Die Gewerkschaftsorganisation Unia forderte die privaten Spitex- und Betreuungsvereinigung ASPS, mit einem Kaktus auf, ihren GAV anzunehmen. Dieser sei unpassend für seine Branche, findet ASPS-Vertreter Wüst-Rudin.
Unerwartete Lieferung für David Wüest-Rudin, Vertreter der Association Spitex Privée Suisse (ASPS): Am Freitagmorgen stand die Gewerkschaft Unia vor seiner Tür. Ihre Lieferung: ein Kaktus.
Der Kaktus habe Symbolcharakter. «Auch wenn er von Weitem schön aussieht, sieht man bei näherer Betrachtung, dass er sticht», begründete Adrian Durtschi von der Unia die Geschenkwahl. Die Gewerkschaft wolle damit die Arbeitsbedingungen in einigen Betrieben der privaten Spitex- und Betreuungsbranche anprangern und forderte Wüest-Rudin auf, ihrem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für die nichtmedizinische Betreuung zu Hause beizutreten.
«Falsche Adresse»
Für Wüest-Rudin klingelten die Kaktus-Lieferanten an der falschen Adresse. «Der GAV, den die Unia ausgehandelt hat, gilt für die Betreuungs- und nicht für die Spitexbranche, die Pflegeleistungen erbringt», sagt er. «Wir kennen den Inhalt des GAV überhaupt nicht, denn der ASPS hat ihn nicht mitverhandelt. Zudem gilt für die nicht gemeinnützige Spitex-Branche der GAV Personalverleih.» Der Vertreter der Alterspflegebranche findet den Besuch der Gewerkschaft deswegen schräg: «Es ist mir nicht klar, was die Unia damit wollte.»
Mit dem hauseigenen Basisvertrag habe die ASPS schon eine Massnahme getroffen, um gute Arbeitsbedingungen der Angestellten zu sichern. «Wenn man dem Basisvertrag beitritt, muss man gewisse Standarts einhalten», sagte er. Der Basisvertrag sei spezifisch auf die Realität von Patienten und Kunden angepasst, wobei die Einsätze stundengenau abgerechnet werden müssten. «Ein GAV darf nicht zu eng, zu unflexibel und zu teuer werden», sagt Wüst-Rudin. Er befürchtet, dass die Dienstleistung der ASPS-Betriebe den Bedürfnissen der Kunden nicht mehr entsprechen könnte und auch kaum mehr bezahlbar wäre.
«Kartellähnliche Absprachen»
«Fadenscheinige Begründung», entgegnet die Unia. Im Gegensatz zum Basisvertrag definiert der GAV, den die Unia und der Arbeitgeberverband «Zu Hause Leben» sozialpartnerschaftlich ausgehandelt haben, Zulagen für Nacht- und Wochenendarbeit und sieht einen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde (plus 13. Monatslohn) vor. «Nur der GAV gewährleistet faire Arbeitsbedingungen, fixe Zulagen und Mindestlöhne sowie eine wirksame Kontrolle», schreibt die Unia in einer Medienmitteilung.
Der ASPS brüste sich, mit dem Basisvertrag denselben Mindestlohn zu zahlen, wie ihn die Unia fordert. «Doch darin ist nicht nur der 13. Monatslohn bereits eingerechnet, sondern sogar die Ferien und die Feiertage. Dies grenzt an Irreführung», schreibt die Unia. Durtschi sagt, der Basisvertrag sei ein einseitiges Dokument der Arbeitsgeber, die sich, einem Kartell ähnlich, abgesprochen hätten: «Doch Selbstkontrolle ohne Hebel funktionierte noch nie.»
Als Beispiel dafür nennt er die Privat-Spitex-Firma Primula AG, bei der die Arbeitsbedingungen geradezu katastrophal seien. Durtschi verweist auf einen Blick-Artikel, nach dem zwei Polinnen zu Tiefstlöhnen bis zu 634 Stunden pro Monat arbeiteten. Das Unternehmen ist ein ASPS-Betrieb.
Parlamentarische Vorstösse angekündigt
Auch im Grossen Rat wird der Basisvertrag zum Thema. In den nächsten Wochen werde SP-Grossrat und Unia-Gewerkschaftssekretär Pascal Pfister im Stadtparlament Vorstösse lancieren, um dagegen vorzugehen, «dass der ASPS mit Preisabsprachen die Arbeitsbedingungen tief hält, während einige Wenige viel Geld auf dem Buckel der Angestellten und der Klienten verdienen», hiess es in der Medienmitteilung der Unia.
Kaktus-Lieferant Durtschi gab sich versöhnlicher. «Wir würden uns über baldige Gespräche freuen.» «Zum Gespräch ist der ASPS immer bereit», entgegnete ihm der frisch gebackene Kaktusbesitzer Wüest-Rudin.