Unser Autor auf Spurensuche nach einem Stinkefinger an einem Filmfestival

Die Aufnahme von Yanis Varoufakis und seinem Finger stammt vom Subversive Film-Festival 2013 in Zagreb. Dort hat niemand ein Wort darüber verloren. Vergangenen Sonntag löste die Geste einen Skandal aus. Dumm nur, dass es eine Fälschung war. Oder doch nicht? Ein Erinnerungsversuch, dessen Ende egal ist.

Die Aufnahme von Yanis Varoufakis und seinem Finger stammt vom Subversive Film-Festival 2013 in Zagreb. Dort hat niemand ein Wort darüber verloren. Vergangenen Sonntag löste die Geste einen Skandal aus. Dumm nur, dass es eine Fälschung war. Oder doch nicht? Ein Erinnerungsversuch, dessen Ende egal ist.

Es ist eine andere Welt gewesen, als am 15. Mai 2013 der Philosoph Slavoj Zizek und Alexis Tsipras am sechsten Subversive Film-Festival in Zagreb auftraten. Aber ein Blick auf die Veranstaltung lohnt sich. Das Festival fand drei Wochen vor dem EU-Beitritt Kroatiens statt und im Land wurde viel über Vor- und Nachteile der Europäischen Union diskutiert. Viele fürchteten ein «griechisches Szenario» für Kroatien.

Kein Wunder ist der Saal für die Podiumsdiskussion zur Rolle der Linken in Europa mit Tsipras und Zizek gut gefüllt. Moderator Srecko Horvath beginnt mit der Vorstellung von Alex Tsipras, als dem «hoffentlich nächsten Premierminister Griechenlands». Das überwiegend linke Publikum applaudiert, dabei ahnt niemand und noch viel weniger halten es wohl für möglich, dass Tsipras tatsächlich zum Premierminister Griechenlands gewählt wird.

Nur drei Stunden zuvor besteigt ein anderer Mann die Bühne im vollen Kino Europa: Wirtschaftsprofessor Yanis Varoufakis präsentiert sein Buch «Der globale Minotaurus». Das Publikum ist deutlich kleiner, aber kaum weniger links. Der damals ausserhalb linker Kreise unbekannte Varoufakis erzählt seine Interpretation der Griechenlandkrise.

Etwa 40 Minuten lang erklärt er, ruhig und sitzend, was seiner Auffassung nach alles schief gelaufen sei. Dabei betont er, dass zu spät auf die Krise reagiert wurde und letztlich die Steuerzahler für die Verluste der Banken aufkämen: «Was passierte war ein Transfer der Verluste von den Banken hin zu den Steuerzahlern.» Diese Art der Krisenbewältigung habe die griechische Wirtschaft und insbesondere das Gesundheitssystem und die Renten ruiniert. Seine Aussage: Es könne so nicht weiter gehen, die Troika habe keine Strategie, um diese Krise zu beenden.

Nach seinem Vortrag stellt sich Yanis Varoufakis den Fragen der Besucher. Zu diesem Zweck steht er auf.

Varoufakis betont, dass es darum gehen müsse, den Euro zu retten um ein schlimmeres Szenario zu verhindern: «Lasst uns Griechenland für eine Sekunde vergessen. Wenn die Eurozone kollabiert, werden wir in einem postmodernen 1930er-Szenario enden.» Er prophezeit, dass Deutschland eine massive Depression bevorstehe und die gesamte Weltwirtschaft stark leiden würde, sollte der Euro tatsächlich scheitern. Aus einer griechischen Perspektive betont er: «Das was die letzten drei Regierungen in Griechenland getan haben, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»

Dann folgt eine Szene, die heute weltberühmt ist.

Sein Vorschlag im Januar 2010 sei gewesen, erklärt der Wirtschaftsprofessor, Griechenlands Insolvenz innerhalb der Eurozone zu erklären, statt riesige Summen zu leihen, welche die Griechen nicht zurückzahlen können. Wenn es so gekommen wäre, sagt Varoufakis, hätte man mit dem Finger auf Deutschland zeigen können und sagen: «Löst eure Probleme doch selbst.»

Den Finger, den Varoufakis dann angeblich zeigte, war sein Mittelfinger. Zudem war es ein rhetorischer Mittelfinger. Ein Mittelfinger, den man Deutschland hätte zeigen können, hätte man die Krise anders angegangen. Keinen, den er Deutschland wirklich gezeigt hat.

Beim Subversive Film-Festival selbst wurde nicht über Yanis Varoufakis Mittelfinger debattiert. Keiner hat diese vermeintliche Beleidigung gegen die Deutschen auch nur kommentiert. Ich persönlich kann mich nicht mal an einen Mittelfinger erinnern.

