Verwirrspiel um Schweizer Rechtshilfe

Brasiliens Justizminister José Eduardo Cardozo hat angekündigt, Schritte zu unternehmen, um die eingefrorene Kooperation mit der Schweiz im Zusammenhang mit diversen Korruptionsaffären in Brasilien wieder aufzunehmen. Doch hat die Schweiz die Zusammenarbeit wirklich eingestellt? Ein Verwirrspiel.

Der französische Konzern Alstom gerät wegen Korruptionsvorwürfen immer wieder ins Visier der Behörden. (Bild: Keystone/MICHEL LIPCHITZ)

Brasiliens Justizminister José Eduardo Cardozo hat angekündigt, Schritte zu unternehmen, um die eingefrorene Kooperation mit der Schweiz im Zusammenhang mit diversen Korruptionsaffären in Brasilien wieder aufzunehmen. Doch hat die Schweiz die Zusammenarbeit wirklich eingestellt? Ein Verwirrspiel.

Knapp eine Woche ist vergangen, seit die Schweizer Justiz die Zusammenarbeit mit Brasilien im Zusammenhang mit Korruptionsfällen vorübergehend aufgekündigt haben soll. Grund dafür war angeblich der Artikel einer brasilianischen Tageszeitung, die aus den Unterlagen über die Kontobewegungen eines Korruptionsverdächtigten zitiert hatte, ohne dass ein offizielles Verfahren eingeleitet worden wäre. In den Fall verwickelt ist der französische Konzern Alstom, der zwischen 1998 und 2002 ca. 20 Millionen US-Dollar an Behörden und Politiker gezahlt haben soll, um sich Metro- und Kraftwerksaufträge zu sichern.

Die als seriös geltende brasilianische Tageszeitung «O Estado de S. Paulo» hatte in der vergangenen Woche berichtet, dass im neusten Fall Robson Marinho, früherer Kabinettschef der Regierung Mário Covas im Bundesstaat São Paulo und heutiger Berater des staatlichen Rechnungshofes (TCE), Schmiergelder in Höhe von 3 Millionen auf ein Konto beim Credit Lyonnais in Genf erhalten haben soll. Darauf hätten die Schweizer Behörden «jegliche juristische Kooperation mit Brasilien» auf Eis gelegt.

Bern hätte angekündigt, so die Zeitung weiter, dass «der Austausch von Informationen zwischen eidgenössischen und brasilianischen Behörden suspendiert bleibt», bis die Schweizer Justiz eine nachvollziehbare Erklärung über die Veröffentlichung von Ermittlungsergebnissen erhalten habe. 

Eingefroren oder doch nicht?

Die in Rio de Janeiro ansässige Tageszeitung «O Globo» dagegen dementierte, dass die Schweizer die Zusammenarbeit eingestellt hätten. «Die gegenseitige Rechtshilfe bei strafrechtlichen Fragen zwischen der Schweiz und Brasilien wurde nicht ausgesetzt. Dies ist gar nicht möglich, denn es besteht ein Abkommen zwischen beiden Ländern über ‹Rechtshilfe in Strafsachen›. Und nach den Bedingungen dieses Vertrages verpflichten sich die Schweiz und Brasilien zu bestmöglicher gegenseitiger Rechtshilfe in Strafsachen», zitiert das Blatt aus einem Schreiben des Eidgenössischen Justizministeriums.

Auch ein Vertreter der Schweizer Staatsanwaltschaft kommt zu Wort: «Der Generalstaatsanwaltschaft der Schweiz ist nichts bekannt von irgendeiner Entscheidung über eine mögliche Aussetzung der Zusammenarbeit mit den brasilianischen Behörden auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe. Ich bin also nicht in der Lage, die in einer brasilianischen Zeitung verbreiteten Informationen zu bestätigen.»

