Der Wahlkampf hat sich längst ins Internet verschoben. Auch dort ist die SVP den anderen Parteien überlegen – obwohl die Konkurrenten mehr in den Online-Wahlkampf investieren.
Zwei kuschelige Kätzchen schauen mit grossen Augen in die Kamera. Sie werben auf Facebook für die grüne Partei – inhaltlos, dafür mit viel Gefühl. Das Bild hat fünf Personen so gut gefallen, dass sie den «Like»-Knopf gedrückt und den Wahlaufruf in ihrem Freundeskreis weiterverbreitet haben.
Der Wahlkampf verlagert sich zunehmend ins Netz. Anders als bei Plakatwerbung lässt sich die Wahlwerbung im Internet exakt vermessen. Eine Datenerhebung, die der TagesWoche vorliegt, zeigt die Interaktionen von Nutzern mit den Parteien. Wer am meisten Aufwand in die sozialen Medien steckt – und wer damit am meisten Nutzer erreicht.
Riesenpotenzial auf Facebook
Eine Partei dominiert die Social-Media-Welt wie keine andere: die SVP. Und das, obwohl die Partei weniger aktiv ist als andere Parteien. Bei der Anzahl an Beiträgen auf Facebook und Twitter liegen die Grünen weit vorne. Die SVP erzeugt aber weitaus mehr Resonanz.
Wellen machen, das ist das Ziel beim Wahlkampf im Netz. Besonders wichtig ist dies auf Facebook. Rund vier Millionen Schweizerinnen und Schweizer nutzen das soziale Medium. Wer auf Facebook gehört und gesehen werden will, muss auffallen.
Die Wahlpropaganda verbreitet sich allerdings nur, wenn sie «Likes» oder Kommentare erzeugt. Vergleichbar mit dem Such-Algorithmus von Google hat Facebook ein komplexes Verfahren entwickelt, um den Neuigkeitswert einer Nachricht festzulegen. Vereinfacht gesagt, kommen nur Beiträge durch den Filter, die von anderen Nutzern als lesenswert markiert worden sind. Facebook entscheidet, wer sichtbar ist und wer nicht.
SP und Grüne konnten stark aufbauen
Seit Juni 2014 sammelt Christoph Hess, Strategieberater einer Digital-Agentur, öffentlich zugängliche Daten über die Effizienz von Parteien im Online-Wahlkampf. Er kann damit aufzeigen, welche Hebelwirkung die unterschiedlichen Parteien haben, wenn sie Facebook nutzen. Die Reaktionen auf einzelne Beiträge lassen sich messen und in ein Verhältnis stellen zu den gesamten Aktivitäten einer Partei.
Im Juni gingen laut der Messung von Hess 50 Prozent der Reaktionen auf Facebook- und Twitter-Inhalte einer Schweizer Partei auf das Konto der SVP. Die FDP kam auf 16, die SP auf 10 Prozent.
Augenfällig ist, wie die SP und die Grünen zunehmend aktiver geworden sind. Beide Parteien konnten bis Ende September ihre Reichweite auf Social Media deutlich ausbauen. Verlierer auf der Zielgeraden ist die FDP, die hinter die Grünen zurückfiel.
Das Powerplay der Grünen erscheint in einem anderen Licht, wenn der Aufwand und der Ertrag einander gegenübergestellt werden. Alleine im September hat die Ökopartei auf Facebook 165 Beiträge veröffentlicht – mehr als doppelt so viele, wie andere Parteien jeweils veröffentlichten. Doch ihr Dauerwahlkampf im Netz kommt nicht recht auf Touren. Die Resonanz bleibt mit 252 Kommentaren am unteren Ende der Effizienz-Skala, die Hess entwickelt hat. Die Skala stellt den Aufwand (Anzahl Beiträge) dem Ertrag (Relationen) gegenüber.
Was den Grünen anscheinend nicht gelingt, läuft bei der SVP umso besser. Die Volkspartei hat mit 70 Beiträgen über 6100 Kommentare erzeugt. Die hohe Interaktion führt dazu, dass die Partei online weit über die eigene Community hinaus mobilisiert. Hess sagt dazu: «Die SVP hat die grösste Magnetwirkung auf Facebook. Die zahlreichen kritischen Stimmen in den Kommentaren sind ein weiterer Beleg für die grosse Reichweite.»
Facebook wichtiger als Twitter
Der Politologe Lukas Golder von Forschungsinstitut gfs.bern ist wenig überrascht von der Dominanz der SVP: «Rechtspopulistische Parteien haben das Mobilisierungspotenzial von Social Media viel früher erkannt als andere Parteien.» Parteien wie die SVP würden Facebook dem Kurznachrichtendienst Twitter vorziehen, wo vor allem Multiplikatoren wie Journalisten unterwegs sind.
Statt die Berichterstattung in den Medien beeinflussen zu wollen, setzt die SVP auf den ungefilterten Kontakt zur Bevölkerung. «Die SVP-Schlüsselthemen lassen sich auf Facebook besser bewirtschaften. Journalisten behandeln kontroverse Themen wie die Flüchtlingskrise in der Regel ausgewogen und weniger emotional», sagt Golder.
Das Treibmittel des SVP-Erfolgs ist eine Facebook-Community, die auf die emotionale Alltagssprache und die pointierte Bildwelt der Partei anspricht. Ein Beispiel dafür ist die SVP-nahe Facebook-Gruppe «Die Schweiz gehört nicht in die EU», die bereits 2009 gegründet wurde und heute über 43’000 Mitglieder zählt. Die offizielle SVP-Seite kommt auf aktuell rund 13’570 Fans und ist damit die mit Abstand grösste Parteiseite der Schweiz. Zum Vergleich: Die SP kommt mit ihrer Facebook-Seite auf rund 10’160 Fans.
Bendrit Bajra mit mehr Alltagsglaubwürdigkeit
Der Wahlkampf auf Social Media hat laut Golder noch immer Wachstumspotenzial. Welche Folgen diese Entwicklung für das politische System haben wird, sei schwer abzuschätzen. Golder sieht Social Media in einer ähnlichen Rolle, wie sie das Schweizer Fernsehen in den 1990er-Jahren inne hatte. Damals habe die «Arena» die Schweizer Politik polarisiert und stärker auf Personen zugeschnitten. «Heute geht der Trend weniger zu Übervätern als zu Orientierungsfiguren und Personen mit hoher Alltagsglaubwürdigkeit. Ein Beispiel dafür ist der bekannte Komiker Bendrit Bajra, der seine Popularität auf Facebook aufgebaut hat.»
Tatsächlich ist die SVP auf gutem Weg, sich von einer Plakat- zu einer Viral-Partei zu entwickeln, die stärker auf den Spassfaktor setzt. Im Gegensatz zur Politkonkurrenz, die fleissig Selfie-Bilder veröffentlicht, ist die SVP bereits einen Schritt weiter. Im trendigen Wahlkampf-Clip «Welcome to SVP» treten Parteigrössen wie alt Bundesrat Christoph Blocher in der Badehose auf, um ein jüngeres Publikum anzusprechen.
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Daniel Graf ist Kampagnenberater, bloggt über Netzpolitik und Social Media und schreibt als freier Autor für die TagesWoche. Zuvor war er Mediensprecher von Amnesty International, Kommunikationsverantwortlicher der Mediengewerkschaft comedia und Parteisekretär der Grünen Zürich.