«Versklavung des Schweizers» – Im Wahlherbst 1935 kämpften die Vaterländischen gegen die Roten

Bei den Wahlen von 1935 führte ein rechtsbürgerliches Komitee das Schreckgespenst einer «Gleichschaltung nach einem bürokratischen Plan» gegen die «Sozi» ins Feld. Argumentation und Wortwahl kommen uns heute bekannt vor.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Bei den Wahlen von 1935 führte ein rechtsbürgerliches Komitee das Schreckgespenst einer «Gleichschaltung nach einem bürokratischen Plan» gegen die «Sozi» ins Feld. Argumentation und Wortwahl kommen uns heute bekannt vor.

Am 25. Oktober 1929 sausten die Kurse an der New Yorker Börse in den Keller. Der Crash an der Wall Street war der Auftakt zu einer schweren Weltwirtschaftskrise, die Millionen arbeitslos machte. Was war zu tun? 

Anders als der britische Ökonom John Maynard Keynes (1883–1946), der sich für staatliche Massnahmen aussprach, begnügte sich die damalige Mainstream-Ökonomie damit, die wirtschaftliche Erholung dem freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen. Dies änderte sich erst nach der Wahl von Franklin Delano Roosevelt zum Präsidenten der USA im Jahr 1932, als im Rahmen des New Deal eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen zum Tragen kamen, welche ins Marktgeschehen eingriffen.

In der Schweiz wollte eine eidgenössische Volksinitiative entsprechende Akzente setzen. Die 1934 mit  Unterstützung des Gewerkschaftsbunds lancierte Kriseninitiative zielte darauf ab, die Einkommen zu stützen und angesichts sinkender Exportzahlen den Inlandkonsum zu stimulieren. Sie wurde allerdings am 2. Juni 1935 von Volk und Ständen deutlich verworfen. 

Die Macht den Werktätigen

Teile der Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) brachten damals auch einen weitergehenden «Plan der Arbeit» ins Spiel. In einer vom Parteitag der SPS am 26./27. Januar 1935 verabschiedeten Resolution heisst es dazu unter anderem: Die Verwirklichung des Plans «setzt die Übernahme der politischen Macht durch das werktätige Volk voraus. Die wirtschaftlichen Kräfte des Landes sind einer einheitlichen Leitung zu unterstellen, die die Produktion und die Massenkaufkraft nach einem umfassenden Plan zu gestalten hat. (…) Dabei sind die demokratischen Rechte und Freiheiten ungeschmälert zu gewährleisten.»

Für ein «Ausserparteiliches Vaterländisches Aktionskomitee» roch das gefährlich «nach pöbelhaftem Umsturz», «Gleichschaltung nach einem bürokratischen ‹Plan›» und «Versklavung des Schweizers». Das Komitee war im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen vom 27. Oktober 1935 gegründet worden und rief dazu auf, «die Stimme nur einer vaterländischen Liste» zu geben und «die besten Männer» für den «Vorstoss in eine bessere vaterländische Zukunft» zu wählen.

Gefährdet sah das Komitee die Schweiz durch wachsende Staatsausgaben, den «Steuervogt», durch «die Verteuerung des Staatsapparates, den man künstlich zu einem Nimmersatt gemacht hat und sogar noch weiter aufblasen will», und nicht zuletzt durch die «Sozi».

«Entfernung aller Schmarotzer»

«Mit Teufelsgewalt» versuchten die Sozialdemokraten, schreibt das Komitee in einem Pamphlet, «aus der Schweiz ein revolutionäres Agitationszentrum» zu machen. «Zu Tausenden haben sich bei uns politische Flüchtlinge angesiedelt, denen im Ausland der Boden zu heiss geworden ist. Rote Agenten, Spitzel und Spione bringen den schweizerischen Genossen bei, wie man ein Volk mit demokratischen Bekenntnissen betrügen und zugleich reif für den Marxismus machen kann.»

Entsprechend nannte das Komitee in seinem Katalog von zwölf Zukunftsaufgaben neben der «Verbilligung der Staatsbetriebe», der «Entfernung aller Schmarotzer aus den öffentlichen Unterstützungsaktionen» und Steuersenkungen auch die «Aufhebung der Spionage-, Hetzer- und Wühlnester und der Gottlosenzentralen».

Durchschlagender Erfolg war dem «Vaterländischen Aktionskomitee» nicht beschieden. Jedenfalls jagte das Schweizervolk – anders als auf der Rückseite des Komitee-Pamphlets mit einem Schlussbild suggeriert – die «Sozi» nicht aus der Schweiz. Und 1943 wählten die eidgenössischen Räte in der Person von Ernst Nobs gar erstmals einen Sozialdemokraten in den Bundesrat.

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