Auch Brasiliens Justizminister José Eduardo Cardozo erklärte, keinerlei offizielle Stellungnahme zu einer Einstellung der Zusammenarbeit erhalten zu haben. Er selbst habe davon auch nur aus der Presse erfahren. Man arbeite aber daran, dass die Schweiz die Kooperation mit dem brasilianischen Staat fortsetze. «Es erscheint mir nicht korrekt, dass auf einem so wichtigen Gebiet wie der Rechtshilfe in Strafsachen die Zusammenarbeit eingestellt wird», sagt Cardozo. «Für den Fall, dass sich die Position der Schweizer Regierung bestätigt – ich habe darüber keinerlei Mitteilung erhalten –, werden wir alle nötigen Schritte unternehmen, um die Kooperation fortzuführen.»

Die Weitergabe geheimer Daten sei zudem kein exklusives Problem Brasiliens, so der Justizminister weiter – mit Verweis auf den NSA-Skandal in den USA. Derweil untersucht die Generalstaatsanwaltschaft von São Paulo, wie die vertraulichen Daten an die Öffentlichkeit gelangen konnten. Auch strafrechtliche Konsequenzen wurden nicht ausgeschlossen.

Der Fall Maluf

Es wäre nicht das erste Mal, dass das Kooperationsabkommen zwischen Brasilien und der Schweiz, das im Jahr 2005 unterzeichnet wurde, eingefroren würde. Noch vor Inkrafttreten war der Vertrag von der Regierung in Bern auf Eis gelegt worden, nachdem Brasilien von der Schweiz zur Verfügung gestellte Informationen verwendet hatte, um strafrechtlichen Ermittlungen gegen den brasilianischen Abgeordneten Paulo Maluf wegen Steuerhinterziehung zu eröffnen.

Die Vereinbarung sieht vor, dass Kontodaten zwar gemeinsam genutzt werden können, aber nur für Prozesse, bei denen es um Geldwäsche und Korruption geht. Brasilien hatte den Schweizern versichert, in diesem Sinne zu handeln. Doch nachdem die Informationen übermittelt worden waren, wurde das Verfahren wegen Steuerhinterziehung eröffnet. Irritiert davon, nahmen sich die Schweizer zwei Jahre Zeit, um die Vereinbarung zu ratifizieren.

Gegen Maluf ermitteln die brasilianische und US-amerikanische Justiz seit 2004 im Zusammenhang mit Hunderte Millionen US-Dollar schweren Transaktionen von Bankkonten in der Schweiz und New York auf Konten in London und im Steuerparadies New Jersey. Maluf wird die Veruntreuung staatlicher Gelder und Geldwäsche vorgeworfen; vor einer Verurteilung schützte ihn bisher seine Immunität als Abgeordneter.

Der Fall Alstom

Suspendierung hin oder her – die Ermittlungen wegen der Korruptionsvorwürfe gegen Alstom gehen in jedem Fall weiter. Ungefähr zehn Fälle sind von brasilianischen und schweizerischen Behörden bislang gemeinsam bearbeitet worden. Daneben arbeiten Schweizer und Brasilianer auch bei den Untersuchungen im Fall Siemens zusammen. Der deutsche Konzern hatte im Mai vergangenen Jahres brasilianischen Behörden die Existenz eines seit 1998 bestehenden Preiskartells angezeigt, dem unter anderem auch Alstom, die spanische CAF, die kanadische Bombardier und Siemens angehören sollen. Die Unternehmen hätten geheime Verabredungen bei Ausschreibungen zum Bau und Wartung von Zügen und U-Bahnen in São Paulo und der Hauptstadt Brasilia getroffen.

Der französische Alstom-Konzern, derzeit Gegenstand einer Übernahmeschlacht zwischen dem US-amerikanischen Unternehmen General Electric und dem deutschen Siemens-Konzern, soll darüber hinaus ab 1997 mehrere Jahre lang über Briefkastenfirmen Bestechungsgelder an diverse Politiker des Bundesstaates São Paulo gezahlt haben, um den Zuschlag für Aufträge im Bereich U-Bahn-Bau und Energie zu erhalten.