Jauch und der neue Kontext

Am Sonntagabend bringt Günther Jauch den Mittelfinger in die deutschen Wohnzimmer. Dabei wird von einer «Konferenz» in Zagreb gesprochen. Erst auf dem Video wird deutlich, dass es sich um das Subversive Film-Festival handelt. Merkwürdig, aber möglich. Im Kontext eines linken Festivals, das den Namen Subversive trägt, kann so ein Mittelfinger schon mal unkommentiert untergehen, ohne dass es einen Skandal auslöst.

Auch hier galt bereits: Das Zitat ist aus dem Kontext gerissen und verlogen dargestellt. Der Mittelfinger richtete sich gegen die Kreditaufnahme und nicht gegen eine Rückzahlung durch die Griechen. Doch Yanis Varoufakis behauptete der Mittelfinger sei ein Fake. Eine solche Geste habe er nie gemacht.

Merkwürdig ist, dass das Mittelfinger-Video erst am 12.02.2015 bei Youtube online gestellt wurde, während ein anderer Vortrag von Varoufakis, den er einen Tag zuvor auf demselben Festival hielt, bereits seit dem 17.05.2013 online ist. Dies schien die Fake-These zunächst zu bekräftigen, doch Mitarbeiter des Subversive Film-Festivals bestätigten zunächst, das Video sei echt.

Erst am Mittwochabend löst Jan Böhmermann auf: «Lieber Günther Jauch, liebe ARD, liebe Bild-Redaktion, sie müssen jetzt ganz ganz stark sein», sagt er und erklärt: Der Fake soll in Zusammenarbeit mit dem Subversive Film-Festival ins Netz gestellt worden sein.

 

Das Material mit dem Mittelfinger entstand demnach bei dem Dreh zum Musikvideo «V for Varoufakis».

 

Dank dieses Videos könnte auch die Redaktion von Günther Jauch auf das Video aufmerksam geworden sein. Die kroatisch sprechende Redakteurin Sanja P. des ZDF «Neo-Magazins Royal» soll demnach zwei Freundinnen angefragt haben, die bei dem Subversive Festival gearbeitet haben, ob sie bei dem Coup mitmachen wollen. Eine von beiden, Dina, grüsst auf dem Video vom Ban-Jelačić-Platz im Zentrum Zagrebs und betont, dass es ihr leid tut, während Sie beide Mittelfinger in die Kamera hält.

Robert King, Creative Director Video bei «Bild.de», bezeichnete das Video zuvor noch als echt. Eine Fälschung hält er für unmöglich, «wenn das Video nicht in einem Studio gedreht wurde». Genau das, will das ZDF Neo Magazin Royal aber getan haben. Jan Böhmermann kommentiert: «Dass jemand vom Subversive Festival bei einer solch subversiven Aktion mitmacht, hätte man nicht ahnen können.»

Nun steht das ganze Internet Kopf. Witzig ist dabei auch, dass Stinkefinger-Dina vom Subversiven Filmfestival am Montag gegenüber der «Süddeutschen Zeitung», die Echtheit bestätigte: «Wenn wir das Video online gestellt haben, dann ist es auch echt.» Drei Tage später taucht sie auf dem Video von Böhmermann auf und eine Diskussion facht auf: Ist Video nur der Fake von einem Fake? Hat er den Finger gezeigt oder nicht? Ist es ein Metafake? Varoufakefake?

Viele Menschen dürften seit dem Kinobesuch von «Inception» nicht mehr so verwirrt gewesen sein. Und die Verwirrung ist nun perfekt, weil das ZDF bestätigt hat, dass Böhmermanns Video Satire sei (welch eine Überraschung!). 


Letztlich ist es völlig egal, ob Yanis Varoufakis den Mittelfinger nun gezeigt hat oder nicht. Das Problem ist die Intention der Redaktion von Günther Jauch, die Jan Böhmermann schön zusammenfasst: «Ihr habt das Video aus dem Zusammenhang gerissen, damit sich Mutti und Vati nach dem ‹Tatort› zu Hause nochmal schön aufregen können. Der Ausländer, raus aus Europa mit dem. Er ist arm und nimmt uns Deutschen das Geld weg, das gibt es ja gar nicht.»

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Lesenswert zum Thema: «In Europa wird über einen Mittelfinger mehr geredet als über die dramatische Krise», schreibt der Direktor des Subversive Filmfestivals, Srecko Horvath bei «jetzt.de». «Sueddeutsche.de» hat den Internethype um #Varoufake zusammengetragen:

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