Ahmed Jizawi wurde beinahe von syrischen «Sicherheitskräften» verschleppt. Doch er entkam, weil er sich gerade in der Schweiz zur Weiterbildung befand und beantragte hier politisches Asyl. Dem hiesigen schwindenden Interesse am Desaster in seiner Heimat will er mit Mahnwachen entgegenwirken.
Als wir Ahmed Jizawi treffen, ist er gerade angeregt am Diskutieren. Sein Kumpel, auch Syrer, spricht in der gemeinsamen Landessprache, einem syrischen Dialekt des Hocharabischen. Die beiden verabschieden sich. Bis später – Ahmed ist vielbeschäftigt.
Noch vor kurzem war das nicht so. Vor einem Monat erst wurde Ahmed als politischer Flüchtling anerkannt, auf den Entscheid hatte er etwa ein Jahr warten müssen. «Man darf in Basel nicht studieren oder arbeiten, während man Asyl beanträgt.» So schlug der studierte Medizintechniker die Zeit zunächst im Asylzentrum Bässlergut tot. Doch nur Rumsitzen liegt dem Syrer nicht. «Es ist wichtig für mich, in Bewegung zu bleiben. Deshalb habe ich mich ehrenamtlich beworben bei Amnesty International, Women For Democracy und anderen Organisationen engagiert.» Jizawi wurde vor zwei Monaten offiziell politisches Asyl gewährt. Er bemüht sich nun um einen Job, möglichst in seinem studierten Feld, der Medizintechnik.
Den Schergen entkommen
In die Schweiz kam Ahmed für eine Weiterbildung in St. Gallen, zu der ihn sein Arbeitgeber geschickt hatte. Das war vor drei Jahren. Die Revolution in Syrien hatte erst gerade begonnen. Ahmed arbeitete zu der Zeit bei einer Medizintechnikfirma im Libanon.
Der Weiterbildungsaufenthalt in St. Gallen sollte nur zehn Tage dauern, danach wäre er zurück nach Syrien gereist. Doch nach vier Tagen in der Schweiz kam ein Anruf, der sein Leben umkrempelte. «Mein Vater erklärte mir am Telefon, dass meine Schwester verhaftet worden sei, und dass Uniformierte in mein Appartment eingedrungen seien, um mich zu suchen.»
Seine Schwester würde erst sechs Monate später aus dem Knast kommen. Jizawi entschied sich, in der Schweiz zu bleiben und beantragte politisches Asyl. Die Schergen in Syrien müssen über seine Protestaktivitäten auf ihn aufmerksam geworden sein, sagt er.
«Wir protestierten, weil wir wussten: Besser wird es nicht mehr werden.»
Denn Jizawi hatte bei Besuchen in seiner Heimatstadt Homs einige Male an Protesten teilgenommen. Trotz der Furcht, dass die Regierung früher oder später die Proteste blutig niederschiessen würde. Doch immer mehr seiner Freunde und schliesslich Verwandte waren dabei. Plötzlich waren auch die Opfer der staatlichen Verhaftungen keine Fremden mehr. Sein Cousin wurde von sogenannten «staatlichen Sicherheitskräften» verschleppt. «Von da an gab es kein Zurück mehr», sagt Ahmed. «Wir protestierten, weil wir wussten: Besser wird es nicht mehr werden.»
Alle waren mobilisiert, der Umbruch sollte endlich stattfinden. «Wir wollen in einem System leben, das uns Frieden, mehr Würde und ein besseres Leben für alle ermöglicht», sagt Ahmed. Dass ausserhalb Syriens oft von einem bipolaren Konflikt zwischen Regierung und religiösen Gruppen die Rede ist, kommt für ihn nicht ansatzweise an die Realität heran. Doch in drei Jahren Krieg ist viel passiert, die Lage in Syrien ist katastrophal und ein Überblick über die Geschehnisse kaum mehr möglich.
Mahnwachen gegen das Vergessen
So erklärt sich Ahmed auch das zunehmende Schulterzucken der internationalen Öffentlichkeit. «Mir sagte kürzlich einer, er wolle nicht täglich mit dem Albtraum in Syrien konfrontiert werden», sagt Jizawi. Damit die Öffentlichkeit dennoch die Katastrophe in seinem Heimatland nicht vergisst, organisiert Jizawi mit der Organisation FreeSyria.ch Informationsveranstaltungen und Mahnwachen. Die letzte organisierte er am 18. März auf dem Barfüsserplatz, der Krieg jährte sich gerade zum dritten Mal.
Auch in Genf war er schon, um im Umfeld der Friedensverhandlungen im Februar auf die ungebrochene Aktualität des Konflikts hinzuweisen.
«Immer neue Gräueltaten kommen ans Licht aber ich sehe nicht wirklich, dass die internationale Gemeinschaft etwas unternimmt, den Konflikt zu entschärfen», sagt Jizawi. Er ist fest entschlossen, weitere Mahnwachen abzuhalten, egal ob das Interesse zu- oder abnimmt. «Wenn man wirklich an etwas glaubt, steht man dazu, egal was passiert. Denn wenn die Menschen wirklich sehen, dass man an etwas glaubt, unterstützen sie einen früher oder später.»
Bis dahin bleiben die Mahnwachen Ahmeds bedeutendste Beschäftigung. Gut möglich, dass er und seine Freunde diese noch sehr lange halten müssen.
Die damit verbundene Petition wurde bisher von mehr als 1500 Leuten unterschrieben.