Verzweifelte Suche nach Kandidaten

Wenn am 11. März im Baselbiet neue Gemeinderäte gewählt werden, zittern vor allem die kleinen Dörfer. Sie haben Mühe, überhaupt Kandidaten zu finden – im Extremfall droht die Zwangsverwaltung durch den Kanton.

Kleine, ländliche Gemeinden haben oft Schwierigkeiten, ihre Räte zu besetzen. (Symbolbild)

Wenn am 11. März im Baselbiet neue Gemeinderäte gewählt werden, zittern vor allem die kleinen Dörfer. Sie haben Mühe, überhaupt Kandidaten zu finden – im Extremfall droht die Zwangsverwaltung durch den Kanton.

Zwangsverwaltung. Das düstere Wort hängt unweigerlich in der Luft, wenn im Baselbiet die Wahlen der Gemeinde-Exekutive anstehen. Die kleinen Gemeinden mit ein paar hundert Einwohnern haben zunehmend Mühe, ihre Räte zu besetzen, finden kaum willige Kandidaten, die ihre kostbare Freizeit für das Amt hergeben möchten. Von einem Milizsystem in der Krise wird zwar schon seit einigen Jahren gesprochen, dennoch kommt es selten soweit, dass die ultima ratio der Zwangsverwaltung zum Zug kommt.

Zuvor können ein zweiter Wahlgang, mit relativem Mehr anstatt dem absoluten, und wenn nötig gleich noch einmal zwei Wahlgänge durchgeführt werden. «Die Erfahrung zeigt, dass die Gemeinden immer wieder Leute finden, die die Ämter übernehmen», erklärt Daniel Schwörer, Leiter Fachstelle Gemeinden der Baselbieter Finanzdirektion. Wenn nötig sind das auch Kandidaten, die sich gar nicht zur Wahl stellen – wie zuletzt in Kilchberg, wo Markus Lüdi unverhofft ins Amt gehoben wurde, und nach einem halben Jahr auch gleich wieder die Segel streicht.

Letztes «Opfer» Hersberg

Im Baselbiet wurde zum letzten Mal das idyllische Dörfchen Hersberg (320 Einwohner) ab September 2008 für ein Jahr zwangsverwaltet. Alt-Regierungsrat Erich Straumann (SVP) wurde als Verwalter eingesetzt und hat aufgeräumt: «Unsere nachgängige Analyse hat gezeigt, dass die Gemeindeverwaltung als solche technische und qualitative Probleme hatte», sagt Schwörer zum Fall Hersberg. Mit Straumann wurden diese Probleme geregelt, jetzt bildet das Dorf eine Verwaltungsgemeinschaft mit Arisdorf – «das läuft sehr gut», so Schwörer.

Die Zwangsverwaltung durch den Kanton ist also nicht unbedingt die grösste Angst der kleinen Gemeinden, obwohl sie diese einiges kosten würde. Dennoch wird deutlich, dass das Milizsystem, das von den Einwohnern viel unentgeltliches Engagement und Aufopferung verlangt, in der Krise steckt. «Die Gemeinderäte sind mit immer komplizierteren Verfahren konfrontiert und einem Rechtsschutz, der über die letzten 50 Jahre ausgebaut wurde», begründet Schwörer das Problem. «Die Handlungen der Exekutive müssen absolut wasserdicht sein.»

Ein CEO für Gemeinden?

Auch Ulrich König, Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands, sieht diese Probleme und will handeln. An einer Tagung im vergangenen November wurden deshalb Massnahmen diskutiert, wie das Milizsystem als Garant für grundsätzliche, demokratische Rechte wieder gestärkt werden kann. «Einerseits gilt es, die Verwaltungen zu stärken, indem eine klarere Trennung zwischen der operativen und der strategischen Gemeindeführung vollzogen wird», sagt König. So könne sich ein Gemeinderat nur noch auf die Strategie fokussieren.

Ein weiterer Vorschlag wäre es, das operative Geschäft zu professionalisieren, zum Beispiel mit einem «CEO-Modell» wie es im Kanton Luzern eingeführt wurde. «Dort haben eine oder mehrere Gemeinden einen Geschäftsführer mit einem Leistungsauftrag, der diese Aufgaben übernimmt», erklärt König.

Diese Stärkung hat jedoch auch ihren Preis, warnt Schwörer: «Wenn die Einwohner einer Gemeinde die Verwaltung aufstocken und so die Miliz entlasten wollen, müssen sie der Kostenwahrheit ins Auge sehen.» Bürger müssten mit der Zeit tiefer ins Portemonnaie greifen, damit sie eine funktionierende Verwaltung und eine funktionierende Demokratie erhalten würden, sagt Schwörer.

Historisch gewachsene Krise

Herbert Ammann, Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), stellt im historischen Rückblick vor allem vier Tendenzen fest, wodurch die Bereitschaft, Milizarbeit zu leisten, abgenommen hat. Erstens: «Der Wandel vom Agrar- zum Industriestaat nach dem Zweiten Weltkrieg, der mit dem Erfolg der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokraten einherging.»

Zweitens: «Die schleichend steigenden Entschädigungen von Regierungen und Parlamenten, obwohl diese nach wie vor von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich sind.» Während zum Beispiel ein Genfer Kantonsparlamentarier im Rahmen eines 30 bis 50-prozentigen Mandats entlöhnt werde, erhalte ein Parlamentarier im Kanton Appenzell-Innerrhoden höchstens eine mittlere Spesenentschädigung. Drittens sieht Ammann die moderne Frauenbewegung als Ursache, wodurch auch Frauen vermehrt auf das Recht zu pochen begannen, für Amtstätigkeiten angemessen entlöhnt zu werden. Eine letzte, globalere Tendenz macht Ammann in der Tatsache fest, dass «der Staat seit dem Zweiten Weltkrieg auf allen Ebenen über mehr Mittel verfügte und so nicht mehr auf Fronarbeit zurückgreifen musste.»

Zwischen Optimismus und Verzweiflung

Trotz diesen historisch gewachsenen Tendenzen bleibt er aber optimistisch, was die Zukunft des Milizsystems angeht: «Ich glaube, dass dem Abschwung eine Renaissance folgen wird. Denn der Staat kann, selbst wenn er Steuererhöhungen mitdenkt, nicht mehr alle Anforderungen prestieren, beziehungsweise als entlöhnte Leistungen anbieten. Die Bevölkerung wird sich kreativ mit künftigen Sachzwängen auseinandersetzen und Lösungen finden.»

Bis diese erhoffte Renaissance eintrifft, wird es wohl noch einige Zeit dauern. Im Baselbiet stehen aber bereits dieses Wochenende Wahlen an und viele kleine Gemeinden sind noch immer verzweifelt auf Kandidatensuche: Im Bezirk Arlesheim gibt es in allen Gemeinden mehr Kandidaten als Rücktritte. Im Bezirk Sissach haben vier Gemeinden noch nicht genügend oder keine Kandidaten für Abtretende, die anderen entweder gerade genug Ersatzkandidaten oder mehr Kandidaten als freiwerdende Sitze. Und eine Skurrilität aus Kilchberg: Dort kandidiert der Ehemann einer bisherigen Gemeinderätin ebenfalls, da sie sonst nicht genügend Kandidaten haben.

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