer falschen Idee in eine falsche Richtung rennt.»

Das ist SVP-Gerede aus CVP-Mund. Ausser dem uns allen wichtigen Bauch gibt es auch noch das Herz und einen Kopf mit Sinn für Verhältnismässigkeit. Übrigens muss man sich fragen: Wie kann einer der am vergangenen Wochenende in Einsiedeln versammelten SVP-Parteimannen die Hoffnung aussprechen, dass die im nahen Kloster domizilierte Maria auf seiner Seite stehe?

Drängendere Fragen

So erfreulich das Resultat vom 28. Februar ist, die Schweiz sollte ohne solche Siege auskommen. Man bedenke, wie viel Energie und Ressourcen in diesen Kampf gesteckt werden mussten und wie viel Schaden sie in jedem Fall angerichtet und bei uns auch eine ungute Gewöhnung an den politischen Schmutz (man denke auch an die Plakate) gebracht haben.

Vielleicht nicht beabsichtigt, aber im Effekt darauf hinauslaufend, lenken diese ewigen Ausländer-Vorlagen auch von unseren inneren Problemen ab, zum Beispiel vom kaum vom Fleck kommenden Landschaftsschutz, von der «brennenden» Energiefrage, von der schwachen Harmonisierung des zu föderalistischen Bildungswesens und so weiter und so weiter.
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* Soeben erschienen von Georg Kreis (Hg.): «Reformbedürftige Volksinitiative. Verbesserungsvorschläge und Gegenargumente», NZZ-Libro, Zürich 2016, 156 Seiten.

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