Verzweifelt gesucht: Griechisches  Schwarzgeld in der Schweiz

Griechische Superreiche sollen mehrere Hundert Milliarden Euro auf Schweizer Bankkonten versteckt haben. Einen Teil dieses Geldes will die griechische Regierung nun via Steuerabkommen mit der Schweiz zurückholen.

Griechenlands überforderte Finanzbürokratie – Blick ins Steueramt von Piräus. (Bild: Eirini Vourloumis /Polaris/Dukas)

Griechische Superreiche sollen mehrere Hundert Milliarden Euro auf Schweizer Bankkonten versteckt haben. Einen Teil dieses Geldes will die griechische Regierung nun via Steuerabkommen mit der Schweiz zurückholen.

Für den griechischen Finanzminister Evangelos Venizelos klingt es fast zu schön, um wahr zu sein: Reiche Griechen sollen in der Schweiz über 200 Milliarden Euro geparkt haben, glaubt die griechische Presse zu wissen – also viel mehr Geld als die Jahreswirtschaftsleistung des Landes oder die gesamten Spareinlagen griechischer Banken. Es wäre ein Geldsegen für Venizelos, wenn er diese hübsche Summe besteuern dürfte – vorausgesetzt natürlich, es handelt sich tatsächlich um nicht deklariertes Geld.

Zu diesem Zweck führt das Athener Finanzministerium derzeit Gespräche über ein Abgeltungsabkommen mit der Schweiz. Da Venizelos ein Mann der grossen Worte ist, dem Ambitionen auf den Parteivorsitz der mitregierenden Sozialisten nachgesagt werden, spart er nicht mit Selbstlob. «Das Steuerabkommen mit der Schweiz ist eine Frage von wenigen Tagen», erklärte er Mitte Dezember an einer Pressekonferenz. «Generationen von Griechen fragten sich, wer alles Geld in der Schweiz ­hortet, und heute, in meiner Amtszeit, wird endlich ein Steuerabkommen mit der Schweiz unterzeichnet, das Klarheit in dieser Hinsicht bringt.»

Doch so schnell schiessen die Schweizer nicht. Insider glauben, dass es noch Monate dauern wird, bis das Abkommen über eine Abgeltungssteuer unter Dach und Fach ist. Aber immerhin: Seit dem 2. Januar ist ein bilaterales Dop­pelbesteuerungs­abkommen in Kraft – aus griechischer Sicht ein historisches Dokument, das erstmals eine Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch in Steuerhinterziehungsfragen liefert. Demgemäss müsste die Schweiz ab sofort Amtshilfe leisten und auf Anfrage Namen, Adressen und Steuernummern von Bankkunden weiterleiten, heisst es hoffnungsvoll in Athen.

Doch der renommierte Wirtschafts­publizist Thanassis Mavridis sieht das anders: «Herr Venizelos glaubt doch nicht im Ernst, dass irgendjemand Schwarzgeld in der Schweiz auf einem Privatkonto unter seinem eigenen Namen hortet oder dass Schwarzgeld in die Schweiz per Banküberweisung transferiert wird. Ich verstehe zwar, dass die Regierung durch diese Debatte versucht, ihr soziales Profil zu schärfen zu einer Zeit, in der Kleinverdiener die Hauptlast der Einsparungen tragen müssen, aber ich bin mir sicher, dass die meisten Einlagen griechischer Bürger in der Schweiz völlig legal sind.»

Hoffen auf Berner Geldsegen

Andererseits: Da der Umfang der Schattenwirtschaft in Griechenland auf über 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts geschätzt wird, liegt zumindest die Vermutung nahe, dass ein nicht unerheblicher Teil der Schweizer Bankeinlagen aus Steuerhinterziehungen stammt. Wie die Athener Wochenzeitung «Real News» berichtet, geht der Finanzminister von einer Mindestsumme von 30 Milliarden Euro aus und verhandelt mit Bern sogar über eine Steuervorauszahlung von etwa 10 Prozent. Im Idealfall hiesse dies, dass Griechenland mit einer Geldspritze in Höhe von rund 3 Milliarden Euro aus der Schweiz rechnen kann.

Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg gelten Schweizer Banken auch in Griechenland als sichere Kapitalhäfen und locken alle möglichen Kunden an: Reederfamilien, die ihr Vermögen langfristig anlegen; Tycoons, die staatliche Investitionskredite zweckentfremden und das Geld ins Ausland schaffen; Auslandsgriechen, die zu Ruhm und Geld kamen; frustrierte Unternehmer, die es nicht mehr ertragen, dass die griechische Regierung das Steuerrecht nahezu jedes Jahr ändert – und natürlich Steuerflüchtlinge.

Sollen nun all diese Leute über einen Kamm geschert werden? Eine endgültige Antwort dazu gibt es aus Athen nicht. Nach dem heutigen Stand der Dinge geraten vor allem griechische Staatsangehörige ins Visier, die ihren Erstwohnsitz in der Heimat haben, dort steuerlich belangt werden und in den vergangenen zehn Jahren Geld in der Schweiz anlegten.