In den Skandal ist allem Anschein nach vor allem die wichtigste Oppositionspartei in Brasilien, die im Bundesstaat São Paulo regierende sozialdemokratische PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira) verwickelt, was dem Fall – zumal im Oktober Präsidentschaftswahlen in Brasilien anstehen – zusätzliche Brisanz verleiht. Die Bundespolizei hat mehrere Ermittlungsverfahren gegen die früheren PSDB-Regierungen von São Paulo, Mário Covas (1995-2001), Geraldo Alckmin (2001-2006), der derzeit zum zweiten Mal als Gouverneur regiert, sowie José Serra (2007-2010), eingeleitet.

Robson Marinho, dessen Fall betreffend nun unter noch ungeklärten Umständen vertrauliche Ermittlungsdaten in der brasilianischen Presse auftauchten, ist eine der Schlüsselfiguren in dem sogenannten Fall Alstom. Die Untersuchungen gegen ihn waren in Gang gekommen, nachdem Schweizer Ermittler in Akten, die im Haus der Sekretärin eines Bankiers in Zürich versteckt waren, Hinweise fanden, die Marinho mit drei Millionen US-Dollar auf Geheimkonten in der Schweiz in Verbindung brachten.

Die brasilianische Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in seiner Tätigkeit als Berater des Rechnungshofes (ab 1997) Gelder von Alstom erhalten zu haben. Die Rede ist von mindestens 2,7 Millionen US-Dollar, die zwischen 1997 und 2005 über die Briefkastenfirma Higgins Finance Ltd. auf den Britischen Jungferninseln an Marinho geflossen sein sollen. Ein Schweizer Bundesgericht in Lausanne hatte Marinho offiziell mit Higgins in Verbindung gebracht.

Konkret geht es um einen Vertrag zwischen Alstom/Cegelec mit dem damals staatlichen brasilianischen Energieunternehmen Eletropaulo/EPTE aus dem Jahr 1998 über die Bereitstellung von Ausrüstung für drei Umspannwerke im Bundesstaat São Paulo, auch als Projekt Gisel bezeichnet. Marinho hatte damals eine positive Stellungnahme zu dem Deal abgegeben. «Ich habe nie einen Cent, nicht einen Dollar von Alstom erhalten», erklärte der Beschuldigte dagegen Mitte Mai.

Irritationen bei den Schweizern

Die Eidgenossen hatten den brasilianischen Behörden alle Akten über Marinho zur Verfügung gestellt. Und erst im März hatte ein Strafgericht in Bellinzona einen Antrag der Verteidiger Marinhos abgelehnt, mit dem diese versucht hatten, die Überstellung von Kontoauszügen zu verhindern. Die Zusammenarbeit, so schien es, funktionierte auf beiden Seiten bestens.

Umso überraschter – und daher rührt die Verstimmung, die bis hin zu Gerüchten über eine Suspendierung der Zusammenarbeit führte – reagierten die Schweizer Behörden, als die Namen mutmasslich Verdächtiger im Fall Alstom sowie als vertraulich geltende Informationen und Dokumente, darunter die Urkunde über die Eröffnung eines Konto im Namen von Higgins Finance Ltd. bei der Crédit Lyonnais in Genf, in der brasilianischen Presse auftauchten.

Update vom 11. Juni:

Die Schweizer Behörden dementieren die ganze Angelegenheit: «Es trifft nicht zu, dass die Schweizer Behörden die Zusammenarbeit mit Brasilien auf Eis gelegt haben. Ich weise Sie darauf hin, dass Schweiz und Brasilien durch den bilateralen Rechtshilfevertrag verbunden sind, der beide Vertragsparteien zur Rechtshilfe verpflichtet», schreibt Folco Gallo, Informationschef im Bundesamt für Justiz auf Nachfrage.

Nächster Artikel