Immer mehr Staaten auf der Balkan-Route machen ihre Grenzen dicht. Leidtragende sind die Flüchtlinge: Viele kehren erschöpft oder sogar verletzt nach Athen zurück.
Erschöpft steht eine Gruppe somalischer Frauen vor der ehemaligen olympischen Sportanlage im Athener Stadtteil Elliniko, die als provisorisches Aufnahmelager für Flüchtlinge dient. Vor ein paar Tagen sind die Frauen von der griechisch-mazedonischen Grenze nach Athen zurückgekehrt.
Fünf Tage lang sind sie gelaufen, erzählt eine 20-jährige Somalierin. Sie haben Berge und Flüsse überquert, bis die Polizei sie kurz vor der mazedonisch-serbischen Grenze aufgriff. «Es ist furchtbar für uns. Wir sind auf Schlepper angewiesen, um diesen riskanten Weg zu gehen. Die Menschen erleiden sehr viel. Manche haben sich dabei ihre Beine gebrochen», erzählt sie.
Neben der Somalierin, die ihren Namen nicht nennen will, steht eine Frau mit Krücken. Sie wurde verletzt, als sie ein Schlepper bei der Überquerung eines Flusses gewaltsam an das andere Ufer gezogen hatte. Das Schleppergeschäft hat wieder Aufwind, weil Mazedonien seit November nur noch asylberechtigte Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, Irak und Afghanistan durchlässt.
Trinkwasser aus der Toilette
Immer mehr Flüchtlinge aus den anderen Ländern kehren notgedrungen ins ohnehin mit der Situation überforderte Griechenland zurück. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (ΙΟΜ) sind seit Anfang des Jahres bereits mehr als 30’000 Flüchtlinge und Migranten in Griechenland angekommen, das sind 21 Mal mehr als im gesamten Januar 2015.
Die Situation wird sich noch verschärfen: Für die Grenzkontrollen in Mazedonien sind seit Kurzem auch Beamte aus anderen Balkanländern im Einsatz. Österreichische Soldaten unterstützen seit Mittwoch die Polizei am wichtigsten Grenzübergang nach Slowenien, um einreisende Flüchtlinge strenger zu kontrollieren. Von Dienstag bis Donnerstagvormittag war die griechisch-mazedonische Grenze komplett geschlossen. Jetzt dürfen nur noch Menschen durch, deren Ziel Österreich oder Deutschland ist. In Griechenland fürchtet man, dass bald die Grenzen für alle Flüchtlinge geschlossen werden.
Noch zum Jahresende warnte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen davor, Schutzsuchende nach Griechenland zurückzuschicken.
Die somalischen Frauen wollen so schnell wie möglich weg aus dem Aufnahmelager. Das Essen sei nicht gut, und Wasser müssten sie sogar aus der Toilette trinken, erzählt die junge Frau. An die Möglichkeit, einen Asylantrag in Griechenland zu stellen, denkt sie nicht einmal.
Wegen des Personalmangels müssen die Menschen ihre Asylanträge bei der einst hochgelobten neuen Asylbehörde in Athen fast ausschliesslich per Skype stellen. Auch die geplanten Hotspots auf den griechischen Inseln, an denen sie schnell registriert werden sollten, sind bis auf den auf Lesbos noch immer nicht einsatzbereit. Für Asylbewerber gibt es zurzeit nicht mehr als 1150 Unterbringungsplätze im ganzen Land.
Noch zum Jahresende warnte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR davor, Schutzsuchende nach Griechenland zurückzuschicken. Unter anderem wegen der mangelnden Strukturen und der Probleme beim Zugang zur Asylbehörde, aber auch wegen Menschenrechtsverletzungen und rassistischer Gewalt.
Rippen- und Beinbrüche
Trotzdem wollen sich viele Flüchtlinge weiter über die Balkanroute in Richtung Nordeuropa durchkämpfen. So auch J., ein 36-jähriger Ugander, der bei seinem dritten Versuch, die Grenze zu überqueren, von mazedonischen Polizisten zusammengeschlagen wurde und nun wieder in Athen ist. Er sieht keine andere Möglichkeit, als Griechenland wieder zu verlassen. «Es ist sehr schwierig, an einem Ort zu bleiben, an dem du weder Unterstützung noch Arbeit bekommst.»
Der Arzt Vangelis Tsilis von der Organisation «Praksis» hat in den vergangenen zwei Monaten Flüchtlinge und Migranten behandelt, die teilweise schwer verletzt von der Grenze nach Athen zurückkamen. «Ich habe Menschen mit gebrochenen Rippen gesehen, die trotzdem sagten, dass sie gleich wieder an die Grenze fahren werden.»
Die Organisation «Ärzte der Welt» haben im griechischen Grenzort Idomeni in den vergangenen zehn Dezembertagen 151 Verletzungen registriert, wobei 94 von ihnen durch Gewalt verursacht worden sind. Im Zeitraum vom 4. bis zum 12. Januar haben Sozialarbeiter 112 Aussagen über Verletzungen durch äusserlichen Gewalteinfluss registriert.
Ehrenamtliche Helfer in Idomeni haben schockierende Aussagen von Schutzsuchenden gesammelt, die nach Griechenland abgeschoben wurden. Unter anderem wird über Organhandel und Schüsse berichtet. «Auf dieser Route sterben Menschen an Hunger, Kälte, durch kriminelle Übergriffe – und keiner spricht davon», sagt eine 45-jährige Frau aus Uganda, die eine Woche lang von Idomeni aus bis an die mazedonisch-serbische Grenze gelaufen ist. Auch sie sitzt jetzt wieder in Athen fest.