Vom Papst zum einfachen Pilger

Am letzten Tag seines Pontifikats erlebt Benedikt XVI. noch einmal Bürde und Bürokratie seines Amtes. Aber es fliessen auch Tränen. Seinem Nachfolger auf dem Stuhl Petri gelobt er absoluten Gehorsam.

In this photo provided by the Vatican newspaper L'Osservatore Romano, Pope Benedict XVI delivers his message on the occasion of his farewell meeting to cardinals, at the Vatican, Thursday, Feb. 28, 2013. Benedict XVI promised his "unconditional reverence (Bild: Keystone)

Am letzten Tag seines Pontifikats erlebt Benedikt XVI. noch einmal Bürde und Bürokratie seines Amtes. Aber es fliessen auch Tränen. Seinem Nachfolger auf dem Stuhl Petri gelobt er absoluten Gehorsam.

Vatikan, Rom, 5.30 Uhr. Der letzte Tag des Pontifikats beginnt mit einem guten Stück Routine. An diesem letzten Februartag des Jahres 2013 wird der Papst wie immer um halb sechs Uhr geweckt. Ausschlafen, das wird es auch in Zukunft nicht geben. Seit seinen Tagen als Seminarist erlebt Joseph Ratzinger (85) morgens das Zwitschern der Vögel. Benedikt XVI. hat wie jeden Tag der vergangenen acht Jahre sein Gewand als Pontifex übergestreift. Dann hat sich Joseph Ratzinger ein letztes Mal mit einer Tasse Kaffee in die Anticamera Segreta zurück gezogen, die eigens zu Beginn seines Pontifikats für ihn eingerichtete Privatbibliothek im päpstlichen Appartamento. Nur eine knappe Stunde konnte Ratzinger normalerweise in seinen Büchern blättern, diese Momente der Ruhe und des Studiums sollen für ihn die kostbarsten gewesen sein. Ab sofort werden diese Augenblicke wieder Normalität, der emeritierte Papst darf endlich wieder Professor sein.

Feier in der Privatkapelle

Um halb sieben hat sich Benedikt XVI. ein letztes Mal als Papst das weisse Pileolum aufs Haupt gesetzt. Anschliessend wurden Matutin und Laudes gebetet, bevor er um 7 Uhr die Messe in der päpstlichen Privatkapelle feierte. Dort waren wie immer auch die beiden Sekretäre, Erzbischof Georg Gänswein und der Malteser Alfred Xuereb, sowie seine vier Haushälterinnen zugegen. Sie nennen sich «Memores Domini» und gehören der Gemeinschaft Comunione e Liberazione an. Die vier Memores werden Benedikt nach Castel Gandolfo und später auch in das Vatikankloster Mater Ecclesiae begleiten.

Sein letztes Frühstück im Apostolischen Palast hat Joseph Ratzinger um 8 Uhr eingenommen. Serviert wurde es nicht wie viele Jahre vom untreu gewordenen Kammerdiener Paolo Gabriele, sondern vom neuen Majordomus Sandro Mariotti, genannt Sandrone. Auch Sandrone wird um 17 Uhr den Helikopter besteigen, der die päpstliche Familie nach Castel Gandolfo fliegt. Wie jeden Morgen gab es die Kost, die man aus einfachen Pilgerherbergen in Rom kennt: italienischen Caffè, Milch, ungesalzenes Brot, Butter, Honig und Marmelade. Die Marmelade wird der emeritierte Papst wohl auch in Zukunft geniessen. Sie wird aus den Früchten des Gartens im Vatikan-Kloser Mater Ecclesiae, Benedikts zukünftiger Bleibe, hergestellt.

Noch zwei letzte Beförderungen

Benedikt hat sich wie jeden Morgen in sein Arbeitszimmer zurück gezogen, seine Brille aufgesetzt und die Dokumente gelesen, die ihm die Privatsekretäre vorbereitet haben. Dort hat der Papst auch seine letzten Amtsakte erfüllt. Mit seiner krakeligen, schwer zu entziffernden Handschrift, setzte er die letzten Unterschriften. «Benedikt XVI.», schreibt er noch einmal unter die beiden letzten Nominierungen seines Pontifikats. Jetzt sind die oft mühsamen Routinehandlungen historische Akte. Die beiden sind hierzulande Unbekannte, aber der Papst hat vor seinem Rücktritt Samuel Jofré zum Bischof von Villa Marìa in Argentinien ernannt und Monsignor Joseph Dinh Duc Dao zum Auxiliarbischof in Viet-Nam. Dann erledigt Benedikt die letzte Korrespondenz, vielleicht telefoniert er noch einmal und feilt an seinem Grusswort an die Kardinäle.

Wie immer hat Benedikt auch einen Blick in die Zeitungen geworfen. Besonders am Herzen lag ihm die Karikatur auf Seite 1 des Corriere della Sera. Sie zeigt an diesem Tag den Papst, wie er mitsamt seinen Aktentaschen auf dem Motorrad vom Petersplatz braust. «Motu Proprio», lautet die Überschrift. So nennen sich die päpstlichen Erlasse, die lateinische Worte bedeuten: aus eigenem Antrieb.

Ein heisser Anwärter auf die Nachfolge

144 Kardinäle, Dutzende Bischöfe, Präfekte der Kongregationen und hohe Kurienmitarbeiter warten in der Sala Clementina im Apostolischen Palast auf ihren persönlichen Abschied vom Papst. Kardinaldekan Angelo Sodano, der das Vorkonklave, also die informellen Beratungsgespräche des Kollegiums leiten wird, hat die Kardinäle zuvor auf den Beginn der Beratungen hingewiesen und gebeten, dass sie sich ab kommender Woche bereit halten sollen.