Nach Inkrafttreten eines Abgeltungs-abkommens mit Bern werden diese Leute zwei Möglichkeiten haben: Entweder sie melden aus eigener Initiative ihre Schweizer Einlagen beim Finanzamt und müssen mit einer Steuer­prüfung und Pauschalsteuern von 45 Prozent rechnen – oder sie bleiben unerkannt und zahlen eine einmalige Strafsteuer in Höhe von 20 Prozent ihres Gesamtkapitals plus 7 Prozent Quellensteuer für alle künftigen Kapitaleinkünfte. Diese Steuer­erträge ­würden dann von der Schweiz auf anonymer Basis dem griechi­schen Finanzminis-terium überwiesen.

Noch ist unklar, ob Offshore-Gesellschaften besteuert werden, die ihren Sitz ausserhalb der Schweiz haben. Vor allem dort vermutet man Schwarzgeldbewegungen, die aber aus juristischen Gründen kaum zurückverfolgt werden können. Und überhaupt ist es fraglich, ob es sich noch lohnt, nicht deklariertes Geld in die Schweiz zu schaffen. Schliesslich eröffnen sich heute ganz andere Möglichkeiten für Anleger, die es mit der Steuermoral nicht so genau nehmen: Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds sind ab 2010 mehrere Hundert Millionen Euro aus Griechenland in Richtung Jersey, Hongkong und Grand-Cayman-Inseln geflossen.

Als Steueroase ausgedient

Die konservative griechische Tages­zeitung «Eleftheros Typos» berichtet, seit Ende 2009 hätten griechische Anleger mehr als 30 Milliarden Euro ins Ausland geschafft, davon sei weniger als eine Million in die Schweiz gekommen. Auch Singapur sei mittlerweile eine beliebte Steueroase: Es sei davon auszugehen, dass griechische Anleger in jüngster Zeit sehr viel Geld aus der Schweiz ­direkt nach Singapur überwiesen hätten.

Der griechische EU-Korrespondent Giorgos Daratos sieht noch ein weiteres Problem: «Die Europäische Kommis­sion erklärte unmissverständlich, sie werde gegen alle Mitgliedstaaten gerichtlich vorgehen, die ein bilaterales Steuerabkommen mit der Schweiz ­unterzeichnet haben oder über ein solches verhandeln. Sie ist nämlich der Auffassung, dass dadurch ihre eigenen Bemühungen bezüglich eines automatischen Informationsaustauschs in Steuerfragen zwischen der Schweiz und der EU konterkariert werden.»
Als Verfassungsrechtler ist sich Finanzminister Venizelos dieses Problems offenbar bewusst. Die Regierung sei in Kontakt mit der EU-Kommission und «hat ihren Standpunkt vorgetragen, dass unter den heutigen Umständen ein bilaterales Abgeltungsabkommen dringend erforderlich sei», erklärte er Ende November.

Interview sorgt für Empörung

Kurz davor hatte in Griechenland ein Interview des griechischstämmigen Schweizer Politikers Josef Zisyadis mit dem Fernsehsender «Mega Channel» für Aufregung gesorgt. Vor der Kamera ­kritisierte der ehemalige Schweizer ­Nationalrat der Partei der Arbeit die ­angebliche Trägheit der griechischen Regierung beim Aushandeln des ­Steuerabkommens mit der Schweiz und behauptete, dass «die meisten ­Abgeordneten der konservativen, aber auch der sozialistischen Partei» selbst Vermögen auf schweizerischen Bankkonten horten würden.

Allein der Verdacht, dass ihre Volksvertreter Geld ins Ausland bringen, während sie selbst unter den Sparmassnahmen stöhnen, sorgte für einen Sturm der Empörung unter griechischen Bürgern. Parlamentspräsident Philippos Petsalnikos sah sich veranlasst, Zisyadis nach Athen einzuladen, damit dieser vor einem Kontrollausschuss des Parlaments aussage. Zisyadis erteilte den Athener Politikern ­allerdings eine höfliche Absage via ­Facebook. Dennoch hatte sein Fernsehinterview einiges bewirkt: Vor wenigen Tagen haben erstmals alle griechischen Volksvertreter ihr Vermögen im Internet offengelegt.

Und was hat es mit den angeblichen Spareinlagen griechischer Politiker in der Alpenrepublik auf sich? Mitte November hatte der Vorsitzende des zuständigen Kontrollausschusses im ­Par­lament, Evangelos Argyris, in ­einem Dringlichkeitsschreiben die zustän­di­gen Be­hörden aufgefordert, Informa­tionen offenzulegen, die aufzeigen, welche Abgeordneten Ver­mögen im Ausland und insbeson­dere in der Schweiz besitzen. Kein einziger Volksvertreter habe ein Bankkonto in der Schweiz, liess der Kontroll­ausschuss schliesslich Ende De­zem­­ber offiziell mitteilen. Eine Antwort, die in Griechenland niemanden überraschte.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 06/01/12

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