Viel Staat im Grossen Rat

Ein Drittel der Grossräte arbeitet beim Staat – und hat Privilegien, von denen andere Parlamentarier nur träumen können.

Im Grossen Rat gibts viele Staatsangestellte, viele Selbstständige – aber keine Büezer. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Ein Drittel der Grossräte arbeitet beim Staat – und hat Privilegien, von denen andere Parlamentarier nur träumen können.

Was hat er sich gefreut! Es ist ja nicht selbstverständlich, dass der Chef einen unterstützt, wenn man nebst seinem Job ein öffentliches Amt ausübt – und dieses erst noch sehr viel Zeit beansprucht. Aber es kommt vor, wie der scheidende Grossratspräsident Daniel Goepfert (SP) in seiner Abschiedsrede vergangene Woche betonte: «Ich danke Erziehungsdirektor Christoph Eymann, er hat mir auf grosszügige Weise den Rücken freigehalten», sagte Goepfert, der sich nebst seinem normalen Grossratsmandat bald wieder mehr seinen Aufgaben als Lehrer zuwenden kann.

Rund ein Drittel der hundert ­amtierenden Grossräte arbeitet wie Goepfert beim Staat, ein Grossteil ­davon im Bildungsbereich. Die staatsangestellten Grossräte profitieren von Vorteilen, von denen Beschäftigte in der Privatwirtschaft oft nur träumen können: Zusätzlich zu ihren Ferien können sie bis zu 20 bezahlte Ferien­tage beziehen. Die parlamentarische Entschädigung von etwa 10 000 Franken im Jahr können sie – bis auf den Anteil, der an die Partei geht – behalten. In Zürich geht es strenger zu: Dort muss ein Kantonsrat einen Teil seiner Einkünfte dem staatlichen Arbeitgeber abgeben, wenn dies verlangt wird.

Wollen ja, können nein

Anfang Februar übernimmt Conradin Cramer (LDP) von Goepfert das Präsidentenamt. Neben der politischen Arbeit beinhaltet das Amt die Teilnahme an unzähligen Anlässen. In der Kanzlei Vischer wird man ­öfters auf Cramer verzichten müssen. Aber die Kanzlei hat Erfahrung mit politisch aktiven Mitarbeitern, und so sind die Kollegen darauf vorbereitet, dass Cramer im Präsidialjahr weniger Mandate betreuen wird als üblich. Eine weitere Folge der «Doppelbelastung» nimmt Cramer in Kauf, solange es dem Milizsystem dient: «Das Grossratsamt ist für Anwälte in einer Kanzlei wohl immer mit einem Verdienstausfall verbunden.»

So geht es auch Vertretern anderer Berufe. Trotzdem wünscht sich Cramer, im Grossen Rat wären Leute aus allen Sparten anzutreffen. «Aber leider ist ein solches Mandat im modernen Wirtschaftsleben nicht immer einfach mit dem Beruf zu kombinieren.»

Manchmal liegt es sogar schlicht nicht drin, wie Unternehmer Peter Winiker sagt: «Ich habe mich vor acht Jahren nur auf die FDP-Liste setzen lassen, weil ich wusste, dass ich nicht gewählt werde.» Sein Geschäft und das Amt hätte er nicht unter einen Hut bringen können. Inzwischen ist er als Präsident der IG Kleinbasel bekannt und hätte gute Chancen, gewählt zu werden – weshalb er sich im Herbst gar nicht erst auf die Liste setzen liess. Vielen geht es wie Peter Winiker: Sie würden gern, können aber nicht.

Ständiger Eiertanz

Im Unterschied zu einem Angestellten muss ein Unternehmer selber dafür sorgen, dass er Job und Mandat aneinander vorbei bringt. Dazu ist über ein Viertel der Grossräte bereit: Die Selbstständigen machen nach den Staatsangestellten den grössten Teil der Parlamentarier aus. Doch viele stossen dabei an ihre Grenzen. Arzt Thomas Mall (LDP) sass 28 Jahre im Grossen Rat. Als er anfing, arbeitete er im Kantonsspital. «Da konnte ich noch sagen: ­Morgen komme ich nicht, das war in ­Ordnung.» Als er eine eigene Praxis eröffnete, ging das nicht mehr so einfach. «Es war ein ständiger Eiertanz, manchmal hätte ich an zwei Orten gleichzeitig sein müssen.»

Die Leidenschaft für die Politik aber habe ihm geholfen, es Patienten und Politikern recht zu machen. Verzichten musste Mall dennoch: «Das Amt des Grossratspräsidenten wäre ein zu gros­ser Aufwand gewesen.» Für einfache Angestellte hingegen wäre oft auch schon das normale Grossratsmandat zu viel: Der klassische Büezer ist im ­jetzigen Parlament nicht vertreten. Die meisten privat Angestellten arbeiten in leitender Position oder haben sonst ­einen «guten Job».

Bei Arbeitgebern unbeliebt

Zwar sieht das Obligationenrecht vor, dass der Arbeitgeber einem Mitarbeiter, der ein öffentliches Amt ausübt, für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten hat. Doch was ist eine «beschränkte Zeit»?

Zudem steht im Gesetz: «Eine namhafte Entschädigung kann unter Umständen mit dem Lohn verrechnet werden.» Was ist «namhaft»? Mit solchen ­Aus­legungsproblemen müssen sich ­Arbeitnehmer privater Firmen herumschlagen, sofern der Chef überhaupt ­jemanden beschäftigen will, der ein ­öffentliches Amt ausübt.

Grossrätin Beatriz Greuter hatte Glück: Sie wurde trotz Mandat in einer Privatklinik angestellt. Allerdings mit der Auflage, dass sie ihre Arbeit ­nachholen muss, wenn sie wegen Sitzungen ausfällt. Als sie noch Vize-Präsidentin der SP war, erhielt sie manche Stellen nicht. «Ich weiss nicht, ob es an den Ämtern lag, schlies­se es aber nicht aus», sagt sie. Hätte sie sich beim Staat beworben, hätte das alles keine Rolle spielen dürfen: Der Staat darf niemanden ablehnen, nur weil er politisch tätig ist.

Platz 3: Rentner

Von den rund 159 000 Erwerbs­tätigen, die in Basel-Stadt arbeiten, war 2011 fast jeder Zehnte beim Staat ­angestellt. Um die Berufstätigen aus allen Branchen korrekt zu ­repräsentieren, müssten im Grossen Rat also knapp zehn Staats­angestellte sitzen – und nicht über 30. Für Bald-Grossrats­präsident Conradin Cramer ist es daher wichtig, dass das zunehmend zeit­aufwen­dige Mandat eines Grossrats miliztauglich bleibt. «Nur wenn sich der Grosse Rat auf das Wesentliche konzentriert und die Belastung durch Sitzungen nicht weiter zunimmt, wird es gelingen, genügend Leute zu gewinnen, die im Berufs- oder Familienleben eingespannt sind», sagt er.

Die Realität sieht anders aus: Auf Platz drei hinter den Staatsangestellten und den selbstständigen Unternehmern ist derzeit die Gruppe der Pensionierten und Nichterwerbstätigen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25.01.13

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