Unter den Kardinälen ist auch Erzbischof Oscar Rodriguez Maradiaga aus Honduras. Er wolle alles tun, um bei dieser Verabschiedung dabei zu sein, hatte der Kardinal noch aus seiner Heimat wissen lassen. «Ich hoffe, Iberia streikt nicht», schrieb er per E-Mail vor der Abreise nach Rom. Iberia hat offenbar nicht gestreikt, möglicherweise ist das keine unwichtige Fussnote für die Christenheit. Der hochgebildete und charismatische Maradiaga (70) gilt als heisser Kandidat für die Nachfolge Benedikts.

Ein Kollegium «wie ein Orchester»

Der Papst hat jetzt den Lift aus seiner Wohnung im dritten Stock des Apostolischen Palasts zusammen mit Erzbischof Gänswein betreten und ist in den zweiten Stock hinunter gefahren. Im warmen, roten von Hermelinfell gesäumten Mantel hat er den Saal betreten und unter dem Applaus der Kardinäle, Bischöfe und Monsignori seinen Platz mit Blick auf das Kollegium eingenommen. Er sagt: «Für mich war es eine Freude, mit euch in diesen Jahren den gemeinsamen Weg zu gehen.» Aber auch Wolken hätten den Himmel verdunkelt, damit sind die teilweise offen ausgetragenen Konflikte in der Kurie und die Skandale etwa um Missbrauch gemeint. Doch der Papst will dem Kollegium vertrauen, das man sich «wie ein Orchester» vorstellen müsse. Dann leistet Benedikt einen bedeutenden Schwur: «Heute verspreche ich dem künftigen Papst unbedingte Ehrfurcht und Gehorsam.» Das Kollegium erhebt sich und applaudiert dem Papst.

Auch die Tage seines Fischerrings sind gezählt

Nun kann sich jeder einzeln von Benedikt verabschieden. Der erste ist Kardinaldekan Angelo Sodano, kurz darauf folgt Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Alle küssen den Fischerring des Papstes, der in den kommenden Tagen zerstört wird. Wer sich zu lange an den freundlich blickenden Papst wendet, bekommt es mit einem der freundlichen, livrierten Kammerdiener zu tun, den sogenannten Sediari. Früher trugen diese Diener die Sänfte des Papstes. Jetzt schicken sie besonders anhängliche Kardinäle freundlich, aber bestimmt davon. Ein Diener reicht dem über eine Stunde lang stehenden Benedikt ein Glas Wasser und ein Tuch, mit dem er sich den Mund abwischen kann. Erzbischof Gänswein kommt ab und zu seinem Herren nahe und fragt, wie es ihm geht.

Journalisten denken schon an das Konklave

Um 13.30 haben sich Benedikt und seine engsten Mitarbeiter ein Mittagessen verdient. Wie immer in Rom und auch im Apostolischen Palast üblich, gibt es Pasta, Secondo (Hauptgericht) und Contorni (Beilagen). Salat und Gemüse stammen aus den Gärten in Castel Gandolfo, der Sommerresidenz der Päpste und Benedikts Übergangsbleibe. Erst, wenn in etwa zwei Monaten die Umbauarbeiten im Vatikankloster abgeschlossen sind, kehrt der emeritierte Papst in den Vatikan zurück. Unterdessen findet im Pressesaal in der Via della Conciliazione das letzte Pressebriefing des Pontifikats statt. Die Gedanken vieler Journalisten kreisen bereits um das Konklave, die Italiener diskutieren über Politik. Sie haben ab Freitag schliesslich weder einen Papst noch eine neue Regierung. Der übliche Nachmittagsspaziergang des Papstes samt Rosenkranz-Gebet in den vatikanischen Gärten oder auf dem Dachgarten muss am letzten Tag des Pontifikats wohl ausfallen. Die besinnliche Note würde an diesem Tag der allgemeinen Neugier zum Opfer fallen.

Der Fahrer bricht in einen Weinkrampf aus

Um 16.55 Uhr fährt im San-Damaso-Hof die Limousine vor, die Benedikt zum Hubschrauberlandeplatz im Norden der Vatikanstadt bringt. Beim Verlassen der päpstlichen Wohnung soll Gänswein besonders gerührt gewesen sein, berichten italienische Medien. Im Fernsehen ist zu sehen, wie Benedikts Fahrer beim Abschied im San-Damaso-Hof in einen Weinkrampf ausbricht.Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone verabschiedet den Papst als einer der letzten. Er wird nun als Camerlengo in der Zeit ohne Papst (Sedisvakanz) die Geschäfte im Vatikan führen. Die Schweizer Garde marschiert ein letztes Mal für Benedikt auf. Dann setzt sich der Tross in Bewegung.

Am Hubschrauberlandeplatz ist es Kardinaldekan Angelo Sodano, der Benedikt verabschiedet. Der Papst besteigt den Helikopter, der kurz darauf abhebt und über die Stadt Rom hinweg in die päpstliche Sommerresidenz nach Castel Gandolfo fliegt. Eine halbe Stunde später, von der Loggia des Palastes in Castel Gandolfo aus, grüsst Benedikt ein letztes Mal die Gläubigen. «Ab 20 Uhr werde ich nicht mehr Pontifex sein, sondern nur noch ein einfacher Pilger auf der letzten Etappe seiner Reise», lauten seine letzten öffentlichen Worte als Papst. Um 20 Uhr schliessen sich die Tore des Palastes. Die Schweizer Garde zieht ab. Gleichzeitig werden die Gemächer des Papstes im Apostolischen Palast versiegelt. Benedikts Pontifikat ist jetzt zu Ende.

 

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