Vater Dürr, der feine Anarchist

Dem Wirtschaftsanwalt David Dürr ist das Staatsmonopol zuwider. Damit eckt der Vater von FDP-Regierungsrat Baschi Dürr an.

Der Staat ist böse. Das Gewaltmonopol findet David Dürr gefährlich, weil es aus Familienvätern Staatsverbrecher machen könne. (Bild: Basile Bornand)

Dem Wirtschaftsanwalt David Dürr ist das Staatsmonopol zuwider. Damit eckt der Vater von FDP-Regierungsrat Baschi Dürr an.

Realität und Vorstellung klaffen bei David Dürr weit auseinander. Wer seine Kolumnen in der «Basler Zeitung» liest, hat vielleicht das Bild eines giftspeienden, herrischen, libertären Provokateurs vor Augen. In der Direktbegegnung ist Dürr aber das Gegenteil davon: freundlich, bescheiden, auf seine feine Art humorvoll, ein Gentleman.

Seit April polarisiert der Vater des Basler Justiz- und Sicherheitsdirektors Baschi Dürr (FDP) mit seiner ­wöchentlichen Kolumne «David und Goliath», BaZ-Chefredaktor Markus Somm höchstpersönlich hatte ihn angefragt. Dabei geht es in seinen Texten meistens um die Rolle des Staats – für ihn das Feindbild schlechthin. Der Wirtschaftsanwalt hat eine äusserst unkonventionelle und unbequeme Haltung – eine noch neoliberalere als sein Sohn: Das staatliche Gewal­t­monopol gehört für ihn abgeschafft, Steuern bezeichnet er als «institutionalisierten Diebstahl» und Lohndumping findet er in Ordnung. Was denn schlimm daran sei, «wenn sich ein Ausländer mit weniger Lohn zufrieden gibt, als es in unserem Land üblich ist», schrieb er.

Der Professor für Privatrecht und Rechtstheorie an der Universität Zürich weiss, dass er mit seiner Meinung aneckt, dass ihn gar manche als Spinner bezeichnen. «Wenn man solche Dinge erzählt, löst dies Reaktionen aus. Die Kritik stört mich nicht, ich amüsiere mich mehr darüber, wie aggressiv sie teilweise ausfällt», sagt er. Er erlebe aber auch positive, nicht selten begeisterte Reaktionen. Es ist unüberseh- und hörbar, wie ähnlich sich Vater und Sohn Dürr sind. Beide haben dieselbe Art zu gestikulieren. Aussprache und Tonlage sind identisch, das schelmische Grinsen ebenso.

Für ein Scharia-Gericht

Das «System David Dürr» ist simpel: Überall soll Wettbewerb herrschen. Monopole verabscheut er, sie sind per se etwas Schlechtes. Gegen den Staat sei er, sagt Dürr, weil dieser ihm ohne Legitimation Vorschriften mache. «Ein grosses Unternehmen wie die Migros hat ja auch nicht das Recht, mir zu sagen, was ich zu tun habe.» Dasselbe gilt für ihn beim Staat. Dass dieser meine, seine Vorschriften seien automatisch verbindlich, findet er «abstrus». Als Beispiel nennt er die Steuern, die «voraussetzungslos geschuldet» seien, ungeachtet davon, ob man eine staatliche Dienstleistung bestellt oder ob man einen Schaden angerichtet habe.

Angefangen hat Dürrs kritische Auseinandersetzung mit dem Staatssystem während seiner Zeit in Amerika. 1979 weilte er für ein Jahr an der Harvard Law School in Massachusetts und besuchte dort viele rechtstheoretische und rechtsphilosophische Vorlesungen. Nicht zuletzt auch später im Militär (er war einst Oberst der Militärjustiz) sei ihm immer klarer geworden, wie widersprüchlich die staatlichen Strukturen seien. Derzeit schreibt er an seinem zweiten Buch über den Staat, das erste, «Staats-Oper Schweiz: wenig Stars, viele Staatisten» erschien 2011.

Dürr greift gerne zu drastischen Vergleichen, um seine Aussagen zu unterstreichen. «Am gefährlichsten ist das staatliche Rechts- und Gewaltmonopol, damit wird der Machtmissbrauch zementiert.» Da könnten aus braven Familienvätern «Staatsver­brecher» oder «Konzentrationslager-Aufseher» werden. Das sei leider nicht Theorie, sondern eine historische Tatsache, sagt Dürr.

Das «System David Dürr» ist simpel: Überall soll Wett­bewerb herrschen.

Besonders stossend findet der 60-Jährige, dass bei juristischen Auseinandersetzungen mit dem Staat ein Gericht urteilt, welches selbst eine «Abteilung des Staates ist». Einen unparteiischen Richter gebe es nicht. «Es darf doch nicht sein, dass bei einem Streit zwischen zwei Kulturen eine Partei urteilt, die einer der beiden Parteien angehört. Wenn schon, dann müsste es ein Dritter sein.»

Der verheiratete Vater von vier Kindern geht sogar so weit, dass er nichts gegen die Zulassung von Scharia-Gerichten in der Schweiz hätte. Es gebe keinen Grund, nur das hiesige Rechtssytem zuzulassen – auch bei der Rechtsordnung sollte der freie Wettbewerb herrschen, sagt er. «Ein Scharia-Gericht würde hier anders funktionieren als beispielsweise in Somalia. Die Scharia kennt höchst differenzierte und wertvolle Traditionen, die mit Auspeitschen und Hand-abhacken nichts zu tun haben.»

Eidgenossenschaft abschaffen

Als Ideologen und Missionar will sich Dürr nicht verstanden wissen, er wehre sich nur gegen fundamentalistische Zumutungen, ohne jemanden bekehren zu wollen. Dürr sieht sich in der «Anarchisten-Fraktion». Unter Anarchie verstehe er jedoch nicht Chaos, sondern ein Ordnungssystem ohne monopolitische Führung. «Wenn 99 Prozent ihren Monopolstaat haben wollen, sollen sie den haben. Aber ­warum sollte man ihn den restlichen 1 Prozent aufdrücken?»

Dem ehemaligen FDP-Mitglied (die Parteipolitik war ihm zu grundsätzlich) fällt es leicht, über seinen Sohn zu sprechen. Trotzdem zögert er kurz bei der Frage, ob er ihm denn bei dieser ganzen Staatsskepsis nicht vom Regierungsratsamt abgeraten habe. Dann sagt Dürr: «Ich finde es grossartig, dass er bereits mit 36 Regierungsrat wurde.» Sein Sohn sei ja sehr liberal und entsprechend zurückhaltend gegenüber einem Ausbau der Staatsfunktionen.

«Ich glaube, wir haben eine ähnliche Haltung, und dies wohl nicht zufällig. Man hat ja immer wieder miteinander über solche Themen geredet.» Als Elternteil habe man immer irgendwie Einfluss. «Er war aber einer, der unsere Vorschriften und unsere Autorität immer hinterfragt hat.» So habe man gegenseitig viel voneinander gelernt, sagt Dürr.

Zudem hat Vater Dürr mit kantonalen Strukturen viel weniger Mühe. Sie seien kleiner, näher bei den Menschen, und vor allem gebe es 23 davon in der Schweiz, das bringe wenigstens einen gewissen Wettbewerb. «Beim Bund ist die Gefahr von arroganten Machtmissbräuchen grösser.» Für ihn gehört die schweizerische Eidgenossenschaft deshalb abgeschafft.

Dürr sagt solche radikalen Sätze, ohne mit der Wimper zu zucken. Er liebt die nonchalante Provokation.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.07.13

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