Unser innerer Glarner

Egal, was Politiker rauslassen – solange es Aufsehen erregt, ist es gut, denn das ist eine Währung im Kapitalismus. Statt Trolle zu füttern, würden wir unsere Aufmerksamkeit besser einer Kritik am System widmen – und den Troll in uns selbst erkennen.

Portrait von Andreas Glarner, Nationalrat der SVP des Kantons Aargau, aufgenommen am 2. Dezember 2015 in Bern. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

(Bild: Nils Fisch)

Egal, was Politiker rauslassen – solange es Aufsehen erregt, ist es gut, denn das ist eine Währung im Kapitalismus. Statt Trolle zu füttern, würden wir unsere Aufmerksamkeit besser einer Kritik am System widmen – und den Troll in uns selbst erkennen.

Die Machoscheisse geht weiter! SVP-Asylchef Andreas Glarner postet die Profilbilder zweier Kritikerinnen auf seinem Facebook-Account. Darunter macht er Anspielungen auf einen Zusammenhang zwischen linkem Gedankengut, Feminismus und geringer Attraktivität. Was der Nationalrat nur andeutet, wird von seinen treuen Trollen bereitwillig in den Kommentaren ergänzt. Chronisch untervögelte Vogelscheuchen sind das!

Der wegen ungetreuer Geschäftsführung vorbestrafte Glarner ist in aller Munde. Die einen sind empört, die anderen sehen sich in ihrer eigenen Geifer-Gier stimuliert und übertreffen ihren Messias des Ignoranten mit bösartigen Äusserungen.

Die Schweiz hat mit Glarner ihren eigenen Trump erhalten. Köppel und Mörgeli sind zu bieder dafür. Brunner hätte es sein können, aber nun ist es also dieser Provinzpolitiker. «Bullshit Superstar» könnte die Show heissen, der er entsprungen ist. Denn das vergessen alle, die Glarner belächeln: Seine Würde hat er längst verloren, die Show gewinnt er trotzdem oder gerade deshalb. Er hat uns alle übertrumpt!

Der Typ könnte inzwischen ein Kind fressen, er würde nicht an Popularität einbüssen.

Während jene, die noch bei gesundem Menschenverstand sind, denken, dass selbst die SVP sich von diesem Vogel distanzieren wird und dass er sich selbst zurück in die Gosse reiten wird, aus der er gekommen ist, befürchte ich, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Ich meine – der Typ ist fucking Nationalrat!

Auch Trump wird in vielen Medien demontiert, trotzdem stehen seine Chancen, der mächtigste Mensch der Welt zu werden, besser, als wir uns eingestehen wollen. Der Typ könnte inzwischen ein Kind fressen, er würde nicht an Popularität einbüssen. In unserer schönen neuen Welt unterliegt Viralität keiner Qualitätskontrolle, sondern sie ist das allerheiligste Qualitätsmerkmal.

Die einen sehen im Troll den Messias, die anderen den faszinierenden Dorftrottel, der sich zu ihrer Belustigung demontiert.

Klicks, Views, Shares – darum geht es. Das haben uns Dekaden von Marketing-Gehirnwäschen in Kombination mit den neuen Medien eingebrockt. Wer viral ist, hat das Sagen, auch wenn das, was er sagt, unsäglich ist. Das katapultiert dann Witzfiguren wie Trump und auch Witzfigürchen wie Glarner an Orte, wo sie keiner erwartet hätte, wo sie aber mehr Schaden anrichten werden, als wir, immer noch herablassend lächelnd, wahrhaben wollen.

Es ist das Zeitalter der Trolle. Die Menschen lieben die Trolle. Sie sind selbst ein bisschen trollig. Ich auch! In dieser leistungsorientierten Gesellschaft, wo alles perfekt sein und funktionieren muss, wo jedes Anders-Sein die Gefahr birgt, durchs soziale Netz zu fallen, tut es gut, irgendwelchen Rüpeln zuzuschauen, die sich zum Affen machen, aber trotzdem irgendwie kriegen, was sie wollen. Der innere Affe lacht sich ins pelzige Fäustchen, der äussere Gutmensch ist empört. So füttern wir alle den Troll. Die einen sehen in ihm den Messias, die anderen den faszinierenden Dorftrottel, der sich zu ihrer Belustigung vor der ganzen Welt demontiert.

Trump und Glarner sind traurige Momentaufnahmen des Zustandes unserer westlichen Konsumgesellschaft. Völlig daneben, aber es funktioniert noch und ist noch lustig anzusehen. Noch. Solange es sich verkauft, ist es gut. Wenn es Klicks generiert, lässt sich Geld damit machen – das ist gut. Das ist Kapitalismus in Reinform – befeuert durch die neuen Möglichkeiten sozialer Medien.

Menschen, die sich gut verkaufen, sind in einem System, das alles an Verkaufszahlen misst, am längeren Hebel.

Die Nationalisten wissen diesen abgefuckten Zustand geschickt zu nutzen. Immer wieder posten Politiker menschenverachtende Scheisse auf ihre platten Plattformen und ernten Beifall – oder Verachtung. Egal. Hauptsache Response. Es könnte sein, dass es so viele über die Stränge schlagende Populisten gibt, weil einst graue Mäuse gemerkt haben, wie man mit Populismus viral gehen kann. Nun bedienen sie sich der Mittel des Populismus, um über die Viralität ihren eigenen Narzissmus zu füttern.

Was machen wir nun mit diesem Schlamassel? Zum Beispiel zusammenfassen: In einer kapitalistischen Welt bestimmt die Nachfrage den Wert eine Produkts. In einer kapitalistischen Welt werden Menschen zu Produkten. Soziale Medien erlauben es uns, uns selbst zu vermarkten.

Sex, Vulgarität und Nationalismus sind Verkaufsschlager. Menschen, die sich gut verkaufen, sind in einem System, das alles an Verkaufszahlen misst, am längeren Hebel. Menschen wie Trump und Glarner spielen dieses Spiel gut – ob unfreiwillig oder durch Kalkül spielt keine Rolle. Ihr Selbstbewusstsein ist an sich klein, aber ihr Hebel ist länger, als man denkt.

Wenn wir so weitermachen, werden wir bald nicht mehr über Trump und Glarner lachen, sondern ihre Machtentfaltung beweinen.

Fazit: Wir sollten nicht vor dem Kapital kapitulieren, sondern ein neues Kapitel schreiben. Titelvorschlag: «Die Rückkehr der Ratio.» Nur wenn wir das herrschende System grundlegend zu verändern beginnen, entziehen wir den Trollen nach und nach ihr Futter. Wenn wir so weitermachen, füttern wir sie und wir werden spätestens in ein paar Jahren nicht mehr über Leute wie Trump und Glarner lachen, sondern ihre Machtentfaltung beweinen.

Wir müssen den ausser Rand und Band geratenen Kapitalismus zähmen. Wir brauchen kluge Medien, kritische Stimmen, mehr soziale Gerechtigkeit und eine Politik, die zum Mitmachen animiert. Und wir brauchen Spielplätze für die Trolle. Für uns und die anderen. Plattformen für unsere Schwächen. Eine Arbeitswelt und einen Alltag, der die eigene Imperfektion und Trolligkeit nicht verleugnet. Sonst formieren sich die Trolle im Untergrund der Gesellschaft und in der eigenen Seele nistet sich ein kleiner Glarner ein. Und dann braucht es nur noch den richtigen Troll-Führer, bis die Schwarte zünftig kracht.


PS: Angeregt durch den Satiriker Volker Pispers musste ich während dem Schreiben immer wieder denken: All diese Populisten, das sind keine Nazis, sonst wären sie ja Sozialisten – diese neue Spezies ist noch angsteinflössender: Das sind National-Kapitalisten.

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